Die Hoffnung stirbt zuletzt. Während in Teilen des Landes die Spitalsversorgung vor dem Zusammenbruch steht, klammerte sich in den Tiroler Bergen das ganze Ischgl daran, nach 21 Monaten Pandemiepause endlich wieder aufsperren zu dürfen. Den Anfang wollte ausgerechnet jenes Lokal machen, das sinnbildlich für alles steht, was am Tiroler Covid-Ground-Zero im März 2020 passiert ist: das Kitzloch.

Wirt Bernhard Zangerl muss wegen des am Freitag verkündeten Lockdowns die für Samstag geplante Voreröffnung zwar verschieben. Doch sobald es wieder erlaubt ist, will er seine Après-Ski-Bar, in der sich damals Urlauber wie Personal im Partyexzess infizierten, wiedereröffnen.

Kitzloch-Wirt Bernhard Zangerl ging im Gegensatz zum offiziellen Ischgl in die Offensive, als der Ort im Frühjahr 2020 als "Virenschleuder" im medialen Fokus stand. Seine Offenheit hat er nie bereut, wie er sagt.
Foto: Florian Lechner www.florianlechner.com

Treue Fans

"Die Stimmung ist gut, aber wir waren schon optimistischer", sagt der junge Wirt angesichts des Lockdowns, der ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Nun stehen die massiven hölzernen Barhocker am Tresen. Getränkekisten türmen sich im Gang von der Küche in den Gastraum. Zangerl nimmt an einem der bereits aufgedeckten Tische Platz und erklärt, wie der "kontrollierte Neustart" funktionieren soll.

Reservierungspflicht, 2G-Regelung und strenge Einlasskontrollen sollen "eine Saison ähnlich wie früher" möglich machen. Auf die "primitivsten Lieder" wird der DJ verzichten, das sei zuletzt etwas aus dem Ruder gelaufen.

Aber grundsätzlich ist Après-Ski für Zangerl eine Form von Kultur: "Auch wenn das manche provozieren mag, aber es ist einfach Nachtgastro, die am Nachmittag und in Skikleidung stattfindet." Das mag nicht jedermanns Sache sein, aber er fordere ja auch kein Verbot von Opern, nur weil sie ihm nicht gefallen.

Zangerl weiß, was seine Gäste wollen. Und die Buchungslage gibt ihm recht: "Im Hotel wären ab Ende November 90 Prozent der Zimmer reserviert gewesen." Die Ischgl-Fans halten der Partymetropole die Treue.

Imagekorrektur

Doch das offizielle Ischgl fährt einen anderen Kurs. "Wir wollen den Gast, der zum Skifahren kommt und das Naturerlebnis sucht, in den Mittelpunkt stellen", erklärt der Chef der Silvrettaseilbahn AG, Günther Zangerl. Tourismusobmann Alexander von der Thannen versucht den Kurswechsel mit Zahlen zu untermauern: "95 Prozent kommen zum Skifahren zu uns." Allerdings merkt er selbst an, dass bei der Gästebefragung 80 Prozent "Unterhaltung und Après-Ski" als zweitwichtigstes Urlaubsmotiv nannten.

Die "Bus- und Partytouristen, die nur zum Feiern kommen", will von der Thannen künftig "ausgrenzen": "Das ist nicht unser Zielpublikum." Bürgermeister Werner Kurz unterstützt den neuen Kurs. Mit ortspolizeilichen Verordnungen, vom abendlichen Skischuhverbot im Ort bis zum rigorosen Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen, soll das gelingen.

Doch anders als im Kitzloch, wirkt der Neustart des offiziellen Ischgl wenig authentisch. Der Ort, dessen Slogan "Relax. If you can ..." lautet, als Mekka für naturverbundene Skisportler? Auch Barbetreiber Zangerl hat daran seine Zweifel: "Natürlich wird es wieder Party geben. Kein einziges Après-Ski-Lokal ist verschwunden, die sperren alle wieder auf." Mit seiner offenen Ehrlichkeit hat der Kitzloch-Chef im Frühjahr 2020 vorexerziert, wie Krisenkommunikation funktioniert.

Auskunftsfreudiger Wirt

Ohne jegliche Medienerfahrung ging er in die Offensive. Noch während er selbst mit dem Virus infiziert in Heimquarantäne saß, wandte sich Zangerl an die Öffentlichkeit. Am 4. April 2020 entschuldigte er sich im Gespräch mit dem STANDARD bei seinen Gästen: "Mir tut es extrem leid um jeden, der sich bei uns angesteckt hat."

Die internationale Presse stürzte sich auf den auskunftsfreudigen Wirt. Und der gab bereitwillig Interviews, während sich das offizielle Ischgl in eisernes Schweigen hüllte.

Zangerl nutzte die Aufmerksamkeit für sich. Sein Kitzloch ist heute wohl die bekannteste Après-Ski-Bar der Welt: "Vor Corona waren wir in Ischgl eines der unbekannteren Lokale." Die Medien haben seine Offenheit nie ausgenutzt, sagt Zangerl: "Ich habe hunderte Interviews gegeben und wurde nicht ein einziges Mal falsch wiedergegeben. Viele waren kritisch, aber alle waren fair."

Am medialen Pranger

Ganz anders blicken der Seilbahnchef, der TVB-Obmann und der Bürgermeister auf diese Zeit zurück. Dort sieht man die Medien als Mitschuldige am Desaster, das den Skiort zur "Virenschleuder Europas" gemacht hat. "Wir wurden von der Öffentlichkeit zu Unrecht an den Pranger gestellt", beklagt von der Thannen noch heute. Die Verbitterung ist spürbar. Die Journalisten seien voreingenommen gewesen, hätten nicht richtig recherchiert, nicht nachgefragt.

Dass der Tourismusverband unter seinen Mitgliedern damals einen Maulkorberlass ausgegeben hat, davon will man heute nichts mehr wissen. Aus "Werbepartnern" seien plötzlich Feinde geworden, zeigen sich die Funktionäre immer noch tief enttäuscht. Denn eigentlich liebte Ischgl die Medien, aber eben nur, solange die Medien auch Ischgl liebten.

Schwieriges Verhältnis

Kitzloch-Wirt Zangerl nimmt sich weiterhin kein Blatt vor den Mund. Das Mauern der Verantwortlichen im Frühjahr 2020 beurteilt er als "Fehler", daher habe er sich nicht an das verordnete Schweigen gehalten. Mit diesem Eigensinn düpierte er die hochbezahlten PR-Profis, die hinter der Marke Ischgl stehen. Es sollten Monate vergehen, bis sich der Ort zu einer öffentlichen Entschuldigung bei seinen Gästen durchringen konnte.

Auf die Frage, ob das nicht vielleicht ein Fehler in der Kommunikation gewesen sei, antwortet Bürgermeister Kurz angriffig: "Oder ein Fehler in der Berichterstattung." TVB-Obmann von der Thannen sagt: "Warum sollen wir uns für etwas entschuldigen, für das wir nichts können? Irgendwer muss das Virus ja nach Ischgl gebracht haben. Wir haben es nicht erfunden."

Das Verhältnis zu kritischer Öffentlichkeit bleibt in Ischgl ein schwieriges. Selbst am Bild der exzessiven Partymetropole seien "die Medien" schuld, beklagt von der Thannen: "Wir haben vier Fünf-Sterne-Hotels und neun Restaurants mit insgesamt 24 Hauben." Aber berichtet werde stets nur über Après-Ski und Saufgelage: "Nach außen wird nicht wahrgenommen, was wir transportieren wollen."

Die Geister, die sie riefen

In Wahrheit hat Ischgl genau dieses Image des Alpen-Ibiza über Jahrzehnte gepflegt und aufgebaut. Die Konzertevents zum Saisonstart und -ende lockten zehntausende Besucher an. Immer waren dabei die besten Plätze auf der Idalp den Journalisten vorbehalten.

Die Reiseredakteure auflagenstarker Medien in den wichtigsten Zielmärkten wurden hofiert und umgarnt. Für "wohlwollende Berichterstattung" gab es im Gegenzug kostenlose Aufenthalte in den Luxusherbergen Ischgls. Dieses System hat bis Corona bestens funktioniert. Nicht nur in Ischgl, so läuft Öffentlichkeitsarbeit in allen namhaften Tourismuszentren.

TVB-Obmann von der Thannen beschreibt den Bruch in der Beziehung zu den Medien so: "Ich glaube nicht, dass die Presse ein Feindbild für Ischgl geworden ist. Aber ich glaube, dass die Presse sehr zu Unrecht Ischgl als Sündenbock für eine Pandemie auserkoren hat." Und auch jetzt, vor dem erhofften Neustart, der am 25. November hätte stattfinden sollen, nun aber verschoben werden muss, fühlt man sich zu Unrecht im Fokus kritisch-medialer Aufmerksamkeit.

Dabei steht der Ort gut da, es gibt keinen Grund, sich zu verstecken. Aktuell sind nur vier aktive Covid-Fälle zu verzeichnen, die Durchimpfungsrate liegt bei etwa 80 Prozent, fast die Hälfte der Bevölkerung zählt zudem zu den Genesenen. Maskenpflicht und 2G-Regelung werden überall penibel eingehalten. Man hat aus der Krise insofern gelernt, als man dem Infektionsgeschehen keine Chance mehr gibt. Die Silvrettaseilbahn AG hat gut 700.000 Euro in Corona-Prävention investiert.

Ob der Neustart gelingt, werden die kommenden Monate zeigen. Die Buchungslage war vielversprechend. Ob diese Gäste die treuen Ischgl-Fans sind, die Après-Ski-Gaudi à la Kitzloch suchen, oder die neue Zielgruppe naturverbundener Ski-Enthusiasten, bleibt ungewiss. (Steffen Arora, 20.11.2021)