Zehntausende marschierten um den Ring.

Foto: Christian Fischer

Angeführt wurde die Demo von den Identitären.

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Es waren viele Österreich-Fahnen zu sehen.

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Die Frau ist empört. Absolut schrecklich sei das, sagt sie: Immer mehr Jugendliche würden an Impfschäden sterben. Ihre Freundin nickt überschwänglich und entgegnet: Nichts anderes als ein Genozid gehe hier von statten, und fast niemand bemerke es. Dann stimmen sie beide ein in den Chor der Masse und rufen: "Widerstand! Widerstand!"

Gespräche wie dieses sind bei der Demonstration gegen Coronamaßnahmen am Samstag in der Wiener Innenstadt allgegenwärtig. Es ist eine Demo, die unter dem Motto "Für die Freiheit" beworben wurde und zu der die FPÖ gemeinsam mit Gruppen aus der österreichischen Querdenker-Szene aufgerufen hatte. Der Tenor vor Ort: Gegen Lockdown, gegen die Impfung. 40.000 Personen sind dem Aufruf laut Polizei gefolgt.

Gewalt-Parolen

Bereits am frühen Nachmittag sammeln sich Tausende am und rund um den Heldenplatz. Mehrere Märsche werden von unterschiedlichen Treffpunkten nahe der Innenstadt zum Ring geleitet. Auch die neue Impfgegner-Partei MFG beteiligt sich am Protest, viele sind mit Fahne oder Plakat als Parteianhänger erkennbar. Musikalische Untermalung liefern zum Beispiel Xavier Naidoos "Dieser Weg wird kein leichter sein" oder die Hymne der FPÖ, "Immer wieder Österreich". Manche Demonstranten skandieren Parolen wie "Hängt Nehammer" oder "Schallenberg in den Knast."

Mitunter werden klassisch linke Slogans neu interpretiert: "Mein Körper gehört mir" – vermutlich eine Anspielung auf den Slogan "Mein Bauch gehört mir" der Frauenbewegung – ist etwa auf einem Plakat zu lesen. Daneben trägt eine Person eine Regenbogenfahne, eine andere hält ein Plakat mit der Aufschrift "Antifaschist für immer". Überhaupt sind Faschismus und Diktatur prägende Begriffe der Demo: Gegen beides wolle man sich zur Wehr setzen, wird von den Teilnehmern vermittelt.

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Diktatur und Faschismus

Das ist nicht unbedingt verwunderlich: Am Freitag meinte auch FPÖ-Chef Herbert Kickl, dass Österreich nun eine Diktatur sei, nachdem die Regierung den Lockdown sowie die geplante Impfpflicht verkündete. Am Samstag spricht der aktuell an coronainfizierte Parteichef dann ein paar Meter vom Heldenplatz entfernt zu ein paar hundert Zuhörern live aus der Quarantäne. Er wird auf einer Leinwand zugeschalten: "Die Regierung muss akzeptieren, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung völlig gesund ist und nach menschlichem Ermessen nicht ernsthaft und lebensgefährlich bedroht wird."

Einige Teilnehmer tragen eine Maske, sie sind jedoch in der klaren Minderheit. Immer wieder sagt die Polizei per Lautsprecher durch, dass eine Maskenpflicht besteht, vereinzelt fischt sie Personen zur Kontrolle raus. Bevor sich die Demo in Bewegung setzt, hält manch Szenegröße noch eine Rede, darunter etwa der Kärntner Martin Rutter: "So etwas hat sich unser schönes und stolzes Land eigentlich nicht verdient – dass so viele aufstehen müssen gegen eine schwerst unfähige Regierung".

Bei früheren Demonstrationen aus dieser Szene wurde mehrmals versucht, Polizeiketten zu durchbrechen. Am Samstag ist die Stimmung zwar aufgeheizt, es kommt aber nicht in großem Stil zu Angriffen gegen die Exekutive. Eine politische Gegendemo gibt es am Nachmittag nicht. Eine angemeldete und genehmigte Demonstration der Gruppe "Trans*tifa Wien", die anlässlich des "Internationalen Gedenktages an Opfer von transphober Gewalt" stattfinden hätte sollen, wurde noch am Freitagabend kurzfristig abgesagt. "Die Gefahr von Angriffen war einfach zu groß", heißt es vom Organisationsteam.

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Unter rechter Führung

Als sich schließlich nach und nach ein Demozug auf dem Ring formiert, postieren sich Aktivisten der Gruppe "Die Österreicher", die Nachfolgeorganisation der rechtsextremen Identitären, an der Spitze. Die Symbole beider Gruppierungen sind hierzulande verboten. Die Demonstration setzt sich in Gang, auf den Fronttransparenten ist "Kontrolliert die Grenze, nicht euer Volk" sowie "Großer Austausch, Great reset – Stoppt den Globalistendreck" zu lesen. Die Menge skandiert abwechselnd "Widerstand" und "Wir sind das Volk", später auch "Antifa jagen!" Es werden Zettel mit Fotos von Journalisten verteilt, auf denen sie als "Denunzianten" bezeichnet werden.

Ab dann wird die Lage unübersichtlich. Gegen 16 Uhr erreicht die Spitze des Demonstrationszuges wieder den Heldenplatz, wo für den Abend eine Abschlusskundgebung angemeldet ist. Doch ein Demozug setzt sich spontan in Richtung Mariahilferstraße in Bewegung, erneut angeführt von Hooligans und Rechtsextremen. Touristen, Ladenbesitzer und deren Kundschaft ziehen sich sichtlich überrascht von der plötzlich auftauchenden Masse an Demonstranten in die Geschäfte zurück und schließen die Türen. Polizeipräsenz ist zu diesem Zeitpunkt kaum mehr wahrzunehmen.

Es beginnt ein Katz und Maus-Spiel. Verschiedene Demonstrationszüge ziehen in unterschiedliche Richtungen – je nachdem wo es der Autoverkehr gerade zulässt. Teilweise sperren sich die Teilnehmer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehrere hundert oder wenige tausend, sogar selbstständig die Straße ab und greifen in fließenden Verkehr ein. Einzelne Personen dirigieren Märsche durch die Innenstadt.

Unübersichtliche Lage

Trotz der teilweise unübersichtlichen Lage habe man die Situation stets unter Kontrolle gehabt, heißt es von der Wiener Polizei am Abend. "Wir haben die verschiedenen Züge begleitet. Unsere Aufgabe ist es das verfassungsmäßige Recht auf Versammlungsfreiheit zu schützen – und das ist uns wunderbar gelungen", sagt ein Sprecher. Das gelte auch, wenn sich Demonstranten auf nicht angemeldeten Routen bewegen. Wäre es zu einer plötzlichen Eskalation gekommen hätte man jederzeit zusätzliche Kräfte hinzuziehen können.

Als Beleg für einen gelungenen Einsatz sieht man bei der Wiener Polizei, dass es zu keinen größeren Zwischenfällen gekommen sei. Zwar habe es einige Angriffe auf Polizisten gegeben, hier würde Anzeige erstattet. Einmal setzte die Polizei auch Pfefferspray ein. "Aber ist sonst nach bisherigem Wissensstand zu keinen Angriffen auf Unbeteiligte oder zu Sachbeschädigungen gekommen", sagt ein Sprecher. Der Journalist Martin Tschiderer von der Wiener Zeitung berichtet allerdings davon, dass eine Frau mit afrikanischen Wurzeln und eine Jugendliche mit Kopftuch beim Volkstheater von Neonazis eingekreist worden seien, diese den Hitlergruß gezeigt hätten und sie bespuckten. Bini Guttmann, Mitglied des Exekutivrats des Jüdischen Weltkongresses (WJC), berichtet davon, dass jüdische Personen am Rande der Demo mit den Worten "Wo sind die Gaskammern wenn man sie braucht" im zweiten Bezirk bedroht worden seien.

Mehrere Anzeigen und Festnahmen

Endgültige Zahlen zu den erstatteten Anzeigen und Festnahmen liegen noch nicht vor. Am Nachmittag hieß es aus Polizeikreisen, dass es zu zehn Festnahmen und zumindest zehn Anzeigen wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz kam, vor allem im Zusammenhang mit gelben Aufnähern in Sternform, auf denen "Ungeimpft" steht, aber auch Plakate wie "so begann 1938" und "Schallenberg = Mengele". Einem Beamten wurde zudem versucht, die Schusswaffe zu entreißen. Sowohl der Identitären-Chef Martin Sellner als auch der verurteilte Neonazi Gottfried Küssel waren zugegen.

FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl bedankte sich am Abend in einer Aussendung bei der Polizei, die "diese Veranstaltung so professionell, umsichtig und vorbildlich begleitet" habe. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bezeichnete es hingegen als "völlig inakzeptabel, dass bei der Demo Polizisten angegriffen worden seien und gegen das Verbotsgesetz verstoßen worden sei. Die Verwendung von gelben Sternen mit der Aufschrift "Ungeimpft" sei "nicht nur völlig geschmacklos, sondern verharmlost die Verbrechen der Nationalsozialisten und beleidigt die Millionen Opfer der NS-Diktatur und deren Angehörige."

Am Abend zerstreuen sich die Demonstranten schließlich großflächiger in der Innenstadt, einzelne ziehen noch durch die Straßen. In einschlägigen Chatgruppen ist man bereits darum bemüht, die Versammlung als den "Gamechanger", als der sie angekündigt war, zu vermarkten: Mindestens 350.000 Personen hätten teilgenommen, heißt es. (Vanessa Gaigg, Johannes Pucher, 20.11.2021)