Die CV-Machine lenkt den Blick ganz natürlich auf die Frage, ob es wirklich nötig ist, jeden Moment unseres Daseins als "zweckmäßig" zu rechtfertigen.

Foto: Getty Images / iStock / anyaberkut

"Ich muss heute früher weg, ich habe noch ein wichtiges Meeting", sagen Sie und verschwinden in die Raucherecke. Harmlose Ausreden im Alltag – oder nicht? Warum ist es oftmals so schwierig, klar zu sagen, wenn andere Verpflichtungen und Bedürfnisse Vorrang vor dem Job haben müssen?

Für solche Situationen soll es bald Abhilfe geben: Die "CV-Machine", ein Kunstprojekt aus dem Hause Global Upfitters / DocWenzel, liefert Übersetzungen für Ihre Fehlzeiten am Arbeitsplatz, und zwar auf Knopfdruck. "Ein Jahr ausgespannt und Joints geraucht" übersetzt sie zum Beispiel zu "Recherche in lokalen Subkulturen/Feldstudie". "Elternpause" wird zu "Mittleres Management im sozialen Bereich".

"Der Tag ist zu kurz": die Künstlerin Käthe Wenzel.
Foto: IFK

Und natürlich geht es auch umgekehrt – Erfolge lassen sich rückübersetzen, denn man hat für sie in anderen Bereichen des Lebens etwas aufgegeben, Zeit für Freunde und Familie, Zeit, in der man einfach in der Sonne sitzt. Derzeit noch in der Entwicklung, wird die CV-Machine voraussichtlich ab 2022 Ausreden nach Maß liefern, sowohl für den Alltag als auch für den Lebenslauf. Geplant sind sowohl eine analoge Version als auch eine digitale Variante für das Internet.

Was so harmlos als spielerisches Kunstprojekt daherkommt, thematisiert aber einen tiefen Zwiespalt, den die allermeisten gut kennen. Der Tag ist einfach zu kurz für unsere Aufgaben. Und während es gesellschaftlich akzeptiert ist, überarbeitet zu sein, gibt es jede Menge Verpflichtungen, deren Dringlichkeit weit weniger anerkannt wird. Nicht nur vom Arbeitsumfeld, oft auch von uns selbst.

Dazu gehören vor allem Care- und Familienarbeit in ihren vielfältigen Formen, gesundheitliche Einschränkungen, die fast unsichtbare Arbeit der Fürsorge unter Freunden und Freundinnen, aber auch das ganz normale Bedürfnis nach Zeit, in der man jenseits beruflicher Zusammenhänge existiert. Es ist kein Zufall, dass vieles davon weiblich konnotiert, "racialized" und in der Regel unbezahlt ist.

Lückenloser Lebenslauf

Eine Lücke tut sich auf zwischen den Anforderungen der Lohnarbeit – und jenen des alltäglichen Lebens mit seinen Pannen und Notlagen. Dies findet seinen Ausdruck auch in der Forderung nach dem "lückenlosen Lebenslauf".

Arbeitslos oder, Verzeihung, "arbeitssuchend" soll man besser nicht gewesen sein. Hat man da nicht vielleicht etwas anderes gemacht, irgendein Projekt? Und auch wie man die Zeit im Lebenslauf unterbringt, in der man die Großtante gepflegt hat oder in der Klinik war, sollte man sich gut überlegen.

Im Lebenslauf wird Zeugnis abgelegt. Hier soll man beweisen, dass jeder Moment ausschließlich zielführend genutzt wurde. Aber nicht jeder sinnvoll verbrachte Moment gilt auch als sinnvoll für den Beruf; Pannen oder Krisen sind in der Regel nicht vorgesehen.

Selbstoptimierung

Natürlich gibt es inzwischen genügend Tipps, auch aus berufsfernen Zeiten verwertbare Qualitäten für den Job abzuleiten. Webseiten, Kurse und Ratgeber helfen dabei. Jeder Bereich soll produktiv sein. Auszeiten sind erlaubt, wenn sie der Selbstoptimierung dienen.

Das alles macht sich die CV-Machine zunutze: Sie verspricht elegante Formulierungen der Überbrückung, eine Tarnung aus Worten, unter der das tatsächliche Leben Platz hat. Sie liefert einen Deckmantel für Zeiten, in denen wir nicht oder nicht in marktwirtschaftlich anerkannten Formen arbeiten – und hilft, die "Lücken im Lebenslauf" zu füllen, von denen wir alle gelernt haben, sie unbedingt zu vermeiden.

Sie liefert Tarnung nicht in Form von Unsichtbarkeit, sondern als Produktivität, die nötig ist, um im neoliberalen Klima den Kopf über Wasser zu halten. Die CV-Machine heult mit den Wölfen, nur lauter.

Ständige Produktivität

Damit lenkt sie den Blick genau auf das, was sie zu bemänteln verspricht: auf gesellschaftlich häufig unsichtbare und nichtentlohnte Formen von Arbeit; und auf die Frage, ob es denn wirklich nötig ist, jeden Moment unseres Daseins als "zweckmäßig" zu rechtfertigen. Müssen wir wirklich ständig produktiv sein?

Die "CV-Machine", ein Kunstprojekt aus dem Hause Global Upfitters / DocWenzel, liefert Übersetzungen für Ihre Fehlzeiten am Arbeitsplatz, und zwar auf Knopfdruck.
Foto: Käthe Wenzel

Die CV-Machine ist ein Übersetzungsgerät; und wie Sprachwissenschafter und Sprachwissenschafterinnen wissen, entsteht bei jeder Übersetzung Verlust, verschwinden mitgedachte Zusammenhänge und Werte. Was durch die neoliberale Konformitätsübersetzung verlorengeht, sind Lebensbereiche, die sich der Marktlogik einer beruflichen Verwertbarkeit entziehen.

Tatsächlich gibt es auch in der Soziologie und in der Diskussion über Arbeit vermehrte Forderungen nach einer Kultur des "Fehlschlags" und nach realistischeren Lebensläufen. Aber auch hier schleicht sich noch die Idee ein, dass "Charakter" im beruflichen Umfeld zählt.

Performancedruck der Arbeitswelt

Was, wenn wir einfach darauf bestünden, dass es Zeiten im Leben gibt, die nicht beruflich verwertbar sind und die es auch nicht sein sollen? Was Bestsellerbücher wie Otessa Moshfeghs My year of Rest and Relaxation (Mein Jahre der Ruhe und Entspannung) oder Soziologen wie Hartmut Rosa ansprechen, setzt die CV-Machine als Realintervention in den Alltag fort.

Der Performancedruck der Arbeitswelt – und die Macht der dazugehörigen Sprache – finden ihre konsequente Fortsetzung in Skandalen von teilplagiierten Doktorarbeiten und in frei erfundenen Lebensläufen. Und in einem Klima, das ein so absurdes Gerät wie eine CV-Machine einleuchtend macht, selbst wenn es nur ein Kunstprojekt ist, scheint Hochstapelei wie eine logische nächste Stufe.

Hier ist die Verbindung von Realität zu professioneller Behauptung abgerissen. Dieser Riss wird auf unheimliche Weise gespiegelt in der politischen Performance der jüngsten Jahre, wenn rechtspopulistische und neoliberale Figuren den Bezug zu überprüfbaren Fakten für überflüssig erklären und kurzerhand die Behauptung mit der Realität gleichsetzen. Als Fakt gilt, was vehement genug behauptet wird. Da kann auch eine CV-Machine nicht mithalten.

Bauchpinsel-Maschine

Die Maschine ist eines von mehreren Geräten aus einer ganzen Serie von Überlebenshilfen für den Arbeitsmarkt, die auf www.globalupfitters erhältlich sind. Sie versprechen Abhilfe für Probleme, die wir alle kennen. Die Bauchpinselmaschine ermöglicht maschinell, was sonst mühsam individuell erarbeitet werden muss – sie erhöht das Selbstwertgefühl, entweder beim Gegenüber, um Akquise und Teamwork zu erleichtern, oder in Selbstanwendung nach einem harten Tag voller Fehlschläge.

Das Brusthaar-Toupet für die "temporäre, performative Herstellung natürlicher Autorität" verschafft allen, die nicht darüber verfügen, zusätzliche "Maskulinität". Damit ist es besonders für Gehaltsverhandlungen und zur Überbrückung der Gender-Wage-Gap geeignet. Die Access-Accessories verschaffen Zutritt, egal wo. Und die Nein-Maschine liefert für nur zweimal zwei Euro das handliche wiederverwendbare Nein-Set, das hilft, Grenzen zu setzen und Konflikte zu entschärfen, bevor sie entstehen.

Gleiche Ausgangsbedingungen

In einer Gesellschaft, die gern monotone oder schwierige Aufgaben an Maschinen delegiert, scheinen diese Geräte folgerichtig. Sie versprechen Lösungen und vor allem "even ground", nämlich gleiche Ausgangsbedingungen für alle. Damit ist ihr Scheitern vorprogrammiert.

Denn die Fähigkeit, "Lücken im Lebenslauf" zu vermeiden, ist eng verknüpft mit Privilegien, ebenso wie die 20 Cent, die meine männlichen Kollegen auf jeden Euro mehr verdienen. Beides hängt an den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, die einer Person zur Verfügung stehen. Oder auch einfach am Körper. Die Eltern brauchen Pflege?

Wenn ich mir Pflege leisten kann, muss ich weniger selbst machen. Ich will den Job am Empfang? Mit bio-europäischem Aussehen vervielfachen sich die Chancen, dass ich ihn bekomme. Ich will 20 Prozent mehr Verdienst? Dann sollte ich mir überlegen, ein Mann zu werden.

Unter dem leichtherzigen Versprechen von CV-Machine und Co verbirgt sich das fundamentale Problem struktureller Ungleichheit. Einerseits versprechen sie genau das, was wir brauchen – perfekte Lebensläufe auf Knopfdruck –, andererseits bleibt fraglich, ob das, was wir zu brauchen glauben, auch wirklich funktioniert. (Käthe Wenzel, ALBUM, 20.11.2021)