3000 Euro soll jeder EU-Bürger als digitalen Euro halten können.

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Normalerweise wird Zentralbanken nur wenig disruptive Kraft zugeschrieben. Seit jedoch rund um den Globus Notenbanken immer konkreter an die Einführung ihrer eigenen digitalen Währung denken, "könnte es zu erheblichen Störungen im Finanzsystem kommen", sagt Chetan Ahya, Chefvolkswirt bei Morgan Stanley Research.

Eines vorweg: Kryptowährungen sind hier nicht gemeint. Wenngleich die Grenzen zusehends zu verschwimmen scheinen, ist es nicht das Gleiche. Dem Geld, auch in digitaler Form, werden immer noch die Funktionen und Charakteristika der Wertaufbewahrung und Recheneinheit, des Zahlungsmittels und der Transaktionsfunktion zugeschrieben.

Kryptowährungen dagegen sind entweder an einen Basiswert gekoppelt, wie es etwa bei Stablecoins der Fall ist – als Beispiel sei hier der von Meta Platforms (vormals Facebook) geplante "Diem" genannt –, oder sie sind durch eine Blockchain gestützt, wie etwa Bitcoin.

Fast alle überlegen

Digitale Zentralbankwährungen, kurz CBDCs (Central Bank Digital Currencies), sind eine neue Form von digitalem Bargeld. Sie sind von einer Zentralbank gesichert und werden in einer Art "Hauptbuch" geführt. Laut Morgan Stanley loten 86 Prozent aller Notenbanken weltweit aus, ob sie digitale Versionen ihrer Währungen ausgeben sollen.

Am weitesten vorangeschritten ist derzeit China. Dort wurden bereits Probeläufe mit einem digitalen Yuan in den Millionenmetropolen Schanghai und Shenzhen gestartet. Aber auch kleine Länder preschen vor: "2020 war der Inselstaat Bahamas das erste Land, das mit dem Sand-Dollar eine Digitalversion eingeführt hat", sagt Deutsche-Bank-Analystin Heike Mai.

Untersuchungsphase

Der Zugang zum digitalen Geld soll kostenlos sein, Zahlungen könnten beispielsweise via Smartphone oder Karte erfolgen. Erstmals könnten Bürger und Unternehmen ein Guthaben direkt bei der EZB haben. "Das könnte womöglich sicherer sein als bei Geschäftsbanken, oder das Geld in bar zu horten", sagt Mai.

Dass aber Cyberkriminelle die digitalen Euro-Wallets nicht hacken, sei Zuständigkeit der EZB, heißt es beim Verband österreichischer Banken und Bankiers, dafür müsste diese Sorge tragen – wobei ja auch Euro-Banknoten schon bisher nicht fälschungssicher waren.

Jedenfalls hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Sommer eine zweijährige Untersuchungsphase gestartet, in der die Kerneigenschaften des E-Euro festgelegt werden sollen.

Der Euro soll uns auch als digitale Einheit zur Verfügung stehen. An der Ausgestaltung wird gearbeitet.
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Dieser käme frühestens 2026, so die Einschätzung von EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta. "In den nächsten zwei Jahren sollen mögliche Vor- und Nachteile und Umsetzungsmöglichkeiten genauestens geprüft werden. Dann kann es in eine mehrjährige Versuchs- und technische Umsetzungsphase gehen", erläutert Beat Weber, Experte in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB).

Kampf um Souveränität

Die Ziele sind weitgehend klar. Weber: "Dass wir heute an der Kassa gefragt werden: ‚Bar oder mit Karte?‘, ist gelebte Vielfalt. Bargeld soll erhalten bleiben und Bankguthaben ebenso. Aber überall dort, wo es nicht passt oder verfügbar ist, soll der digitale Euro die Vielfalt der Zahlungsmittel in heimischer Währung erhalten und bereichern, nicht reduzieren."

Mehr noch: Man wolle verhindern, dass der Massenzahlungsverkehr von einer Handvoll nichteuropäischer Akteure dominiert werde, die gegen die Kontrolle europäischer Behörden relativ immun sein könnten, wurde Panetta in der japanischen Zeitung Nikkei zitiert.

Dies könnte Wettbewerb und Datenschutz schwächen. Zugleich wäre ein digitaler Euro eine Antwort auf den Aufstieg der Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether und insgesamt auf globale Großkonzerne mit unsicheren Privatwährungen, die auf den Markt drängen.

Stichwort Datenschutz

Aber, eine derartige Maßnahme berührt an ihren Schnittpunkten den Gesetzgeber – Stichwort Datenschutz –, den Finanzsektor, da in dessen Struktur eingegriffen wird und damit die finanzielle Stabilität. Daher "muss die Bank- und Kreditwirtschaft unbedingt in die Planungsphase eingebunden werden", heißt es aus dem Bankenverband, der dem Ganzen grundsätzlich positiv gegenübersteht.

"Unser Worst-Case-Szenario wären digitale Euros in unbegrenzter Höhe in Form eines Kontos bei der Notenbank. Das würde das gesamte Finanzsystem durcheinanderbringen", sagt Experte Michael Ernegger. Aber das sei ausgeschlossen, die Signale der EZB lauten auf 3000 Euro pro Person.

"Der digitale Euro soll schließlich kein unbegrenzter Zentralparkplatz für sämtliche Privatguthaben in der Wirtschaft sein. Individuelle Höchstgrenzen oder betragsabhängige Verzinsung sind Ideen, um diesen Parkplatz sinnvoll zu bewirtschaften und allfällige Übernutzung zu verhindern", sagt Weber.

Schließlich gilt es auch, einen Bank-Run zu verhindern. Eine Höchstsumme, etwa 3000 Euro, die der Einzelne in seinem Wallet halten kann, würde auch die Gefahr bannen helfen, den Banken ihre wichtige Geschäftsgrundlage zu entziehen und das Finanzsystem zu gefährden.

Preisgünstige Alternative

Bankkunden könnten nach einer Berechnung von Morgan Stanley bis zu 873 Milliarden Euro (ca. acht Prozent der Kontoeinlagen) abziehen. In kleineren Euroländern könnten die Auswirkungen drastischer sein, etwa in Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, der Slowakei oder auch Griechenland.

Würden alle Bürger in diesen Staaten 3000 Euro abheben und in den E-Euro umwandeln, wären 17 bis 30 Prozent der Gesamteinlagen und 22 bis 51 Prozent der Gesamteinlagen aller Haushalte betroffen. Fraglich ist natürlich, ob ein so großer Anteil tatsächlich umgewandelt würde.

Frühestens ab 2026 soll der E-Euro eingeführt werden. Ein Großprojekt, bei dem neue Ideen auf alte Machängste prallen.
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Beim Datenschutz sieht die OeNB den digitalen Euro sogar im Vorteil: "In einer Zukunft, in der die kommerzielle Sammlung und Auswertung privater Daten auch beim Bezahlen ein immer bedeutenderes Geschäftsfeld wird, könnte eine digitale Zahlungsmöglichkeit, bei der der Anbieter keine kommerziellen Interessen verfolgt, eine interessante Alternative für die Alltagsnutzung werden", sagt Weber.

Für Klein- und Mittelbetriebe im Handel und anderen Branchen wäre er eine preisgünstige Alternative zur Entgeltabfuhr an kartenbasierte Bezahlsysteme. Und die Vorteile für die Banken: ein Anknüpfungspunkt für Kundenleistungen, der weniger Bilanzrisiko und Umstände sowie größere Reichweite verspricht.

Während die Befürworter die Zielvorstellung skizzieren, "einen sicheren digitalen Wertanker für uns alle bereitzustellen", gibt es auch mehr oder weniger düstere Zukunftsvisionen: "Das Problem der EZB ist nicht so sehr, wie sie Geld druckt, sondern eher, wie sie die Unmengen Euros, denen mittlerweile kaum mehr nachhaltige Werte gegenüberstehen, wieder einfängt. Egal ob Digital oder Papier: Eine Enteignung der Bürger wird – früher oder später – notwendig sein", sagt ein Insider, der nicht genannt werden will.

"Nahezu uneingeschränkte Macht"

Thorsten Wittmann, Selfmade-Multimillionär, Speaker und Vorstand des Klartext e.V., meint zwar, dass "Transaktionen zwischen Konten und Ländern günstiger und schneller ablaufen könnten". Aber: "Bei einem digitalen Euro würden Banken fast komplett überflüssig werden. Notenbanken würden gemeinsam mit den Regierungen nahezu uneingeschränkte Macht erhalten."

Dabei sei die ursprüngliche Idee von Notenbanken gewesen, unabhängig von Politik den Geldmarkt stabil zu halten. "Für den Bürger hieße dies absolute Transparenz." Sogar wenn die Notenbanken die Möglichkeiten nicht nutzten, Bürger zu überwachen und zu kontrollieren, dann reiche theoretisch ein Hackerangriff aus, um die Konten eines Landes zu kontrollieren.

Schlimmer noch: "Die Notenbank könnte bestimmen, wie viel Geld wofür ausgegeben wird, oder den Geldhahn komplett zudrehen. Steuern und Abgaben würden direkt eingezogen werden, ohne dass es vorher geprüft werden müsste", sagt Wittmann in Anspielung auf Chinas Social-Credit-System.

Auf Ebene der Unternehmen könnten die Notenbanken oder gar die Regierungen kontrollieren, wer Kredite erhält, was gefördert wird und was nicht, befürchtet Wittmann. Mit welchem Ziel? Notenbanken und Regierungen hätten Angst, diese Kontrolle angesichts von Kryptowährungen und einer Verschiebung des Währungssystems hin zu einem privaten und dezentralen System, in dem etwa eben nicht einfach mal mehr Geld gedruckt werden kann, zu verlieren.

Wittmanns Worst-Case-Szenario: "Sobald die Mehrheit oder gar alle den digitalen Euro nutzen, werden die Verantwortlichen damit argumentieren, dass alles andere überflüssig ist. Stellen Sie sich ein Drittes Reich mit digitalem Euro vor. Geld bekommt nur noch der, der die Regel befolgt, und mögliche ‚Feindgruppen‘ erhalten gar keines mehr. Es wäre ein totalitärer Kontrollstaat, indem ein Aufstand nahezu unmöglich wird." (Linda Benkö, Magazin "Portfolio", 2.12.2021)