Von der "unwahrscheinlichen" Liebe zweier Männer: Franz Rogowski (links) und Georg Friedrich als Zellengenossen in "Große Freiheit".

Foto: Filmladen

Versteckte Kameras halten die Begegnungen auf den öffentlichen Toiletten fest. Männer, die sich anblicken und in den Kabinen verschwinden, die manchmal auch schon im Raum davor miteinander Sex haben. Das Auge der Überwachung gehört dem Staat, als "widernatürliche Unzucht" wird das Geschehen vor Gericht verurteilt werden. Hans Hoffmann (Franz Rogowski), der auf den Bildern wiederholt zu sehen ist, muss hinter Gitter, nicht das erste Mal. Seine Bewegungen vor dem Polizisten bei der Leibesvisitation könnte man durchaus als routiniert bezeichnen.

Piffl Medien

Das Jahr, in dem Sebastian Meises Große Freiheit beginnt, ist 1968, erst ein Jahr später wurden homosexuelle Handlungen bei einem Schutzalter von 21 Jahren entkriminalisiert. Der Paragraf 175, auf dessen Grundlage in Deutschland rund 50.000 Verurteilungen ausgesprochen wurden, verschwand endgültig erst 1994 aus den Gesetzbüchern.

Was das für das Leben eines schwulen Mannes bedeuten konnte, dafür liefert der bereits auf dem Festival von Cannes ausgezeichnete Film auf so konzentrierte wie berührende Weise Anschauungsmaterial. Der Film des Tiroler Regisseurs ist in erster Linie ein Gefängnisdrama, das sich dann allmählich zu einer "unwahrscheinlichen" Liebesgeschichte erweitert. Das Eingesperrtsein und das Aufeinanderangewiesensein sind in dem Drehbuch von Meise und Thomas Reider spiegelbildlich verbunden. Eine ungewöhnliche und lohnende Konstruktion, erzählt das Zuchthausdrama doch sonst vornehmlich von sozialer Auslese oder dem gemeinsamen Drang ins Freie.

Diskret und leise

Große Freiheit ist bei aller Gewalt der Freiheitsbeschränkung, die sich in den geduckten Körpern und klaustrophobischen Zellen ausdrückt, ein diskreter Film. Er sucht nicht das Pathos, sondern einen leisen, verinnerlichten Ton, ähnlich den schwermütigen Saxophonklagelauten von Peter Brötzmann, die sich manchmal über die Bilder legen. Von der Freiheit gibt es keinen rechten Begriff, einmal schlägt Hans seinem ebenfalls eingesperrten Geliebten die DDR als späteren Fluchtort vor.

Das Gefängnis – gedreht wurde an einem Realschauplatz in Ostdeutschland – ist auch eine Zeitkapsel, denn zwischen einem Schnitt und dem nächsten können Jahrzehnte liegen. So sehen wir Hans (mit kürzeren Haaren) bereits einmal kurz nach Kriegsende, als ihn die Alliierten aus dem Konzentrationslager direkt ins Gefängnis überführen und bald auch in Einzelhaft stecken. Alles wird sich endlos wiederholen. Ein trauriges Zeichen von Kontinuität im Übergang von einem Unrechtsregime zur Demokratie.

Die KZ-Nummer auf dem Arm bildet neben den Zigaretten schließlich ein wichtiges Verbindungsstück zu Viktor (Georg Friedrich), Hans’ grobschlächtigem Zellengenossen. Der reagiert zuerst mit homophober Abwehr auf den Neuen, hat aber dann doch ein so großes Unrechtsbewusstsein – man könnte auch sagen: Herz –, dass er ihm ein "Peckerl" anbietet, um die Nummer auszuradieren.

Verletzlich und fragil

Die Beziehung zwischen den beiden ungleichen Darstellern ist fraglos die große Attraktion des Films: In Friedrichs Spiel tarnt sich Verletzlichkeit fast unbeholfen als Ungeschmeidigkeit, während Rogowski etwas von einem gefallenen Engel hat. Meise filmt ihn oft in der Dunkelheit, mit nur von einem Zündholz erhelltem Gesicht, oder er betont einzelne, fragile Körperteile.

"Immer noch da?", fragt der eine, "Immer noch pervers?", der andere. Obwohl die sich über Jahre intensivierende Beziehung zwischen Hans und Viktor eine ironische Seite behält, wagt Große Freiheit noch ein ganzes Stückerl mehr. Es geht nämlich nicht nur um die Idee der Toleranz, also darum, den anderen "einfach" zu respektieren. Wichtiger ist noch, in einem disziplinarischen Modell wie dem Gefängnis auf die kleinen menschlichen Abweichungen zu bestehen, die versteckten Dienste und heimlichen Gefallen, auf die Meise im Film viel mehr Acht gibt als auf die Bestrafung durch Aufseher. Eine einzige schützende und trostvolle Umarmung am Gefängnishof wiegt dann weitaus mehr als die Prügel, die darauf folgen.

In seinem Spielfilmdebüt Stillleben (2011) hat Meise ein Drama um das verborgene Begehren eines Familienvaters erzählt. In Große Freiheit, der auch für Österreich ins Oscar-Rennen geht, braucht es keine Fragen des Outings mehr: Die beiden Männer sind durch ein gerade auch in der Sozialphilosophie wieder sehr präsentes Modell der wechselseitigen Fürsorge verbunden. Das Gefängnis bietet den repressiven Rahmen für eine Freundschaft, in der man einander beisteht und irgendwann nichts mehr dafür verlangt. Da ist es dann nur konsequent, dass man mehr bekommt – nämlich eine Freiheit, die man noch gar nicht kannte. (Dominik Kamalzadeh, 20.11.2021)