Dirigent Ingo Metzmacher, auch ein Spezialist für die Moderne.

Neumayr

Auch wenn sich Wien Modern im Vorjahr als streamender Überlebenskünstler präsentierte, war Bernhard Günther aktuell Unbehagen anzumerken: Durch den kommenden Lockdown würde zwar kein Projekt abgesagt, so der Festivalleiter. Man verschiebe oder streame (etwa das Finale mit den Symphonikern am 30. 11.). Lieber jedoch hätte Günther "nichts gesagt", vielleicht nur eine Botschaft an jene übermittelt, die "Kultur offenbar weniger wichtig finden": Gut aufeinander zu hören und aufeinander zu achten sei auch "für eine funktionierende Gesellschaft" essenziell.

Angesicht dieser Worte und der am Freitag noch frischen Nachricht über das Schließen des öffentlichen Lebens erlangte die Aufführung von Friedrich Cerhas Spiegel I–VII jedenfalls die Aura eines bedeutsamen Finales. Es war ja auch der Komponist selbst im Wiener Konzerthaus zugegen, der im Februar 2022 seinen 96er feiern wird. Zudem schien das legendäre Werk selbst geradezu die emotionale Aufgeladenheit abzubilden, die zur Zeit herrscht.

Tolles Orchester

Transparenz und Unmittelbarkeit waren zu erleben: Mit seiner dramatischen Expressivität und den raffiniert sich verwandelnden Blöcken und Fließstrukturen war das Werk beim RSO Wien unter Ingo Metzmacher in kundigen Händen (das RSO hat das Werk 1972 übrigens unter Cerha integral uraufgeführt).

Trotz seiner Komplexität strahlt dieses instrumentale "Welttheater", das seiner szenischen Umsetzung leider nach wie vor harrt, elementare Energie aus: Da sind jene als vereiste Flächen anmutenden insistiven Streichergesten, die sich zu bedrohlichen Crescendi aufschwingen. Da sind die maschinell anmutenden Momente samt den rhythmischen Verdichtungen, die Töne und Phrasen ineinander verkeilen.

Schließlich die Bläserwellen, das Streichergestampfe (Spiegel VI) wie auch das monumentale Finale mit einer wilden Struktur, die in ein ruhiges Verklingen mündet. Als würde das Werk vereisen, verstummen. So wie das Kulturleben demnächst. (Ljubiša Tošic, 22.11.2021)