Derzeit kann niemand seriös sagen, ob der Lockdown für alle in 20 Tagen wieder vorbei ist.

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So lange Regierung und Landeshauptleute auch gerungen haben, am Ende kam eine einheitliche Lösung heraus: Der seit Montag währende Lockdown erstreckt sich über ganz Österreich.

Dabei ist die Lage je nach Region höchst unterschiedlich. In den Top-Bezirken Lienz und Schärding liegt die Sieben-Tage-Inzidenz mit rund 2.500 Infektionen viermal so hoch wie in Wien. Während die Intensivstationen der Spitäler in Oberösterreich und Salzburg bereits überlastet sind, beträgt laut Covid-Prognose-Konsortium die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Bundeshauptstadt und dem Burgenland Anfang Dezember ähnlich kritisch kommt, nur etwa 15 Prozent.

Ist es gerechtfertigt, da sämtliche Länder über einen Kamm zu scheren? "Der Lockdown für alle war nicht alternativlos", sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS). Für Salzburg und Oberösterreich habe es auf keinen Fall einen anderen Weg gegeben, im Osten hingegen hätten wohl auch andere Mittel – etwa ein lückenloses 2G-plus-Gebot (geimpft oder genesen samt PCR-Test) – gereicht. Allerdings habe die Politik wohl abgeschreckt, dass dies ein kompliziertes, womöglich auch noch regional abgestuftes Regelwerk verlangt. Denn selbst in Ländern mit relativ niedriger Inzidenz wie der Steiermark ist die Bandbreite groß.

Gedanke der Solidarität

Gehe es rein nach der Infektionskurve, dann wäre der Lockdown nicht überall zwingend nötig gewesen, sagt auch Peter Klimek vom Complexity Science Hub. Da Wien aber keine Insel ist, sieht das Mitglied des Prognose-Konsortiums schon auch plausible Gründe fürs generelle Zusperren. Lieber jetzt mit hartem Vorgehen einen Puffer schaffen, damit wenigstens vor und über Weihnachten Geschäfte und Hotels offen halten können, lautet ein wirtschaftliches Kalkül. Außerdem: Ist ein Wiener Sonderweg praktikabel, wenn Niederösterreich, das vor allem im Westen mit hohen Zahlen kämpft, im Lockdown sitzt?

Dazu kommt der Gedanke der Solidarität, den Bürgermeister Michael Ludwig anklingen ließ. Womöglich können verfügbare Spitalsbetten im Osten Leben retten, wenn die Situation im Westen völlig entgleist.

Die Virologin Dorothee von Laer hält den landesweiten Lockdown für richtig. Der Anstieg bei den Infektionszahlen und den Corona-Patienten auf den Intensivstationen sei überall bemerkbar. In der Ostregion sei zwar die Impfquote höher, aber die Situation müsse insgesamt entschärft werden. Bessert sich die Lage, könne man regional wieder lockern, erklärt sie.

Der seit Montag geltende Lockdown muss nach zehn Tagen vom Nationalrat verlängert werden, gelten soll er laut Regierungsspitze höchstens 20 Tage. Ab 13. Dezember seien Ausgangsbeschränkungen also nur noch eine Sache der Ungeimpften, hieß es vergangene Woche. Aber ist das auch realistisch?

Zeitversetzt spürbar

"Ich bin keine Prophetin", sagt von Laer. Auszuschließen sei es nicht, dass die Maßnahmen länger gelten könnten. Das komme darauf an, wie konsequent sie mitgetragen werden. Der Lockdown wird jedenfalls zeitversetzt spürbar: nach zehn Tagen bei der Inzidenz, erst gegen Ende des Lockdowns auf den Intensivstationen, erklärt die Expertin.

Daher bleibt auch der Simulationsforscher Niki Popper mit Prognosen noch zurückhaltend. In den nächsten Tagen werden sein Team und weitere Forschungsgruppen sehen, ob Kontakt- und Mobilitätsreduktionen spürbar stattfinden. Anfang nächster Woche soll sich abzeichnen, wohin die Reise geht. Grundsätzlich erwartet Popper, dass sich die Lage durch den Lockdown entspannt. Frühere Verschärfungen, 2G in Gastronomie und Co sowie 3G am Arbeitsplatz, hätten die Pandemiedynamik bereits verlangsamt.

Kurzer Lockdown schadet mehr

"Für Salzburg und Oberösterreich reichen die 20 Tage auf keinen Fall", prophezeit wiederum Czypionka und geht davon aus, dass kein Bundesland – was möglich wäre – bereits nach zehn Tagen wieder öffnet. Ist das nicht ein Widerspruch zur Einschätzung, wonach etwa Wien auch andere Mittel ergreifen hätte können? Wenn schon Lockdown, dann dürfe dieser nicht zu kurz sein, erläutert Czypionka. Wer an Covid erkrankt, sei etwa zwölf Tage lang infektiös: "Zehn Tage Einsperren unterbricht die Infektionsketten nicht." Außerdem drohe die kurze Variante wirtschaftlich größeren Schaden anzurichten als ein zwölftägiger Lockdown. Sinken die Inzidenzen nicht stark genug, werde das Problem wiederkehren.

Nach 20 Tagen würden die Bundesländer dann wohl unterschiedliche Wege gehen, glaubt Czypionka und sieht im Lockdown-Gefüge eine große Schwäche. Angesichts "astronomischer" Infektionszahlen bei Minderjährigen müsste in den Schulen "in den sauren Apfel gebissen" werden. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen, etwa den Kindern von Spitalspersonal, sollten die Bildungsstätten für zehn Tage rigoros schließen. Die Zeit müsse zur Vorbereitung genutzt werden, damit danach nur mehr mit PCR-Test getestet werden kann. (Gerald John, Jan Michael Marchart, 22.11.2021)