Diesen Samstag könnte es zur größten Demonstration gegen Corona-Maßnahmen seit dem Frühjahr kommen.

Foto: APA/Punz

Man werde am Samstag "die Stadt lahmlegen" – mit dieser Ankündigung rufen einschlägige Gruppen aus der österreichischen Querdenkerszene zur Großdemonstration in der Bundeshauptstadt auf. An mehreren Orten in Wien verteilt wurden Kundgebungen angemeldet. Anzunehmen ist, dass sich die meisten Demonstranten in der Innenstadt versammeln werden. Angemeldet wurden laut Polizei mehr als 10.000 Teilnehmer. Es dürfte jedenfalls zum größten Protest gegen Corona-Schutzmaßnahmen der letzten Monate kommen.

Geplant ist diese Demo schon länger. Fahrt aufgenommen hat die Mobilisierung vor allem seit letzter Woche: Da kündigte die FPÖ ebenfalls an, demonstrieren zu wollen. "In Zusammenarbeit mit diversen Bürgerbewegungen" wirbt die FPÖ offiziell "für die Freiheit". Parteichef Herbert Kickl kann krankheitsbedingt zwar wider Erwarten nicht selbst teilnehmen und dementsprechend auch keine Rede halten, mobilisiert aber aus der Quarantäne weiter. Nach der Verkündung der Bundesregierung, dass eine Impfpflicht eingeführt werden wird, sprach er davon, dass die Regierung "das Land eiskalt in eine Diktatur" führe. Der "Impfzwang" sei zudem verfassungswidrig. Eine Ansicht, der die führenden Verfassungsexperten dieses Landes schon dutzende Male widersprochen haben. Teilnehmen wird dafür ein ehemaliger Parteifreund Kickls: Heinz-Christian Strache kündigte an, als "besorgter Staatsbürger" mitzugehen. Auch Teile des Heeres werben für die Demo.

Waffen und Kriegsrecht

Von einer anonymen Adresse wurde eine Mail an mehrere Redaktionen versandt, in dem zum "bewaffneten Widerstand" gegen den "Corona-Wahnsinn" aufgerufen wird. Der Absender spricht von "Tod oder Freiheit" und fordert "kein Lockdown" sowie "keine Impfpflicht". Direkt auf die Demonstration wird zwar nicht Bezug genommen, allerdings ist davon die Rede, dass das "freie Volk" am Samstag die "Coronadiktatur beenden" werde. In der Mail werden auch Morddrohungen gegen Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sowie Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) geäußert. Angehängt waren zudem Fotos von Waffen. Die Ermittlungen zum Absender laufen, heißt es aus dem Innenministerium. Die polizeilichen Maßnahmen seien entsprechend angepasst worden.

Chats in einschlägigen Gruppen offenbaren, wie sehr sich manche jener, die vorhaben, am Samstag zu demonstrieren, bereits radikalisierten: Ein User schreibt in einer Gruppe davon, dass man sich wohl im "Kriegsrecht" befinde. Ein anderer findet, Teile der Regierung gehörten "vor ein Volksgericht".

Auch die neue Partei MFG ruft zu einer Demo auf und kündigt Reden des Bundesparteivorstands an. Auf der Facebookseite der Partei schreibt ein User davon, dass die Regierung "offenbar einen Bürgerkrieg provoziert." Eine Userin schreibt: "Was sollen wir tun? Demonstrieren hilft nichts! Sollen sich alle bewaf...?", ein anderes Posting lautet: "Am 20.11. auf die Straße!! Aber nicht mehr friedlich !!!!" Jemand anders kündigt an, seinen österreichischen Pass zu verbrennen: "Will kein Staatsbürger mehr sein". Auf die Frage, wie man zu den Inhalten der Postings stehe und ob und nach welchen Kriterien die Seite moderiert werde, antwortet die MFG: "Wir distanzieren uns von jeglicher Form von Gewalt."

Der Chef der rechtsextremen Identitären, Martin Sellner, spricht davon, dass die "Antwort" auf die Impfpflicht "am 20. 11. in Wien erfolgen" müsse. Auch in der Vergangenheit waren Aktivisten der Identitären regelmäßig Teil von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Die Gruppierung "Corona Querfront" rund um den verurteilten Neonazi Gottfried Küssel ruft ebenfalls zur Demo auf, und zwar mit den Worten: "Kampf um die Freiheit. Gegen den türkis/grünen Terrorstaat". Es handle sich um eine "nationale Kraftanstrengung vom Boden- bis zum Neusiedlersee".

Schutz für jüdische Einrichtungen und Impfstraßen

Die Isrealitische Kultusgemeinde (IKG) Wien verschickte vor der Demonstration einen Sicherheitshinweis. Alle Mitglieder werden informiert, welche Versammlungen am Samstag in Wien geplant sind und dass diese ein gewisses Gefahrenpotenzial bergen. Dazu sah sich die IKG nicht zum ersten Mal veranlasst. Auch bei vergangenen Demonstrationen gegen Corona-Schutzmaßnahmen wurden derartige Warnungen verschickt. Das ist insofern nicht unbedingt verwunderlich, weil die rechtsextreme Szene bei diesen Demonstrationen in der Vergangenheit prominent vertreten war, mitunter auch aktiv zur Teilnahme aufgerufen und mobilisiert hat. Es werden jedenfalls in Abstimmung mit den Behörden auch Vorkehrungen zum Schutz der jüdischen Einrichtungen getroffen, heißt es seitens der IKG. Details können aus sicherheitstechnischen Gründen nicht nach außen kommuniziert werden.

Der Schutz von Impfboxen wird durch mehr Securitys verstärkt, teilt das Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf Anfrage mit. Zudem werde in Zusammenarbeit mit den Behörden sowohl die Anzahl der Securitys als auch die Polizeipräsenz vor dem Austria Center, wo die meisten Impfungen durchgeführt werden, erhöht. Vom Innenministerium heißt es außerdem, man könne nicht ausschließen, dass es zu "Aktionismus" in und vor Krankenhäusern kommen werde. Nachdem Spitäler zur kritischen Infrastruktur gehören, seien sie vom Verfassungsschutz informiert und sensibilisiert worden, außerdem sei ein verstärkter Streifendienst im Umkreis angeordnet worden.

Demos sind erlaubt

Die geplanten Demonstrationen sind übrigens mit dem aktuellen Lockdown für Ungeimpfte vereinbar. Denn: Eine derartige Versammlung ist einer der Ausnahmegründe, aufgrund derer diese Personen das Haus verlassen und auch Bundesländergrenzen überqueren dürfen. Für alle Demos gilt allerdings: Sobald mehr als 50 Personen teilnehmen, müssen alle Demonstrierenden FFP2-Maske tragen – es sei denn, ausnahmslos alle Teilnehmer können nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. Nachdem der Lockdown für alle ab Montag sich in den Ausgangsregeln an den aktuellen Regeln für Ungeimpfte orientieren wird, ist zu erwarten, dass die Demo-Teilnahme auch künftig – im generellen Lockdown – möglich sein wird.

Tatsächlich gab es seit Beginn der Pandemie nur ein Zeitfenster, in dem Demonstrationen nicht erlaubt waren: vom 10. März 2021 bis Ende April. Um genau zu sein, war damals schlicht unklar, ob es damals zulässig war, für die Teilnahme an einer Demonstration den öffentlichen Bereich zu betreten – es hagelte Kritik von Verfassungsjuristen, immerhin sind Demos ein besonders geschütztes Gut. Daher wurde im April klargestellt: Unter Einhaltung von Auflagen wie Abstandsregeln, Desinfektionsmittel und Schutzmasken können Demonstrationen stattfinden.

Einzelne Kundgebungen untersagt

Allerdings kann die Versammlungsbehörde – in dem Fall die Polizei – eine Demo untersagen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass damit die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. So geschehen bei einer geplanten Demonstration der FPÖ im heurigen Frühjahr, da befürchtete die Landespolizei Wien, dass mehrere Tausend Personen zu erwarten seien und diese sich außerdem zu großen Teilen nicht an Abstandsregel oder Maskenpflicht halten würden. Die LPD holte dabei auch eine Stellungnahme des Gesundheitsdienstes der Stadt Wien ein. Ein Richter des Verwaltungsgerichts erklärte diese Untersagung als unzulässig – allerdings mit einer höchst umstrittenen Begründung: Er zweifelte ganz allgemein an der Aussagekraft von PCR-Tests und Infektionszahlen, die vom Gesundheitsministerium kommuniziert werden. Die Polizei kann Einsprüche dagegen allerdings nicht geltend machen, somit ist das Urteil rechtskräftig – und kann für künftige Entscheidungen zumindest richtungsweisend sein.

Die Polizei hat im Vorfeld einige der für Samstag geplanten Versammlungen untersagt, allerdings vor allem aus formalen Gründen, wie ein Sprecher dem STANDARD sagt, also etwa, wenn mehrere Kundgebungen für einen Ort angekündigt wurden. Nicht untersagt wurden die größten Kundgebungen, darunter ein Marsch vom Heldenplatz über den Ring zum Ballhausplatz und eine Standkundgebung der FPÖ auf der Jesuitenwiese sowie eine Kundgebung samt Marsch der FPÖ auf dem Platz der Menschenrechte, bei denen laut Polizei jeweils 5000 Personen angemeldet wurden. Erlaubt wurde auch eine Kundgebung der Partei MFG auf dem Schwarzenbergplatz. Es ist jedoch, in Hinblick auf einschlägige Chats und den Postings der FPÖ davon auszugehen, dass sich die allermeisten Demonstranten in der Innenstadt versammeln werden.

Mehr als tausend Beamte im Einsatz

1300 Polizeikräfte werden laut LPD am Samstag im Einsatz sein, sie kommen aus verschiedenen Bundesländern. Man hoffe freilich, dass die Veranstaltungen ruhig ablaufen werden, so ein Sprecher, man sei aber auch gerüstet, wenn dem nicht so ist. Besonderes Augenmerk werden man auf die FFP2-Masken-Pflicht legen – nachdem nicht davon auszugehen ist, dass alle Teilnehmenden geimpft oder genesen sein werden. Man habe momentan aber keine Gründe dafür, von gröberen Verwaltungsübertretungen oder Ausschreitungen im großen Stil auszugehen – wäre dem so, hätte man die Demos untersagen müssen. Sollten aber etwa zahlreiche Leute die Maskenpflicht missachten und das Gemeinwohl gefährdet sein, kann sie die Polizei nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde auflösen.

ÖAMTC und ARBÖ zufolge wird der gesamte Ring von den frühen Nachmittagsstunden bis etwa 19 Uhr gesperrt, auch der Franz-Josefs-Kai dürfte gesperrt werden. Die Clubs rieten allen Verkehrsteilnehmern, den Innenstadtbereich etwa über den Gürtel zu umfahren. Massive Staus und Zeitverluste seien einzuplanen. (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 19.11.2021)