Wien – "Ich darf mich in kein Kaffeehaus mehr setzen, mir keine Schuhe mehr kaufen. Nur arbeiten und essen darf ich noch. Danke, liebe Regierung." Die Verkäuferin einer Wiener Diskonthandelskette macht aus ihrem Frust keinen Hehl. Maske trägt sie keine. Impfen will sie sich nicht lassen, vor allem dann nicht, wenn der Druck auf Ungeimpfte steigt.

Am Samstag wurde vielerorts rege eingekauft. Am Montag legt Österreichs Handel eine Vollbremsung hin.
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Es geht hier doch um mehr als um die Freiheit des Einzelnen, sagt Gyöngyi Verginelli, die einige Häuserblocks weiter das Schreibwarengeschäft Papierello führt. Sie schüttelt ob unbeirrbarer Impfgegner unwirsch den Kopf. "Wir tragen auch für andere Verantwortung. Irgendwann muss diese ganze Krise einfach ein Ende nehmen."

Auf dem Weg durch die Meidlinger Hauptstraße prallen Gegensätze aufeinander. Fronten zwischen Geimpften und Ungeimpften sind verhärtet. Einzig Wut und Unverständnis über die Maßnahmen gegen die Pandemie vereinen beide Lager – genährt freilich von unterschiedlichen Motiven. Die einen halten diese für zu streng, die anderen für zu lasch.

Alle im selben Boot

Ab Montag sitzen alle wieder im selben Boot: Österreich taumelt in den nächsten bundesweiten Lockdown. Waren bisher nur Ungeimpfte quer durchs Land von den rigiden Ausgangssperren betroffen, gelten diese ab Montag für alle. Bis auf systemrelevante Einzelhändler wie Supermärkte, Drogerien und Apotheken sperren alle Geschäfte zu.

Ob sie den neuerlichen Stillstand finanziell überlebt, ist für Verginelli ungewiss, obwohl ihr Papierello seit 1945 allen Turbulenzen widerstand. Schon heuer sei es schwer gewesen, bis in den September hinein durchzuhalten. "Aber es geht nicht nur um uns Unternehmer. Was ist mit jenen, die ihre Jobs verlieren?"

Noch schlimmer als um Händler ist es ihrer Ansicht nach um die Wirte und Friseure bestellt. Eingekauft werde für Weihnachten ja nach wie vor. Dienstleister aber holten verlorenes Geschäft nur mehr schwer auf.

Sündenbock

Die Angestellte des Diskonters ist sich freilich sicher, dass Covid weder durch Impfungen noch durch den vierten Lockdown beizukommen sei. Zu Sündenböcken würden Menschen wie sie gemacht, klagt sie. Ihre Meinung zu Corona traue sie sich kaum noch frei zu äußern. Medien verdrehten die Fakten. Allein die sogenannte Wahrheit der Regierung habe Gültigkeit.

Besonders jedoch empört sie, dass ein tiefer Keil zwischen sie und Geimpfte getrieben werde. Sie selbst sei nach einem schwachen Krankheitsverlauf genesen und lasse sich regelmäßig testen. "Österreich sollte die Corona-Regeln allesamt überdenken und Menschen ihre Freiheit zurückgeben."

Bis zu 20 Tage Stillstand

Doch davon ist vorerst keine Rede. Bis zu 20 Tage soll der Stillstand des öffentlichen Lebens währen und ab 12. Dezember fließend in einen weiteren Lockdown für Ungeimpfte übergehen. Der Gang zum Wirten bleibt diesen damit weiter verwehrt. Eingekauft werden dürfen nur Produkte des täglichen Bedarfs.

Wer "verhindert" sei, diese Filiale zu betreten, dürfe klingeln und bekomme die gewünschte Ware am Eingang ausgehändigt, steht an der Tür einer Handelskette in Meidling geschrieben. Bisher habe aber kaum einer dieses Angebot angenommen, heißt es auf Nachfrage. Kontrolliert wird der 2G-Nachweis von Händlern ohnehin nur in Ausnahmefällen.

Die Restriktionen für Ungeimpfte zeigen ja nicht gerade große Wirkung, meint eine Maroniverkäuferin achselzuckend und deutet auf den immer breiteren Strom an Passanten, der sich in Geschäfte rund um ihren Stand ergießt. Zu Beginn der Krise hätten viele Leute noch Angst gehabt. Mittlerweile aber halte sich kaum mehr einer an die Verordnungen. "Alle haben sie satt."

Sie selbst arbeitete im Sommer in der Gastronomie und erinnert sich ungern daran. "Keiner kannte sich mehr aus. So viel Aggressionen der Gäste gegen uns Mitarbeiter habe ich noch nie erlebt. Einen kurzen Lockdown für alle mit einheitlichen Spielregeln hält sie für klüger.

Hitzige Preisschlachten

Doch ehe die Wirtschaft einmal mehr ins Wachkoma versetzt wird, herrschte am Samstag im Handel reges Treiben. Menschenschlangen in Einkaufsstraßen haben seit Covid ebenso Tradition wie hitzige Preisschlachten. Dennoch werden viele Unternehmer auf ihrem saisonalen Sortiment sitzen bleiben.

Die Abholung nach Vorbestellung übers Telefon oder via Web ist nur ein Tropfen auf heißem Stein. Von der Flucht der Konsumenten in den Onlinehandel profitieren primär internationale Internetriesen.

Von einer historischen Katastrophe spricht Handelsobmann Rainer Trefelik. Wesentliche Teile des stationären Handels seien existenzgefährdet und damit selbstredend seine Arbeitsplätze, klagt Handelsverbandschef Rainer Will.

Die Ausweitung des Lockdowns auf die gesamte Bevölkerung kostet den Non-Food-Handel pro Einkaufstag brutto 115 Millionen Euro an Umsatz, rechnet Christoph Teller von der Kepler Uni Linz vor. Verlängere sich der Stillstand bis in den Dezember hinein, wachse sich das Minus auf bis zu 140 Millionen Euro aus.

Vor allem verlorene Zeit rund um den 8. Dezember treffe den stationären Handel ins Mark, warnt Teller. Zentral seien die Tage vor und nach Weihnachten. Da bestellten nur wenige ihre Geschenke online.

Keil durch den Konsum

"Nie zuvor war die Stimmung im Handel so schlecht", seufzt Svjetlana Pranjić, deren Geschäft seit dem jüngsten Lockdown light trotz treuer Stammkunden flauer und flauer wurde. 90 Jahre ist ihr "Knopfkönig"alt und eine Meidlinger Institution. Als "Lehrmädel" begann sie vor 30 Jahren, ehe sie den Spezialisten für Nähzubehör übernahm.

Die Spaltung der Österreicher in ungeimpft und geimpft hält sie für falsch. "Entweder ein Lockdown für alle oder für keinen."

Dennoch wird ihr angesichts des völligen Stillstands des Handels so kurz vor den umsatzstärksten Monaten des Jahres angst und bange.

"Ich lebe von Weihnachten", sagt sie. Nun werde sie wohl einmal mehr verzweifelt zusehen müssen, wie ein Drogeriemarktkonzern, für den der von der Regierung ausgerufene Ladenschluss nicht gilt, Massen an Kunden mit Wolle und Garnen versorge, während ihr selbst die Hände gebunden seien. (Verena Kainrath, 20.11.2021)