Alexander Schallenberg (ÖVP, rechts im Bild) und Wolfgang Mückstein (Grüne, links) haben zuerst gepokert, dann gezögert und erst viel zu spät gehandelt.

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Es ist nie gut, wenn die Politik ein Versprechen bricht. Die Bevölkerung sollte ja darauf vertrauen können, dass die Politik auch umsetzt, was sie ankündigt. Viel schlimmer als dieser Vertrauensbruch ist aber ein anderer: jener, wenn eine Regierung versucht, ein Versprechen zu halten, obwohl es nicht sinnvoll ist. Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) hat versichert, dass es keinen generellen Lockdown mehr geben werde. Die Einsicht, dass das nicht einzulösen ist, kommt nun viel zu spät. Die katastrophalen Folgen: ein drohender Zusammenbruch der Intensivmedizin in Teilen des Landes, Tote, und eben doch ein Lockdown für alle.

Dabei sollte allen Beteiligten klar sein, dass eine inhaltliche Kehrtwende im politischen Geschäft manchmal dazugehört. Und wie man damit umgeht: transparent, offen und mit einer Bitte um Entschuldigung – (fast) nichts davon ist hier passiert.

Kurz’ Linie

Dabei wäre schon der Ursprungsfehler vermeidbar gewesen: Die ÖVP hätte sich nie in eine "Corona ist vorbei"-Grube graben müssen. Sebastian Kurz hätte nie behaupten müssen, dass die Pandemie für Geimpfte vorüber sei (das offenkundige Ziel, damit die Impfquote zu steigern, wurde offensichtlich verfehlt). Schallenberg hätte nach Kurz’ Abtritt nie dessen Linie beibehalten müssen. Er hätte sie nicht beibehalten dürfen.

Schon damals haben Expertinnen und Experten gewarnt, dass eine Überlastung der Intensivstationen bei einer so geringen Durchimpfungsrate durchaus möglich wäre. Weniger drastische Maßnahmen – wie 2G in der Freizeit oder 2,5G am Arbeitsplatz – hätten zu einem früheren Zeitpunkt das Schlimmste verhindert. Doch der Kanzler hat sich immer tiefer eingegraben.

Eine einzige Entschuldigung

Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) stand die längste Zeit im gleichen Loch. Auch er vertrat viel zu lange die Ansicht, dass es keinen Lockdown für Geimpfte und Genesene brauchen würde. Als die Einsicht dann gekommen war, konnte er sich nicht durchsetzen. Was man Mückstein allerdings zugute halten muss: Bis dato ist er der Einzige der Verantwortlichen für diesen politischen Totalschaden, der die Bevölkerung um Entschuldigung gebeten hat.

Nicht weniger krass ist das Versagen der Landeshauptmänner von Oberösterreich und Salzburg: Thomas Stelzer und Wilfried Haslauer, beide von der Volkspartei, haben die Drastik der Situation noch geleugnet, als die Beschäftigten in ihren Krankenhäusern schon um Hilfe geschrien haben.

Auch die Impfpflicht kommt zu spät

Die gleiche Dynamik wie beim Lockdown ließ sich bei der Impfpflicht beobachten: Auch ihre Notwendigkeit wurde die längste Zeit verleugnet. Nun kommt sie entgegen den Versprechungen der Bundesregierung. Und auch sie kommt viel zu spät.

Die Bundesregierung und die Landeshauptmänner von Oberösterreich und Salzburg haben verspielt, was vom Vertrauen in die Politik in diesem Land noch übrig war. Die Bürgerinnen und Bürger geben diesen Menschen Macht in der Annahme, dass sie vernünftig damit umgehen. Die Verantwortlichen haben genau das Gegenteil gemacht: Sie haben zuerst gepokert, dann gezögert und erst viel zu spät gehandelt. Sobald das Gesundheitssystem einigermaßen stabilisiert ist, braucht es eine politische und rechtliche Aufarbeitung dieser Fehler – inklusive personeller Konsequenzen. (Sebastian Fellner, 19.11.2021)