Ja eh. Der EV6 ist nicht das schönste Auto oder das eleganteste. Keines mit spontanem "Da schau, Schatz!"-Effekt. Er ist eher eines, dessen formale Qualitäten sich auf den zweiten Blick, im Detail, eröffnen. Wie sie da friedlich beisammenstehen beim Gruppenbild vor der St. Martins Therme oder anderentags am Ufer des Zicksees, zeigt sich nicht nur: Der Mattlack, oft genug problematisch, steht ihm richtig gut und betont das ansonsten schlichte Formenspiel. Der erste Kia auf der eigenständigen Elektro-Plattform, die sich der Hyundai-Kia-Konzern nach Muster VW (MEB) zugelegt hat, ist auch stilistisch eine klare Ansage.

Der EV6 will ein SUV sein, gibt sich dabei aber ähnlich coupéhaft wie der Mustang von Ford. Nachteil: relativ kleiner Kofferraum.
Foto: Andreas Riedmann

Verspielt ist er nur am Heck, speziell mit diesem kontemplativen LED-Zen-Bogen, der sich über die gesamte Fahrzeugbreite zieht und seitlich zu den hinteren Radkästen verlängert. Und ich musste schon einmal um das Auto herum gehen, um zu entdecken: Der Ladeanschluss verbirgt sich im Dreieck zwischen Heckklappe und Rücklichtern rechts.

Foto: Andreas Riedmann

Wenn eine der hübschen versenkbaren Türschnallen etwas draußen blieb: egal weil Vorserie. Was zählte beim Supertest, war, dass Kia-Österreich-Sprecher Gilbert Haake es uns überhaupt ermöglichen konnte, den 6er äußerln zu führen, noch ehe ein offizieller Marktstartschuss gefallen war. Auch die etwas bockige, unharmonische Fahrwerksabstimmung mag noch diesem frühen Stadium zuzuschreiben sein, mal sehen, wie sich das vollwertige Serienmodell in dem Kapitel schlagen wird.

Im Grunde technoid

Grafik: Der Standard

EV6 also. Der Name rinnt dir runter wie Honigseim – wenn du ein Androide bist. Dennoch ist vor dem Losfahren, und das tut er gegebenenfalls zügig, kein "Ich bin kein Roboter"-Test erforderlich. "ID" von VW ist auch nicht viel besser, immerhin lässt sich davon phonetisch "Idee" ableiten. Aber ich muss gestehen, der technoide Ansatz der Koreaner taugt, ja: imponiert mir. Der EV6 kann alles, was die anderen auch können, und da und dort ein bisschen mehr. Er hat mehr zukunftsträchtige Technologie an Bord, als zu vermuten wäre, beispielsweise die 800-Volt-Technik, die den EV6 beim Laden potenziell verdammt schnell macht, und die maximale Ladeleistung am Schnellfeuerbestromer gibt Kia mit 350 kW (!) an. Ist derzeit bei uns aber nicht nutzbar.

Foto: Andreas Riedmann

Die sündteure 800-Volt-Technologie hat als Erster Porsche im Taycan verwirklicht (bei maximaler Ladeleistung von 270 kW), im technisch vergleichbaren Audi e-tron GT ist sie auch verbaut. Aber im Massensegment? Hut ab, dass die Koreaner das ohne viel Federlesens durchziehen.

Mit 2,90 m verfügt der EV6 über deutlich mehr Radstand als der direkteste Gegner VW ID.4, überhaupt toppt er diesen in der Länge um zehn "Zanti". Und es ist zwar nicht so, dass du dich in den endlosen Weiten des Raumes verlierst, Platz ist aber jedenfalls großzügig vorhanden. Oben wirkt alles hübsch und sauber, ab der Hierfälltmeinaugenichtgleichhin-Ebene findest du billiges Hartplastik en gros, ist eh ein genereller Trend, noch auffälliger als im Kia ist das im ID.4. Beim Kofferraum allerdings, da schwächelt der EV6. Der könnte größer sein. Und die hohe Ladekante ... (Andreas Stockinger, 3.12.2021)