Ein paar Neuheiten von Komponist Beat Furrer gingen sich beim Festival Wien modern doch noch aus.

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Man muss nicht gleich annehmen, dass sich Yun-Peng Zhao, Constance Ronzatti, Franck Chevalier und Pierre Morlet beim Festival Wien Modern gefühlt haben wie jene Kapelle, die 1912 auf der Titanic bis zuletzt spielte. Womöglich aber war am Samstag die Anspannung im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses dem Bewusstsein geschuldet, dass sich mit Lockdown vier gut 24 Stunden später ein weiterer Riss in dieser Gegenwart ankündigte. Die vier, also das Quatuor Diotima, lassen zeitlupenartige ätherische Wellen durch den Raum gleiten, die den Eindruck bewegten Stillstands vermitteln.

Assoziation mit dem Meer

Man kann nachvollziehen, dass Clara Iannotta beim Komponieren an die stille, rätselhafte Welt der Tiefsee gedacht hat, auch wenn der Titel ihres Streichquartetts mit einer Gedichtzeile von Dorothy Molloy anderes formuliert: dead wasps in the jam-jar ("Tote Wespen im Marmeladenglas") heißt das Stück, das zunächst für Geige solo, dann für Orchester und nun für Streichquartett und Elektronik formuliert wurde. Auch dieses Bild ergäbe Sinn, obwohl die Assoziation mit dem Meer treffender erscheint.

Es ist jedenfalls faszinierend, wie ein gleichsam eingefrorener Moment – nicht zuletzt dank nahtloser Übergänge des Klanges der Instrumente und jenes aus den Lautsprechern – fast eine Viertelstunde lang in Spannung gehalten wird, während sich gleich einem Kaleidoskop mit Vergrößerungsfunktion immer neue Facetten auftun. Dieser Eindruck verdankte sich am Beginn des Abends auch den Interpreten, die ihr farbenreiches und hochkonzentriertes Spiel bereits international mit einer fulminanten Bartók-Gesamtaufnahme demonstrierten.

Neues von Beat Furrer

Bevor das Quartett noch bei Schubert (G-Dur-Quartett) und Ravel Station machten, wartete als Herausforderung die bravourös gemeisterte Uraufführung des Streichquartetts Nr. 4 von Beat Furrer: Auch hier ist ein Nahezu-Stillstand der Zeit einer der Ausgangspunkte; auch hier lässt sich ein Kaleidoskop als Metapher verwenden.

Doch präsentiert sich das 20 Minuten kurze Stück wesentlich heterogener und vielschichtiger: Nervös bewegte, meist flüsternd pulsierende Passagen wechseln mit flächigen, in sich bewegten (Oberton-)Akkordgebilden, während sich diese beiden Dimensionen einmal annähern, einmal abrupt abgrenzen. Es ist eine Musik zwischen Filmschnitt und Filmriss mit fragiler Schönheit, von der es beim Abschlusskonzert von Wien Modern mehr geben könnte. Es ist jedenfalls geplant, das von Furrer dirigierte Konzert mit den Symphonikern und weiteren Uraufführungen (30. 11.) zu streamen. (Daniel Ender, 23.11.2021)