Drei von vier Auszubldenden würden jederzeit wieder eine Lehre machen.

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Beim ersten Lockdown, im März 2020, war es noch irgendwie aufregend, weil neu, auf Distanzmodus zu gehen und via Firmenlaptop die theoretische Ausbildung zu forcieren, sagt Silke Neubauer, Ausbildnerin für Lehrlinge im technischen Bereich bei den Wiener Linien.

Dann seien aber vielfach Probleme aufgetreten: fehlende Praxis, Angst vor virtueller Lehrabschlussprüfung. Gesundheitliche Beeinträchtigungen (Essstörungen, Depressionen, Schlafstörungen) sowie auch "Brösel" in den Familiensituationen. Gelernt habe man bei den Wiener Linien, dass alle Lehrlinge so gut und permanent am Arbeitsplatz in den Werken gehalten werden müssten, wie es nur geht.

Neubauers Unternehmen hat die Ressourcen für intensivere arbeitsmedizinische und psychologische Begleitung, Hilfe in der Berufschule und fragt den jungen Fachnachwuchs auch ständig nach den Bedürfnissen. Ein Privileg, das nicht allen vergönnt ist.

Gute Noten für Ausbildner

Dennoch, so Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier (T-Factory): Der Befund zur Lehre in Österreich allgemein sei unverändert. Drei von vier würden jederzeit wieder eine Lehre machen. 70 Prozent finden das Betriebsklima in ihrem Ausbildungsbetrieb "angenehm", referiert Rosemarie Felder-Puig, Psychologin in der Gesundheit Österreich GmbH. 80 Prozent seien im Betrieb happy, allerdings nur 65 Prozent mit der Berufsschule.

Felder-Puig legt die Daten zur Gesundheit der jungen Österreicherinnen und Österreicher vor und sagt: "Zigaretten und Übergewicht sorgen mich am meisten." Konkret: Fast rund 50 Prozent der Lehrlinge rauchen, der Konsum von Softdrinks und Energy-Drinks ist sehr hoch, ein Fünftel der Mädchen und 28 Prozent der Burschen sind übergewichtig oder adipös. Allesamt schlechtere Daten als für die Gleichaltrigen in der Schule. Zudem ist der Alkoholkonsum von Lehrlingen auch beachtlich hoch. "Am Wochenende lässt man sich volllaufen", so Felder-Puig. Allerdings: Die Daten der Donau-Uni, wonach aktuell fast 50 Prozent der Lehrlinge psychische Störungen hätten, möchte sie entdramatisieren.

Wunsch nach Sicherheit

Dass Corona und Corona-Maßnahmen Ausbildungswege aber holpriger machen, berichten aus verschiedensten Perspektiven alle Teilnehmenden am zweitägigen Lehrlingsforum des Business Circle in dieser Woche in Wien. Für Unternehmen mit großer Marke und vielen Ressourcen sieht die Nachwuchswelt allerdings besser aus. Konzerne wie A1 Telekom Austria, die Post AG oder Spar (mit eigener Akademie) können sich gut selbst helfen, reichern die Ausbildungen an, bieten breite Paletten von Freizeitmöglichkeiten und Zuzahlungen. Bei aller Kritik an behäbiger Kammeralistik bezüglich mehr Innovationen für die Lehrberufe haben die Großen auch da Spielraum für die eigenen Ausbildungswege.

Ein Bonus für gute Zeugnisse oder die Finanzierung des Führerscheins gehören da schon zum Üblichen. Jugendforscher Heinzlmaier: "Das klappt auch und punktet. Hard Facts, nicht irgendein idealistisches Geschwafel. Lehrlinge wollen pragmatische Infos, Sicherheit, Berechenbarkeit." Heinzlmaier: "Die Zukunftsbilder sind eher traditionell: sich ein Haus und Kinder leisten. Freizeit genießen können." Er relativiert aus seinen jahrelang revolvierenden Studien auch die Kritik an Ausbildungsbetrieben in Österreich: "Zwei von drei Lehrlingen würden wieder dieselbe Firma wählen."

Mario Derntl (Zukunft Lehre Österreich), Christoph Neumayer (IV). Daneben Alfred Mahringer (A1 Telekom), Doris Palz (Great Place to Work), Franz Nigl (Post AG) und Raimunf Lainer (Spar) mit Moderatorin Karin Bauer.
Foto: Sabine Klimpt

Abstiegsangst

Als gesellschaftlich betrachtet "trauriges Kapitel" bezeichnet der Jugendforscher, dass die Arbeitsmotivation von Abstiegsangst getriggert würde, nicht von Zukunftsvertrauen.
Für den Image-Graben, in dem Lehrausbildungen vor allem in Ostösterreich hängen, sieht er keine schnelle Lösung. Eltern sähen es aus Statusgründen oft lieber, wenn ihre Kinder mit akademischen Graden nichts verdienen, als mit handwerklicher Ausbildung gut verdienen, konstatiert er.

Kritik erntete bei diesem Lehrlingsforum Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). Der Aufstiegsparagraf habe Unternehmen einer Vielzahl an mittlerweile heißbegehrten Schulabbrechern beraubt, sagt etwa der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer. Er ortet – sinngemäß – beim Bildungsminister viel Verständnis für die Academia, weniger für die Lehre.

Image-Aufwertung

Probleme, so die Fachleute der Ausbildnerszene in Österreich im Publikum, mache die unklare gesetzliche Lage zum Thema Homeoffice für Lehrlinge. Arbeitgeber und Ausbildner agierten hierbei in rechtsunklarem Raum und stellten meist die Fürsorgepflicht als Motiv für Homeoffice als Faktum fest – ohne zu wissen, ob das rechtlich halte. Neumayer ist, so sagt er, dazu in klärenden Gesprächen mit Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).

Zur ewigen Frage der Aufwertung des Lehr-Image kommt massive Kritik an Politik und Funktionären. Zur Euroskills etwa sei kein Bundespolitiker nach Graz gekommen, in Russland dagegen habe der Premier selbst die Eröffnungsrede gehalten. Zum Medienthema sei der große Erfolg heimischer Lehrlinge auch nicht gemacht worden. Es werde also nach wie vor kaum oder zu wenig kommuniziert, was alles in der Lehre steckt.

Mario Derntl, Geschäftsführer der Initiative Zukunft Lehre Österreich, mahnt eindringlich zur aktiven Hilfe für Lehrlinge in psychologischer Hinsicht: Er werde nun erneut eine Initiative zur kostenlosen psychologischen Beratung und Hilfestellung in die Welt bringen. (Karin Bauer, 20.11.2021)