Foto: David McClister

Der Titel des Albums übersetzte ein stimmiges Bild: Raising Sand verdeutlichte Vergänglichkeit. Der Sand, der durch die Finger rieselt wie in einer Sanduhr, nur ohne weitere Chance durch ein Umdrehen. Gleichzeitig beschreibt dieser Titel den Versuch, etwas davon kurz festzuhalten. Raising Sand hieß das erste gemeinsame Album von Alison Krauss und Robert Plant. Es charmierte mit stimmungsvoll produzierten Songs aus einem Terrain, das allumfassend und ungenau Americana genannt wird. Ein Begriff, der stets auf eine gewisse Tradition verweist, die meist zwischen Blues, Country, Rock, Folk und anderer tief verwurzelter Populärmusik zu liegen kommt.

Vor 14 Jahren erschienen und von beiden eher als ein ambitioniertes Nebenprojekt betrachtet, wurde Raising Sand ein Millionenseller und mit gleich sechs Grammys ausgezeichnet. Selbst Plant war überrascht, dabei kennt der alles: Robert Plant war Sänger von Led Zeppelin, einer der größten Rockbands der Geschichte, und Alison Krauss eine vergleichsweise unbekannte US-Musikerin aus der Bluegrass-Szene — wiewohl mit insgesamt 27 Grammys von Beyoncé nur knapp getoppt, was sich bald ändern könnte.

Kein Ton zu viel

Der Erfolg schmeichelte beiden, sie tourten ausgiebig, doch es sollte bis 2019 dauern, um das Projekt fortzusetzen. Nun ist Raise The Roof erschienen. Der Titel strapaziert ein Bild, das der Gospel oft bemüht, wenn die Ekstase der Gemeinde das Dach hebt und so der Weg zum Himmel frei wird, Halleluja! Wieder ist es eine Sammlung von Coverversionen, wieder hat T-Bone Burnett produziert, wieder sind Kapazunder wie Gitarrist Bill Frisell dabei, wieder achtet Burnett darauf, dass kein Ton zu viel gespielt wird.

Robert Plant - Topic

Die 50-jährige Krauss als eine aus einem formal strengen Genre kommende Musikerin ist eher diszipliniert, Plant mit seinen 73 Jahren nicht mehr der Bilderstürmer wie früher, aber dennoch der, der querschießt. Zudem ist er mit der Band of Joy oder den Sensational Space Shifters lange schon in ähnlichen Gefilden unterwegs, ja, selbst Led Zep spielten eine weiter gedachte Version des Blues und der Folkmusik – aber halt voll auf der Elf.

Patinierter Sound

Raise The Roof setzt die Motive von Raising Sand ohne Bruchlinien fort. Es ist eine souveräne Arbeit, der eine Leichtigkeit anzumerken ist, die vielleicht dem Erfolg des Debüts zuzuschreiben ist. Wenngleich erste Versuche scheiterten, schon in den Nullerjahren nachzulegen. Damals schien es naheliegend, an den Erfolg schnell anknüpfen zu wollen, ihn zu wiederholen, doch nach ein paar wenigen Aufnahmen ließen es die zwei gut sein, es passte nicht, sie widmeten sich anderen Dingen.

Raise The Roof klingt nun aber wie aus einen Guss, wenngleich es in den Details reich und vielseitig und abwechslungsreich ist. Wieder überzieht Burnett die Musik mit der für ihn typischen akustischen Patina. Man kennt das von den Produktionen eines Daniel Lanois: von Willie Nelsons Album Teatro oder Bob Dylans Meisterwerk Time Out of Mind. Auch Joe Henry ist in dieser Disziplin ein Meister – und eben Burnett.

Robert Plant & Alison Krauss

So entsteht Musik, die klingt, als wäre sie in einem 50 Jahre verschlossenen, aber funktionstüchtigen Studio entstanden, in dem der Staub schwer auf den Verstärkern liegt, der Wurm fett im Piano schlummert, die Felle der Trommeln zart in Falten liegen. Krauss und Plant hauchen diesem Setting behutsam neues Leben ein.

Träge Eleganz

Im vorherrschenden Midtempo erblüht ein Wechselspiel, das eine Unbeirrtheit abseits aller Moden ausstrahlt und sich in der Songauswahl niederschlägt: in Liedern von Calexico (Quattro – World Drifts In), in Songs von Allen Toussaint (Trouble With My Lover) bis zu Titeln von den Everly Brothers (The Price of Love) und Merle Haggard (Going Where The Lonely Go).

Robert Plant & Alison Krauss

Das zeitigt überraschende und absehbare, dabei immer stimmige Ergebnisse. Überraschend ist ein Titel wie Can’t Let Go, in dem die beiden klingen, als würden sie sich hinter Elvis-Wiedergänger Chris Isaak in den Saal drängen. Andere sind Schleicher von träger Eleganz, die sich Zeit nehmen, sich nicht schon beim ersten Hören als glänzende Perlen zeigen, sondern sich nur nach mehrmaligem Durchlauf als solche zu erkennen geben. Das lässt sich auf das Album umlegen.

Es ist mit zwölf Songs im klassischen Format angelegt, will als Ganzes gehört werden. Seine Chronologie ist instinktsicher, einen Hänger gibt es nicht. Ob es das Dach tatsächlich zum Abheben bringt, ist am Ende nicht so wichtig, erhebend ist es allemal. (Karl Fluch, 22.11.2021)