Als zu Beginn des Jahres 1918 rumänische Truppen in Bessarabien, einem Gebiet des gerade zerfallenen Russischen Reiches, einmarschierten, floh der 51-jährige Evgenij Brazul-Bruškovskij mit seiner 39-jährigen Frau Anna in die Ukraine. Brazul-Bruškovskij war zwischen 1908 und 1918 als Polizist in Bessarabien tätig gewesen. Als Repräsentant des zaristischen Regimes fürchteten er und viele seiner Kollegen Repressalien durch die rumänische Armee. Auch die Befürchtung, dass bolschewikische Truppen, die Rumänien bis Ende Jänner 1918 östlich des Dnjestr zurückgedrängt hatte, doch noch in die Region vorstoßen könnten, veranlasste Brazul-Bruškovskij zur Flucht nach Kiew. Gerüchten zufolge hatten sich seine beiden Söhne, der 21-jährige Vsevolod und der 20-jährige Leonid, der Weißen Armee angeschlossen, welche die Roten, wie die Bolschewiki genannt wurden, erbittert bekämpfte und die alte Ordnung wiederherzustellen trachtete.

Als die Bolschewiki Ende 1918 Kiew besetzt hatten, kehrte Evgenij Brazul-Bruškovskij nach Bessarabien zurück und hoffte, im rumänischen Sicherheitsapparat eine Beschäftigung zu finden. Doch nahm Rumänien in Bessarabien Beamte aus der Zarenzeit auf? Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Entstehung von Polizeisystemen

Die Geschichte der neuen Staaten im östlichen Europa, die nach 1918 aus den Gebieten ehemaliger Imperien entstanden oder durch diese erweitert wurden, stieß in den letzten Jahren auf immer größeres Interesse. Rumänien wurde nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Territorium des seit 1866 existierenden Königreichs Rumänien und den neu dazugekommenen Regionen Banat, Siebenbürgen und Bukowina (ehemaliges Habsburgerreich) sowie Bessarabien (Russisches Reich) gebildet. Zum Sicherheitsapparat des neuen Staats gehörten daher mehrere polizeiliche Institutionen mit unterschiedlichen organisatorischen und personellen Strukturen. Obwohl die Polizei und die Gendarmerie, zuständig für die Ordnung im ländlichen Raum, eine wichtige Rolle in der Nations- und Staatsbildung in Rumänien spielten, ist über ihre Vereinheitlichung und ihr Funktionieren wenig bekannt.

Studien zur Entstehung von Polizeisystemen unterscheiden im Allgemeinen zwischen einem zentralisierten und einem dezentralisierten System. Während für die Neuorganisation der Polizei Traditionen wichtig sind, können politische Umbrüche wie Kriege und Grenzverschiebungen Staaten dazu zu bringen, neue Strategien anzuwenden. Wenn die staatliche Legitimität infrage gestellt wird, werden in der Regel zentralisierte Ressourcen mobilisiert, um den Status quo abzusichern. Genau das passierte nach 1918 in Bessarabien: Rumänien besetzte das Gebiet, und über die Zwischenkriegszeit hinweg befand es sich rein rechtlich im Ausnahmezustand. Die Sowjetunion erkannte die Zugehörigkeit Bessarabiens zum rumänischen Staat nicht an und versuchte in den folgenden Jahren, durch verschiedene Interventionen die Lage zu destabilisieren.

Bedeutete all das, dass es für Brazul-Bruškovskij keinen Platz in der neuen Verwaltung gab?

Zaristische Polizei in den westlichen Grenzgebieten

Evgenij Brazul-Bruškovskij stammte aus einer adeligen Familie mit Wurzeln in der Walachei. Als die zaristischen Truppen während der russisch-türkischen Kriege des 18. Jahrhunderts durch die Donaufürstentümer zogen, schloss sich die Familie ihnen an. Einige Mitglieder der Familie wurden schließlich geadelt und begannen als Beamte in der Verwaltung zu arbeiten. Evgenij Brazul-Bruškovskijs Vater war Gefängnisdirektor in der Kleinstadt Novyj Oskol im Gouvernement Kursk. Der junge Evgenij erhielt Heimunterricht und entschied sich dann für eine Karriere als Polizist. Da Russland aufgrund interner Unruhen ab den 1880er-Jahren das Polizeisystem stetig aufbaute, bestand eine große Nachfrage nach Polizisten, die für verschiedenste Aufgaben eingesetzt wurden, was ihnen den Ruf einbrachte, eine Art "universelle Verwalter" zu sein. Eine Berufsausbildung war weder erforderlich noch vorgesehen.

Im Juli 1884, im Alter von 17 Jahren, trat Brazul-Bruškovskij eine Verwaltungsstelle bei der Polizei im Gouvernement Kiew an. Mit 36 wurde er Polizist im Gouvernement Wolhynien. Als er 1908 nach Bessarabien kam, war er 41 Jahre alt und verfügte bereits über genügend Erfahrung, um in Soroca, im Norden Bessarabiens, zum Bezirkschef befördert zu werden. Die letzten Jahre der Zarenzeit verbrachte er als Bezirkschef in Bender am Dnjestr-Ufer.

Brazul-Bruškovskij war niemals in Zentralrussland tätig gewesen, sondern immer in den multiethnischen Westgebieten, die wie Bessarabien zum sogenannten Ansiedlungsrayon mit einem großen jüdischen Bevölkerungsanteil gehörten. Neben der russischen Sprache beherrschte er wahrscheinlich auch Ukrainisch und Jiddisch. In Bessarabien kam er auch mit Rumänisch, das von einem Großteil der ländlichen Bevölkerung gesprochen wurde, in Berührung. Als Bezirkschef erfüllte Brazul-Bruškovskij Verwaltungsaufgaben und war auch für die Organisation von Veranstaltungen zuständig, die der Inszenierung der zaristischen Herrschaft dienten.

Flucht und Rückkehr

Zwischen März und November 1918 hielten sich Brazul-Bruškovskij und seine Frau in Kiew auf, damals Hauptstadt des von Hetman Pavlo Skoropadskyj geführten sogenannten Ukrainischen Staates, welcher nach dem Einmarsch deutscher und österreichischer Truppen als Nachfolgestaat der Ukrainischen Volksrepublik gegründet worden war. Später erklärte Brazul-Bruškovskij den rumänischen Behörden, dort als Polizist gearbeitet zu haben, was plausibel ist, da unter Skoropadskyj viele ehemalige zaristische Beamte für das Verwaltungssystem rekrutiert wurden.

Zurück in Bessarabien, ließ sich die Familie in Soroca nieder, wo Brazul-Bruškovskij wenige Jahre zuvor den Höhepunkt seiner Karriere erlebt hatte und wo er noch über Verbindungen zur lokalen Elite verfügte. Nachdem sich die beiden Söhne 1921 den Eltern angeschlossen hatten, investierte die Familie ihre Ersparnisse in Immobilien. Brazul-Bruškovskij war auch an Geldwechselgeschäften beteiligt. Allzu viele Einkommensquellen gab es nicht, denn Soroca war kein blühender Ort. Laut der rumänischen Enzyklopädie von 1938 bestand der Ort aus einer kleinen Festung, die im Mittelalter gegen die Tataren errichtet worden war. Die über hundertjährige russische Herrschaft über Bessarabien und die damit einhergehende Multikulturalität bleiben unerwähnt. Nur die Synagoge und die 17 "jüdischen Gebetshäuser" weisen auf eine große jüdische Gemeinde hin – von 14.000 Einwohnern waren 5.417 jüdisch.

Die Festung Soroca.
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Da die Familie illegal die Grenze nach Rumänien überquert hatte, wurde Brazul-Bruškovskij zusammen mit seiner Frau und seinen Söhnen zu Flüchtlingen mit ungeklärtem Status erklärt. Sein Plan, wieder als Polizist zu arbeiten, erwies sich schnell als illusorisch, denn die rumänische Geheimpolizei Siguranța registrierte ihn und seine Söhne als "Terroristen". Als solche wurden oft Geflüchtete aus dem bolschewikischen Russland bezeichnet, welche die Geheimpolizei der Spionage verdächtigte. Als "Terrorist" konnte Brazul-Bruškovskij kein öffentliches Amt bekleiden, war von der rumänischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen und konnte sich nicht frei von einem Ort zum anderen bewegen. Außerdem wurde er von Informanten und Agenten überwacht.

Willkür bei der Kategorisierung der Geflüchteten

Ein Blick auf die Arbeitsbedingungen in der Polizeistation von Soroca zeigt die Willkür bei der Kategorisierung der Geflüchteten auf. Die Station befand sich in einem gemieteten Zweizimmerhaus mit geliehenen Möbeln und ohne Heizung. Aus einem Bericht vom 20. Oktober 1920 geht hervor, dass ein beunruhigender Personalmangel herrschte und die Mitarbeiter "für die Arbeit der Geheimpolizei völlig ungeeignet" waren. Die Situation war besorgniserregend, denn Soroca lag an der Grenze und war mit vielen Grenzübertritten konfrontiert – von Menschen wie Brazul-Bruškovskij, die vor den Bolschewiki, oder von Juden, die vor den Pogromen während des Bürgerkriegs flohen.

Auch wenn die Infrastruktur der Polizeistation von Soroca sich in den nächsten Jahren verbesserte, bestand der Personalmangel fort. Das Innenministerium verließ sich wenig auf lokale Ressourcen und berief ausschließlich Personen aus dem Gebiet des alten Königreichs Rumänien, denen Bukarest mehr vertraute, in leitende Positionen. So repräsentierten nun Polizisten ohne Ausbildung und Sprachkenntnisse den neuen Staat an seiner östlichen Peripherie. Das Innenministerium konnte die Beschwerden der lokalen Bevölkerung über die neuen Polizisten kaum bewältigen: Machtmissbrauch, Korruption, gewalttätiger Umgang waren an der Tagesordnung.

Evgenij Brazul-Bruškovskij erkannte rasch die Schwächen des neuen Systems und entschloss sich, sich diese zunutze zu machen. Er wandte sich im Jahr 1924 an Constantin Arghiropol, den neuen Leiter der Geheimpolizei von Soroca, und bat diesen, für ihn in Chișinău zu intervenieren. Arghiropol schickte tatsächlich einen Bericht an die bessarabische Polizeileitung und verlangte, Brazul-Bruškovskij von der Terroristenliste zu entfernen: Der ehemalige zaristische Polizist sei 1918 aufgrund irreführender Informationen darauf gesetzt worden. Kurz darauf, im Dezember 1924, wurden Brazul-Bruškovskij und seine Söhne tatsächlich von der Terroristenliste gestrichen.

Der 54-jährige Arghiropol, der aus einem Dorf stammte, war vor seiner Tätigkeit bei der Geheimpolizei in Bessarabien Steuerinspektor und Gefängnisdirektor in der Moldau gewesen. Um seinen Vorgesetzten in Chişinău von Brazul-Bruškovskijs Unschuld zu überzeugen, präsentierte er den Expolizisten als rumänischen Patrioten und loyalen Bürger. Auch dessen Name wurde du diesem Zweck rumänisiert: Aus Evgenij Brazul-Bruškovskij wurde nun "Eugen Breazul". Der Bericht erwähnt nicht, dass Brazul-Bruškovskij zaristischer Polizist gewesen war. Er würde, heißt es dort, Beziehungen nur zu vertrauenswürdigen Personen in Soroca unterhalten, sei intelligent und arbeitswillig und hasse "die derzeitige Regierungsform in Russland". Darüber hinaus würde er "in jeder Position eine gute Arbeit leisten", denn er sei Monarchist und Mitglied der Volkspartei – einer Abspaltung der Konservativen Partei, welche neben der Nationalliberalen Partei die Politik Rumäniens von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1918 geprägt hatte.

Als Arghiropol seinen Bericht verfasste, stand die Volkspartei kurz davor, zum zweiten und letzten Mal nach 1918 an die Regierung zu kommen. Sowohl Arghiropol als auch der Kreisleiter von Soroca, Dimitrie Iov, waren Parteimitglieder. Brazul-Bruškovskijs "Rehabilitierung" war also eine rein politische Angelegenheit: Die Volkspartei war darum bemüht, die Stellen der Provinzverwaltung mit ihren Mitgliedern zu besetzen. Im Gegenzug für seine Streichung von der Terroristenliste akzeptierte Brazul-Bruškovskij, als Informant für die Geheimpolizei, also gleichzeitig für Arghiropol und für die Volkspartei, zu arbeiten.

Postimperiales Polizeisystem

Die Rechnung der Volkspartei ging nicht auf, denn Arghiropol trat von der Leitung der Geheimpolizei in Soroca aus gesundheitlichen Gründen zurück. Das Innenministerium ernannte an seiner Stelle Constantin Domănescu, einen 51-jährigen Gendarmen aus dem Altreich. Domănescu wurde über die Abmachung seines Vorgängers mit Brazul-Bruškovskij informiert und verlangte sofort von Chișinău, den ehemaligen zaristischen Beamten wieder als Terroristen einzustufen. Um zu beweisen, dass dieser tatsächlich sehr gefährlich sei, schickte Domănescu eine Zusammenfassung der Agentenberichte zwischen 1918 und 1925. Als belastend nannte er Brazul-Bruškovskijs Geschäfte mit der jüdischen Gemeinschaft, auch wenn er nur wenige Informationen darüber hatte. Wahrscheinlich aufgrund von Sprachbarrieren bemerkten die Agenten nur, dass Brazul-Bruškovskij regelmäßig mit wohlhabenden jüdischen Einwohnern der Stadt zusammentraf. Unter den Sicherheitskräften herrschte damals panische Angst vor kommunistischer Infiltration und vor allem Juden wurden verdächtigt, Bolschewiken zu sein.

Die unpatriotischen Gefühle Brazul-Bruškovskijs zeigten sich Domănescu zufolge auch bei einer Rede von Ion Zelea Codreanu, dem Vater des späteren Faschistenführers Corneliu Zelea Codreanu, im Jahr 1919. Geheimagenten berichteten, dass Brazul-Bruškovskij nicht begeistert reagiert habe, als Codreanu von der Bedeutung Großrumäniens sprach.

Der Umgang der rumänischen Polizei mit dem Fall Brazul-Bruškovskij in der Kleinstadt Soroca zeigt, dass der rumänische Staat kein Vertrauen in die ehemaligen zaristischen Beamten hatte, vor allem wenn es sich um Führungspersonal handelte. Zwischen russisch- und rumänischsprachigen Bessarabiern wurde dabei kaum unterschieden. Rumänien baute im östlichen Grenzgebiet ein extrem zentralistisches Polizeisystem auf. Das führte zu einem hohen Personalbedarf, der durch die Aufnahme von unqualifizierten Polizisten gedeckt wurde. All dies beeinflusste die Qualität der Verwaltung, dementsprechend negativ wurde der neue Staat von der bessarabischen Bevölkerung wahrgenommen. (Andreea Kaltenbrunner, 23.11.2021)