Der Onlinehandel hat bis Mitte Dezember Hochsaison. Der Black Friday wird zum Amazon-Förderprogramm.

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Wien – Der Kick ist der Akt des Kaufens. Konsumiert wird wahllos und weit über die eigenen Bedürfnisse hinaus. Am Ende drohen Schuldenberge und der emotionale Absturz. Fünf bis acht Prozent der Österreicher sind kaufsüchtig, bzw. stark davon gefährdet, warnt der Psychologe und Psychotherapeut Michael Musalek.

Die wochenlangen Schließungen infolge der Corona-Krise hätten das Risiko, daran zu erkranken, nicht gebremst. Kaufsucht verlagerte sich ins Internet, wo Konsum räumlich wie zeitlich keine Grenzen gesetzt sind: In den Weiten des Onlinehandels entzieht sich Kontrollverlust beim Shoppen der Beobachtung der Gesellschaft.

Einkauf nicht im Griff

"Es ist die am meisten schambesetzte Sucht und jene, bei der sich die Erkrankten am spätesten in Behandlung begeben, zumeist erst auf Druck der Angehörigen", sagt der frühere langjährige Leiter des Anton-Proksch-Instituts im Gespräch mit dem STANDARD. Sich nicht einmal beim Einkaufen im Griff zu haben stigmatisiere. Anders als bei Alkohol oder Drogen könne sich hier keiner auf gefährliche Substanzen ausreden. Dabei stehe die Kaufsucht in enger Beziehung zu Depressionen und psychosozialen Problemen.

Shoppen hat dieser Tage Hochsaison. Die Woche rund um den Black Friday läutet fast schon traditionell das Weihnachtsgeschäft ein. Händler werfen mit Rabatten um sich, die Margen vernichten, im Wettlauf um Aufmerksamkeit und Marktanteile jedoch als unverzichtbar gelten.

Seine Wurzeln hat der schwarze Freitag online. Seine Spielregeln angeeignet haben sich längst auch stationäre Geschäfte. Sorgten ungezügelte Preisschlachten noch vor Jahren für ein Blutbad in den Bilanzen der Händler mitsamt ihren Lieferanten, lernten mittlerweile viele damit umzugehen. Um Kosten zu decken, wird dafür eigens Sortiment im großen Stil produziert. Die Mischkalkulation wurde professionalisiert. Was bei Lockartikeln verlorengeht, holt sich der Handel bei anderen Sortimenten zurück. 2020 brachte die als Party inszenierte Kauforgie ein Allzeithoch an Umsatz, das dabei half, Weihnachtsgehälter der Mitarbeiter zu stemmen. Zu groß war der Überhang an Waren infolge der Krise.

Ausstieg aus Aktionitis

Doch heuer ist alles anders. Lieferengpässe beschneiden das zentrale Service des Handels, den durchaus verwöhnten Kunden Waren zu 100 Prozent verfügbar zu machen. Das zügelt seine Bereitschaft zu extremen Nachlässen. Ehe etwa Fahrräder voreilig verschleudert werden, hält man sie lieber bis ins Frühjahr zurück. Einige große Handelsketten steigen erstmals zur Gänze aus dem Rabattreigen aus. DM etwa spendet einen Teil der Freitagsumsätze für ökologische Projekte.

Doch weit mehr noch als vereinzelt knappe Ware prägt die Zeit der Schnäppchenjäger und Sammler der nunmehr vierte Lockdown.

"Der Black Friday ist diesmal ein Amazon-Förderprogramm", sagt Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch mit Blick auf 20 Tage der Ausgangsbeschränkungen bitter. "Es ist, als würde Kranken erneut über den Schädel gehauen."

Eigenkapital als Immunisierung

Der Handel sei nachweislich kein Corona-Hotspot. Warum dieser wieder zugesperrt wurde, sei für ihn unverständlich. Immunisieren könne ihn jetzt nur noch stärkeres Eigenkapital. Das sei in der Steuerreform jedoch entgegen den ursprünglichen Plänen nicht berücksichtigt worden.

Peter Osel, Vorstand des Elektrohändlers Red Zac, sieht das Geschäft dennoch nicht als verloren. Anders als im Vorjahr helfe den stationären Händlern heuer Click & Collect über den Stillstand hinweg. Bis zu 70 Prozent Rabatt gewährten seine Händler 2020, heuer sind es bis zu 60 Prozent. "Keiner in der Branche kann es sich leisten, diese Tage der Konkurrenz zu überlassen."

Kritisch sieht Osel die Saisonalität, in die sich Händler selbst hineingeritten hätten und aus der es wie im Obst- und Gemüsegeschäft kein Entrinnen gebe, dennoch.

In den Köpfen der Konsumenten brenne sich ein, dass Händler gut verdienten, wenn sie auf 60 Prozent ihrer Margen verzichten könnten, sagt er. De facto sei das alles hier jedoch ein Nullsummenspiel. An der Intelligenz so manch eines Marktteilnehmers zweifeln lässt Osel, dass diese Preise für Produkte pulverisierten, die aufgrund gestörter Lieferketten gar nicht verfügbar seien.

Der Preis der Rabatte

Gut 230 Millionen Euro wiegt der Umsatz rund um den Black Friday und seinen kleineren Bruder Cyber Monday in Österreich jährlich. Doch irgendwer zahle für diese niedrigen Preise, auch wenn sie betriebswirtschaftlich einkalkuliert seien – das müsse Konsumenten bewusst sein, gibt Christoph Teller, Handelsexperte der Kepler-Uni Linz, zu bedenken.

Ziel der Händler sei es, damit ihre Machtpositionen zu festigen, vor allem in aktionsaffinen Ländern wie Österreich. Letztlich erinnert Teller der Black-Friday-Hype an Goethes Zauberlehrling, der die Kräfte, die er rief, nicht mehr loswurde.

Was die Lieferengpässe betrifft, so sieht er darin für Händler durchaus auch Chancen. Wer wie in der Welt des Internets geschickt auf Alternativen hinweise, dem sei das Wohlwollen der Kunden gewiss.

Teller empfiehlt, sich einiges von den Wirten abzuschauen, nach dem Motto: "Es dauert leider ein bisserl länger, aber darf ich Sie dafür auf ein Glaserl Sekt einladen?" (Verena Kainrath, 23.11.2021)