Die ganze Welt schaut auf Österreich. Die Entscheidungsträger der Alpenrepublik haben eine Impfpflicht angekündigt. Auf den Straßen Wiens demonstrieren zehntausende Menschen. Sogar der große Nachbar Deutschland beobachtet gespannt wie sich diese intendierte Maßnahme in der Bevölkerung auswirkt. Eine politische Entscheidung auf Messers Schneide bahnt sich an. Was ist los im Staate Österreich? Handelt die Politik zu hart, ohne vorher auf sanftere subliminale Methoden der Überzeugung zu setzen? Ist die Regierung aus Hilflosigkeit der “Schwarzen Pädagogik“ verfallen?

DER STANDARD

Sind mehr als 1,5 Millionen Österreicher beratungsresistent?

Unter schwarzer Pädagogik versteht man eine Form der Erziehung, die darauf abzielt den Willen des Individuums zu brechen und jenes mit Hilfe von offener oder verborgener Machtausübung, Manipulation und Druck zum Gehorsam zu bewegen. Die Überzeugungspraktiken unserer Volksvertreter lassen schwer daran glauben, dass diese über mehr Kreativität und Kompetenz in der Kommunikation verfügen, als im beschriebenen Paradigma. Die letzten TV-Spots zur Pandemie sind weder sonderlich subtil noch niveauvoll. Ihr Ziel ist es auf primitive Weise Angst zu erzeugen. Doch diese Karte hat die Regierung mehr als inflationär schon gezogen und befindet sich nun in einer gefährlichen Einbahnstraße. Die Nutznießer dieser Vorgangsweise sind die FPÖ und die MFG.

Anstatt auf direktdemokratische Mittel wird auf Law and Order gesetzt.
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Voreilender Gehorsam und moralische Vorhaltungen

Der Höhepunkt des Corona-Managements der Bundesregierung war das verantwortungslose gegenseitige Ausspielen von ungeimpften und geimpften Österreicherinnen und Österreichern. Die Story ist einfach. Da sich viele nicht impfen lassen, müssen alle in den Lockdown, denn mit höherer Impfquote wäre es anders. Das ist evidenzbasiert. Lassen wir das einmal so stehen. Die, die sich - aus welchen Gründen auch immer - gegen eine Impfung entschieden haben, viele davon wahrscheinlich aus Angst vor den neuen Impfstoffen, sind die Spielverderber und unsolidarisch. Ohne diese wäre die Pandemie vorbei - so der Narrativ. Der Glauben an die Wissenschaft und die Wissenschaft als Glauben sind derart in Bedrängnis wie selten zuvor. Das Vertrauen in die Medizin befindet sich bei großen Teilen der Gesellschaft metaphorisch gesprochen in den letzten Atemzügen. Die Angst als Druckmittel wurde pädagogisch gesehen ausgeschöpft und als Abwehrreaktion des psychischen Immunsystems treten nun Wut und Ärger bei den Betroffenen an die Oberfläche. Die moralischen Vorhaltungen des adeligen Kanzlers und der aus Sicht vieler Corona-Maßnahmen-Skeptiker voreilende Gehorsam der Medizin und vieler Experten gegenüber kommen nicht gut an und entladen sich bei Demonstrationen. Anstatt auf direktdemokratische Mittel wie beispielsweise eine Volksabstimmung zu setzen und damit noch einmal den Versuch eines Dialoges mit den Menschen zu starten, wird auf Law and Order gesetzt und bereits über die Höhe der Strafen für Impfverweigerer sinniert.

Politischer Supergau

Die ÖVP kann langsam mit dem Gedanken spielen, sich von dem Kanzlersessel zu verabschieden, denn große Teile, der bei der  letzten Nationalratswahl von der FPÖ geliehenen Stimmen werden wieder zurück zu Herbert Kickl und den Freiheitlichen wandern. Sogar die einfallslose SPÖ überholt die einst mächtige Superstarpartei von Sebastian Kurz und das hat nicht mehr so viel mit den Chats und anderen Skandalen zu tun, wie man meinen möchte. Wir alle müssen aufpassen, dass wir im Kampf gegen die Pandemie nicht das menschliche Augenmaß verlieren. Denn ähnlich wie man wahrnehmen kann, dass einige beim Kampf gegen Rechts in Methoden abrutschen, die dem Feindbild nicht so fern sind, droht nun der Konflikt zwischen Meinungen und Weltbildern analog zu eskalieren. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Wenn uns das nicht bewusst wird, dann könnten die gesellschaftlichen Nebenwirkungen des Virus durch Wut und Hass den Opfern der Pandemie durchaus in bestimmter Relation entsprechen. Das ist von sozialpsychologischer Warte ebenfalls evidenzbasiert. (Daniel Witzeling, 23.11.2021)

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