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EU-Innenkommissarin Ylva Johansson gibt Belarus Machthaber Alexander Lukaschenko die Schuld an der Migrationskrise an der belarussischen Grenze.

Foto: Reuters / Kacper Pempel

Grodno/Brüssel/Białystok– An der Grenze zwischen Polen und Belarus hat nach Angaben des polnischen Grenzschutzes eine Gruppe von rund 100 Migranten vergeblich versucht, von Belarus aus die Befestigung zu überwinden. Der Vorfall habe sich am Samstag kurz vor Mitternacht in der Nähe des Ortes Czeremsza ereignet, teilte eine Sprecherin mit.

Belarussische Sicherheitskräfte hätten die Gruppe mit einem Lastwagen an die Grenze gefahren und einen Holzsteg auf den Stacheldrahtverhau geworfen. Polens Uniformierte seien mit Steinen und Ästen beworfen und mit Laserstrahlen geblendet worden. Insgesamt registrierte der Grenzschutz 208 Versuche einer illegalen Grenzüberquerung. Da Polen keine Journalisten und Journalistinnen in das Gebiet lässt, lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Polen bereit, für Rückführung aufzukommen

In Belarus bauten die Behörden die Versorgung der Migranten in einer Notunterkunft in Brusgi an der Grenze zu Polen aus. Die Staatsagentur Belta veröffentlichte in der Früh Bilder von Soldaten, die an der als Schlafstätte umfunktionierten Logistikhalle ein Zelt aufstellten. Die Verteilung von Nahrungsmitteln solle so schneller möglich sein, hieß es. In dem Gebäude übernachteten nach Schätzungen etwa 2.000 Menschen, die eine Rückreise in ihre Heimat ablehnen und stattdessen nach Deutschland oder in andere EU-Staaten wollen.

Die polnische Regierung zeigte sich unterdessen bereit, für die Rückführung der Flüchtlinge aufzukommen. "Wir sind jeden Moment in der Lage, die Rückkehr der Migranten in ihrer Herkunftsländern zu finanzieren, wir haben auch eine Menge diplomatischer Aktivitäten im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens entwickelt", sagte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki am Sonntag nach einem Treffen mit Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallis.

"Keine gewöhnliche Krise"

Morawiecki sagte weiter, Polen erwäge, weitere Grenzübergänge zu Belarus zu schließen, um damit den ökonomischen Druck auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zu erhöhen. Polens Regierungschef bereist am Sonntag alle drei baltischen Staaten, um sich mit den dortigen Regierungschefs über die Lage auszutauschen.

In einer am Sonntag auf Englisch veröffentlichten Videobotschaft warnte Morawiecki, die Ereignisse an der polnisch-belarussischen Grenze seien keine "gewöhnliche Migrationskrise", sondern eine politische Krise, die zu einem speziellen Zweck ausgelöst worden sei. "Ihr Ziel ist die Destabilisierung Europas zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges vor 30 Jahren."

Am Sonntag besuchten zudem Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Unterkunft. Videos zeigten, wie die Mitarbeiter von Migranten umringt wurden. Bisher ist ein Fall einer Corona-Erkrankung offiziell bestätigt worden. Die russische Staatsagentur Ria Nowosti zitierte bei dem Treffen Behördenvertreter, wonach bereits 100 Migranten in Krankenhäuser in der Stadt Grodno gebracht worden seien. Darunter seien Menschen mit einer Lungenentzündung oder Diabetes gewesen.

EU gibt Lukaschenko Schuld für Eskalation

Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. Die Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan sind über Touristenvisa in Belarus eingereist.

"In der Krise hat Lukaschenko sich wie ein Reiseveranstalter ohne Lizenz benommen, der teure Reisepakete in die EU verkaufte, die dann aber bei der Ankunft in sich zusammenfielen", sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der "Welt am Sonntag".

"Familien und Kinder wurden getäuscht und in eine Tragödie gelockt, die viel Leid bedeutete", so die für Migrationsfragen zuständige Schwedin weiter. Lukaschenko und sein Regime würden eine "hochgradige Verantwortung für die produzierte Krise tragen".

Tausende Geflüchtete an belarussischer Grenze

Die Lage an Ort und Stelle habe sich entspannt, weil die EU und ihre Partner kooperierten. "Welche Beweise brauchen wir langfristig noch, um zu verstehen, dass die Europäisierung der Migrationspolitik der einzige zukunftsweisende Weg ist? Wenn die EU in der Migrationspolitik zusammenarbeitet, kann sie nicht nur Krisen überwinden, sondern auch planen, sie frühzeitig zu verhindern."

An der EU-Außengrenze zu Belarus, besonders an der Grenze zu Polen, sitzen seit Wochen tausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, darunter viele Kurden aus dem Nordirak, bei eisigen Temperaturen fest. In der vergangenen Woche ist ein Teil der Menschen in Logistikzentren gebracht worden. Laut der belarussischen Regierung sollen sie dort mit warmer Kleidung und Essen versorgt worden sein. (APA, red, 21.11.2021)