Der Lustenauer ÖVP-Bürgermeister Kurt Fischer resümiert im Gastkommentar das pandemische Krisenmanagement.

Illustration: Aydogdu Fatih
"'Schau auf dich, schau auf mich' – es ist schwer, aus dem sloganverliebten Inszenierungsmode in den Katastrophenschutzmode umzuschalten."

Vor einem Jahr, im November 2020, hat sich ein großes internationales Consultingunternehmen mit der Frage beschäftigt, wie man Organisationen aus der Pandemiemüdigkeit herausführen kann. Ein Phasenmodell der Krisenbewältigung diente dabei als Grundlage. Zu Beginn der Krise, so das Modell, kommt es zu einer "heroischen Reaktion", die in einem gesellschaftlichen "Honeymoon" gipfelt: Bei uns hieß das #VorarlbergHältZusammen oder noch lokaler #LuschnouHebtZämmo.

Nach diesem Hochgefühl des gesellschaftlichen Zusammenhalts folgt eine lange Phase zunehmender Desillusionierung, die dann abgelöst wird von Trauerarbeit. Der Weg durch die Krise kann durch unterschiedliche Haltungen im Krisenmanagement beeinflusst werden. Wer mit übertriebenem Optimismus reagiert und die psychologischen Bedürfnisse der Menschen nicht beachtet, verschärft über kurz oder lang die Desillusionierung. Es braucht Zeichen begründeter Hoffnung, Botschaften eines "wohltemperierten" Optimismus.

Fehlende Strategie

Als diese Überlegungen zur Pandemiemüdigkeit publiziert wurden, mitten in der zweiten Welle, war uns im Lustenauer Corona-Krisenstab bewusst, dass die Phase des solidarischen Zusammenhalts längst vorbei war und sich Pandemiemüdigkeit breitgemacht hatte. In einer Weihnachtsbotschaft an die Lustenauer Bevölkerung, wohltemperiert optimistisch, haben wir kritisch angesprochen, was uns auch selbst zunehmend ermüdet: ständig sich ändernde rechtliche Rahmenbedingungen und das Fehlen einer klar kommunizierten Strategie. Wir haben aufgezeigt, wie dadurch das Vertrauen der Menschen in das Katastrophenmanagement und ihre Bereitschaft, zu kooperieren und eigenverantwortlich zu handeln, deutlich gemindert werden.

Seither ist viel passiert, wir haben uns ins neue Jahr getanzt und unterschiedlich stark gehämmert – der Hammer für uns in Lustenau war sicher die Verordnung einer roten Zone mit FFP2-Masken- und Testpflicht am Höhepunkt der dritten Welle. In enger Abstimmung mit dem Krisenstab des Landes Vorarlberg haben wir diese unpopuläre Maßnahme nach dem "Principle of One Voice" kommuniziert.

Zeit verloren

Die Impfung, der ersehnte Gamechanger, kam erfreulich schnell, manche konnten es kaum erwarten. Der Impfneid ist längst einer Impflethargie gewichen, die Delta-Variante hat uns wie kaum ein anderes Land im Griff – unseren Spitälern droht der Corona-Kollaps und lässt uns verzweifelt (weil viel zu spät) nach dem Hammer greifen.

Der Bundespräsident, in höchster Sorge, wendet sich an die Nation. Niemand denkt im Ernst daran, wozu ihn die Verfassung befähigt, auch wenn die Wüste wächst. "Wir dürfen keine Zeit (mehr) verlieren. Wir müssen faktenbasiert handeln. Wir müssen auf unser Gesundheitspersonal achten. Wir müssen Menschenleben retten." Seit diesem Appell ist eine Woche vergangen, wieder ging wertvollste Zeit verloren. Warum?

Die Suche nach den Ursachen führt uns zurück in die Frühphase der Krise.

Der "Chatlag"

Statt im "Honeymoon" den gesellschaftlichen und politischen Zusammenhalt zu stärken, wurden "heroische" Pressekonferenzen inszeniert, großflächig inseriert und – gut gemeint – Handlungsanweisungen infantilisiert. Der Babyelefant hat im Porzellanladen der Krisenkommunikation einen Scherbenhaufen hinterlassen. "Schau auf dich, schau auf mich" – es ist schwer, aus dem sloganverliebten Inszenierungsmode in den Katastrophenschutzmode umzuschalten. Besonders schwer für "die scheinbar harmlose Form der Public-Relations-Manager in der Regierung, die bei Reklame-Experten in die Lehre gegangen sind" (Hannah Arendt). "Ein Sommer wie damals" und "das Ende der Pandemie für Geimpfte" – je höher die durch Werbebotschaften geweckten Erwartungen, desto tiefer der Fall.

Am schlimmsten aber ist das Gegeneinanderregieren: das täglich auf offener Bühne aufgeführte Geplänkel über Maßnahmen, das Diskreditieren und Dementieren, entbehrliche, alternativfaktische Wortspenden zur Beruhigung von Lobbys. Warum diese Unbeweglichkeit, dieses Einzementieren in unhaltbare Positionen? Die Handlungsfähigkeit der Regierung leidet nicht nur unter der allgemeinen Pandemiemüdigkeit, sondern auch unter dem "Chatlag" der NVP (Neue Volkspartei). Zum pandemischen Krisenmanagement gesellt sich ein zeit- und kräfteraubendes Krisenmanagement in eigener Sache. Enge Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter sind in einer Double-Bind-Situation und vor allem gefangen in einer Sunk Cost Fallacy, wie sie Sascha Lobo kürzlich in einem anderen (Corona-)Zusammenhang beschrieben hat. Man hat schon so viel in (s)eine Position investiert, dass man sie unmöglich aufgeben kann.

Größter Respekt

Österreich – ein pandemiemüdes Land – mit "hässlichen Bildern", die vermeidbar gewesen wären, auch wenn uns Corona mit der Delta-Variante die bisher dunkelste Seite zeigt. Vergessen wir in der scheinbaren Sicherheit der Impfoase nicht, dass in diesen Tagen in Österreich nicht nur tausendfach Corona "diagnostiziert" wird, sondern viele Menschen niederschmetternde Diagnosen erhalten. Wer das selbst erlebt hat, hat eine Vorstellung davon, was die katastrophale Entwicklung an unseren Spitälern für diese Menschen bedeutet. Sie möchten die Sicherheit haben, schnellst- und bestmöglich behandelt zu werden, damit die Heilungschancen optimal genutzt werden können.

Ich habe die Qualität unserer medizinischen Versorgung vor gut sieben Jahren intensiv erlebt – ich habe größten Respekt vor dem, was unsere Spitäler leisten, und bin den Menschen dort unendlich dankbar. Wie ihnen mitgespielt wird, macht mich tief betroffen.(Kurt Fischer, 21.11.2021)