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Die Wintersaison im Tourismus war durch die Sperre der Hotels und der Gastronomie verloren.

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Die Pandemie war eine Achterbahnfahrt, und Josef Baumgartner war im ersten Wagen immer mit dabei. Im März und April des vergangenen Jahres wurde der erste Lockdown verhängt, und es folgte ein dramatischer Absturz der österreichischen Wirtschaft.

Doch bald ging es wieder bergauf: Der Sommer brachte eine, wie sich später herausstellte, trügerische Ruhe. Im Herbst 2020 wurde wieder ein Lockdown verhängt, und erneut brach die Konjunktur ein. Diesmal blieben zumindest in Hotellerie und Gastronomie die Türen länger geschlossen, bis in das Frühjahr 2021 hinein.

Nicht nur die Wirtschaft veränderte sich in dieser Zeit, sondern auch die Art und Weise, wie Ökonomen die Entwicklung beobachten. Josef Baumgartner hat gemeinsam mit seinen Kollegen beim Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo als Reaktion auf die Corona-Krise ein Instrument zur Echtzeitbeobachtung der wirtschaftlichen Lage entwickelt.

Woche für Woche werten die Ökonomen rund um Baumgartner diverseste Datenquellen aus: etwa zu den Kreditkartenumsätzen und zum Lkw-Verkehr auf den Straßen. Sie analysieren Zahlen zur Luftfracht in Wien-Schwechat und Bewegungsdaten von Google und A1. Dazu kommen noch andere Informationen, etwa zum aktuellen Grad der Luftverschmutzung. All diese Informationen erlauben erstaunlich präzise und zeitnahe Rückschlüsse darauf, wie es der Wirtschaft geht und wie sich unterschiedliche Branchen entwickeln.

Anpassung an die Gegebenheiten

Die zunächst Woche für Woche und dann alle 14 Tage aktualisierten Diagramme erzählen die Geschichte dieser Krise für Österreichs Wirtschaft recht präzise. Der Lockdown ab Ende Dezember 2020 war in seinen Auswirkungen nicht mehr ganz so schlimm wie der erste, direkt nach Ausbruch der Pandemie verhängte.

Viele Unternehmen hatten sich an die neuen Gegebenheiten angepasst. Auch Gastwirte, die das davor nicht getan hatten, ermöglichten hungrigen Kunden Take-away. Der Handel setzt auf "Click and Collect".

Click and Collect war für viele Geschäfte im Lockdown eine Möglichkeit, mit ihren Kunden in Verbindung zu bleiben.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Dafür war die Wintersaison im Tourismus durch die Sperre der Hotels und der Gastronomie verloren: Von November 2020 bis April 2021 wurden in Österreich knapp 1,2 Millionen Ankünfte und rund 5,6 Millionen Übernachtungen verzeichnet. Das ist ein Minus von 92 beziehungsweise 91 Prozent gegenüber der ebenfalls bereits von der Pandemie überschatteten Wintersaison 2019/20.

Da Österreichs Wirtschaft stärker vom Tourismussektor abhängig ist, als das in den meisten anderen EU-Ländern der Fall ist, hat die Pandemie hier tiefere Spuren hinterlassen als im Rest Europas. Die Wirtschaftsleistung in der EU ist im vergangenen Jahr um 5,9 Prozent eingebrochen, in Österreich waren es laut den neuesten Zahlen der EU-Kommission 6,7 Prozent. Parallel dazu dürfte auch der Aufschwung in Österreich 2021 etwas schwächer ausfallen als im übrigen Europa.

Neue Erfahrung

Für die Republik war das eine neue Erfahrung. Bisherige Konjunktureinbrüche, etwa als Folge der Finanzkrise, hatte Österreich besser gemeistert als das übrige Europa. Diesmal war das anders. Das Mantra von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, Österreich komme im Vergleich zu anderen Staaten besonders gut durch die Krise, war damit widerlegt.

Zahlen des Wifo zeigen, dass Ende 2021 die heimische Wirtschaftsleistung um insgesamt 20 Milliarden Euro unter jenem Wert liegen wird, der in den Prognosen vor der Krise erwartet wurde.

Dafür waren zwei Faktoren verantwortlich: Neben der schon erwähnten größeren Bedeutung des Tourismus waren die Lockdowns in Österreich länger und strenger als in den meisten übrigen Ländern.

Die Daten des Wifo-Ökonomen Baumgartner zeigen, welche Auswirkungen das hatte: Seit Beginn der Pandemie war die Wirtschaftsleistung in Österreich beinahe durchgehend, also in jeder Woche, unterhalb des Vorkrisenniveaus von 2019. Erst im Sommer 2021 änderte sich das.

Gegenkräfte

Während der fehlende Tourismus und die ausbleibenden Gäste in den Lokalen die Wirtschaft nach unten zogen, waren jedoch auch Gegenkräfte am Werk, wie Baumgartner erklärt. Neben einem regelrechten Boom der Baubranche verzeichnete vor allem die Industrieproduktion ein kräftiges und in dieser Form zu Beginn der Pandemie nicht erwartetes Plus.

So wurden heuer mehr Maschinen und Autoersatzteile hergestellt als noch vor der Krise. Auch die Eisen- und Stahlerzeugung legte zu, ebenso die Papier- und Holzproduktion. Damit wurden auch Dienstleister, die den produzierenden Betrieben zuarbeiten, mit hinaufgezogen. Aber wie war das möglich?

Noch zu Beginn der Pandemie war aufgrund von Unterbrechungen in den Lieferketten, vor allem in China, ein drastischer Industrieeinbruch befürchtet worden. Dieser fiel geringer aus als gedacht, und die Krise zog zumindest für diesen Teil der Wirtschaft schnell vorüber. So war das weltweit, so war das in Österreich. Was ist die Erklärung dafür?

Zusätzliche Industrieproduktion

Weil Menschen in Industrieländern weniger Reisen konnten, Opern- und Theaterbesuche ausfielen, ebenso wie gemütliche Abendessen im Restaurant, gaben die Leute mehr Geld für Möbel, Fernseher, Computer und Handys aus. All das muss irgendwo produziert werden. In der Folge erholte sich nicht nur die Industrie, sondern auch der Welthandel stark.

20 Milliarden Euro ist die Wirtschaftsleistung 2021 niedriger, als es laut Prognosen ohne Pandemie gewesen wäre.
Foto: AFP / Justin Sullivan

Ein großer Teil der zusätzlichen Industrieproduktion in Österreich war für den Weltmarkt bestimmt. Die Plattform "Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft" hat die Entwicklung analysiert.

Die Zahlen aus dem Report sind beachtlich und spiegeln diesen weltweiten Heißhunger nach diversen Waren wider: Der Wert von Österreichs Güterexporten dürfte 2021 preisbereinigt um 10,6 Prozent zulegen. Die Ausfuhren liegen damit bereits klar über dem Vorkrisenniveau. Bei den Dienstleistungsexporten ist das anders, hier schlägt wieder die Tourismuskrise zu Buche.

Auswirkungen auf den Jobmarkt

Eine starke Industrie, eine starke Baubranche, ein schwächelnder Gastro- und Tourismussektor, Probleme im Handel durch die Lockdowns: Wie wirkte sich das auf den Jobmarkt aus? Auch hier traf es Österreich härter als viele andere Länder.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit fiel stärker aus: Die Zahl der Arbeitslosen stieg in Österreich über das vergangene Jahr um 31,4 Prozent, in Deutschland waren es 21,6 Prozent. Zu Jahresbeginn 2021 waren 951.470 Menschen im Land arbeitslos gemeldet oder in Kurzarbeit. Das entspricht immerhin jedem vierten unselbstständig Beschäftigten.

Aber hier kam die nächste Überraschung. Nach dem Einbruch folgte eine rasante Erholung, mit der niemand gerechnet hatte. Die Kurzarbeit ging dramatisch zurück. Im Oktober waren allerdings immer noch etwa 30.000 Menschen betroffen. Die Zahl der Arbeitslosen und Schulungsteilnehmer sank sogar unter das Vorkrisenniveau. Und statt über die vielen Menschen ohne Job zu sprechen, rückte ein neues Thema in den Fokus: der Mangel an Arbeitskräften.

Die bleibenden Narben der Krise

Allerdings bleiben auch hier Narben zurück. So gab es selbst im Herbst vor dem neuerlichen Lockdown um ein Vielfaches mehr Menschen in Kurzarbeit als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Kurzarbeit bedeutet zwar nicht, arbeitslos zu sein, aber ob diese Leute alle wieder voll in ihre Jobs zurückkehren können, ist oft fraglich.

Dazu kommt ein noch gravierenderes Problem: Es gibt mehr Langzeitbeschäftigungslose als vor der Krise. Aktuell sind es 156.000 Menschen, die in diese Kategorie fallen, wenn neben der Zahl der Arbeitslosen auch jene Menschen eingerechnet werden, die beim AMS eine Schulung machen, aber seit über zwölf Monaten nicht beschäftigt waren. Vor der Krise waren es um die 140.000 Betroffene; auf dem Höhepunkt der Pandemie um die 190.000.

Aber es gibt noch mehr Narben. Als Folge der Krise pumpte der Staat in Österreich so wie in vielen anderen Ländern viel Geld in Unternehmen. Laut Rechnungen des Finanzministeriums summieren sich die geleisteten Hilfszahlungen, gestundeten Steuerrechnungen und Haftungsübernahmen auf 40 Milliarden Euro.

Österreichs Staatsverschuldung ist in der Folge von 70 auf über 80 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Dieser Sprung war deutlich stärker als zum Beispiel in den Nachbarländern Deutschland und Schweiz, wenn auch nicht so dramatisch wie zum Beispiel in Italien.

Hohe Verschuldung

Wie sich Österreich das leisten konnte? Dank der Europäischen Zentralbank (EZB). Die hat als Folge der Krise kräftig interveniert und mit viel Geld Staatsanleihen der Euroländer gekauft. Dadurch drückte die EZB die historisch ohnehin schon tiefen Zinsen nochmals. Österreich kommt daher extrem günstig an Kredite.

Die Folge: Obwohl wir unseren Gläubigern mehr Geld schulden, müssen wir weniger Zinsen dafür zahlen. Die Kosten der Hilfspakete spürt also derzeit der Finanzminister nicht. Auch deshalb konnte die Koalition für das kommende Jahr eine Steuersenkung weitgehend wie vor der Pandemie geplant durchwinken.

Solange sich an der Niedrigzinspolitik der Zentralbank nichts ändert, wird der angehäufte Schuldenberg kein Problem darstellen, zumal ohne die zusätzlichen Ausgaben die Wirtschaft weit mehr gelitten hätte und die Zahl der Arbeitslosen zumindest vorübergehend stärker gestiegen wäre.

Inflation

Jedoch ist diese Entwicklung nicht ohne Risiko. Eine weitere Änderung in der Post-Corona-Ära betrifft ja die Inflation, die wieder zurück ist. Sie ist zuletzt im Oktober in der Eurozone auf 4,1 Prozent gestiegen, im November ging es weiter hinauf. Die EZB verpflichtet sich einem Inflationsziel von zwei Prozent. Nun spricht vieles dafür, dass die aktuellen Preissteigerungen wieder zurückgehen werden, weil vor allem Lieferschwierigkeiten die Inflation treiben.

Dazu kommt der gestiegene Energiepreis, gegen den die Zentralbanker ohnehin machtlos sind. Aber sollte die Inflation doch über dem Zielwert bleiben, müsste die EZB handeln und Zinsen anheben. Das wäre ein Problem für Österreich.

Vielleicht noch schlimmer als dieses gestiegene Risiko sind die Opportunitätskosten der Pandemie. 40 Milliarden Euro wurden gegen die Krise ausgegeben: Was erst hätte mit diesem Geld im Klimaschutz angerichtet werden können?

Lange Schulschließungen

Hinzu kommen andere Narben, die nicht sofort, wohl aber längerfristig sichtbar sein werden. Österreich war ein Land, in dem die Schulen besonders lange geschlossen blieben. Seit Beginn der Pandemie waren die Schulen 39 Wochen ganz oder teilweise gesperrt.

In Schweden waren es "nur" 24 Wochen, in der Schweiz sogar nur sechs und in Spanien 15. Hinzu kommt, dass zum Beispiel in Schweden Volksschulen nie geschlossen waren. Bildungsexperten sind sich weitgehend einig, dass Schullockdowns langfristig negative Folgen haben. Das zu berechnen ist kaum möglich.

Es gibt nur Möglichkeiten der Annäherung. Als Basis für die Debatte diente zuletzt eine ältere Studie aus Deutschland, wonach durch jedes zusätzliche Jahr an formaler Bildung das Erwerbseinkommen eines Menschen über das ganze Leben betrachtet im Schnitt um rund zehn Prozent steigt. Ähnliche Berechnungen für die USA gehen von plus elf Prozent aus.

Das Institut für Höhere Studien hat auf Basis dieser Zahlen eine überschlagsartige Rechnung dazu gemacht, was die Lockdowns in Österreich die Schüler später kosten werden. Dafür wurde angenommen, dass so, wie jedes zusätzliche Schuljahr mehr Geld bringt, jedes verlorene Jahr später zu gleich hohen Verlusten führt.

Für einen Vollzeitbeschäftigten, der im Schnitt 40.000 Euro Jahreseinkommen bezieht, bedeutet jeder Monat an Schulschließungen demnach einen künftigen Einkommensverlust von 270 Euro pro Jahr. Bei achtmonatigen Schulschließungen, die für Oberstufenschüler zusammenkamen, wären das 1920 Euro weniger im Jahr.

Solche Rechnungen sind bloß grobe Schätzungen, zumal die Distance-Learning-Angebote besser geworden sind. Aber auch das zeigen Studien: Kinder aus bildungsfernen Schichten wurden mit solchen Angeboten seltener erreicht. (András Szigetvari, Magazin "Portfolio", 16.12.2021)