Neue Laden- und Logistikkonzepte sollen die Stärken des stationären Handels mit jenen des E-Commerce verknüpfen. Dafür braucht es unter anderem eine hochoptimierte, datenbasierte Supply Chain.

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Dem US-amerikanischen Handelsunternehmer Clarence Saunders verdanken wir das Konzept des Selbstbedienungsmarkts. 1915 ließ er sich dieses patentieren. Ein Jahr später eröffnete er in Memphis, Tennessee, seinen ersten "Piggly-Wiggly-Store", ein SB-Geschäft mit fertig verpackten Waren. Es war der erste Supermarkt der Welt.

Eine Erfolgsgeschichte, wie man weiß. Mr. Saunders würde aber wohl nicht schlecht staunen, wenn er noch erlebt hätte, was aus seiner Idee geworden ist, welche Evolution sein Konzept durchlaufen hat, wo es heute, Stichwort "Online-Shopping", steht. Wie sich die Ansprüche der Konsumentinnen und Konsumenten dadurch verändert haben. Und was sich, verborgen vor deren Augen, im Hintergrund abspielt.

An eine Grenze gekommen

Genau darüber, über die Zukunft des Shoppings im Allgemeinen und die logistischen Herausforderungen im Speziellen diskutierten Expertinnen und Experten beim Österreichischen Logistiktag 2021 des Vereins Netzwerk Logistik (VNL) in Linz. "Dahinter steht mittlerweile eine Supply Chain, die hochoptimiert ist", sagte etwa Michael Schedlbauer von TGW Logistics, einem Produzenten von Materialfluss- und Lagerlogistik-Lösungen für Lagerhaltung, Produktion, Kommissionierung und Distribution.

"Aber das Thema", hielt er fest, "kommt an eine Grenze. Wir brauchen neue Lösungen." Spätestens zu Beginn der 2000er-Jahre habe sich mit dem Einsetzen des Online-Handels die Lage geändert. Womit sich, so stellt er fest, vor allem der Lebensmittelhandel schwertat. "Der letzte Push kam voriges Jahr", konstatierte Schedlbauer. Und spielte damit wohl auf die Verwerfungen durch die Pandemie an.

Unkompliziert und maßgeschneidert

Eines der Kriterien beim Einkauf sei Schnelligkeit, der Wille, lange an der Kasse anzustehen, niedrig. Zudem wolle der Kunde flexibel sein und bei Convenience-Produkten ein auf ihn zugeschnittenes Angebot erleben. Peter Prisching, Director of Shopconsult bei Umdasch Venture, ergänzte, dass auf Kundenseite Einfachheit, Entschleunigung, sowohl online wie offline, erwartet werden: "Alles soll unkompliziert, nah, bequem, unterhaltsam und maßgeschneidert sein."

Früher hätten die Erfolgsfaktoren in der Lage des Marktes, bei Personal, Sortiment und Prozesskosten gelegen, heute gehe es um Datenverwertung. Das Personal sei inzwischen wichtiger als die Lage. "Die Läden müssen attraktiver werden", forderte Prisching. Es gehe um einen Wahrnehmungswettbewerb: "Der Konsument muss sich wohlfühlen. Man muss ihn überraschen, Dinge brechen, vorauswählen, die Atmosphäre muss stimmen." Man setze daher auf Entschleunigung. Persönliche Erlebnisse und Zusatzleistungen zählten.

Dem Kunden müsse der Einkaufsprozess so angenehm wie möglich gemacht werden, um ihm zu mehr Freizeit zu verhelfen, sagte Prisching. Einkaufsqualität plus Raumatmosphäre sollen dazu beitragen. "Die Menschen sollen sich wie auf einem Marktplatz bewegen können. Die Fokussierung liegt auf Transparenz, Look and Feel", sagte Prisching. "Verschiedenste Layouts sind denkbar."

Das Geschäft, das alles kann

Mit einem sogenannten Omnistore, einem Laden- und Logistikkonzept, das die Stärken des stationären Handels mit denen des E-Commerce verknüpfen soll, will TGW laut Michael Schedlbauer einen Schritt dorthin setzen. Die durchschnittlichen Einkaufsgewohnheiten lägen bei einem einmaligen Großeinkauf in der Woche und einigen kleinen dazwischen, meinte er. "All diese Bedürfnisse würden wir gerne mit Omnistore abdecken."

Dafür habe man errechnet, welche Personen welche Bedürfnisse hätten: "Dinge, die man immer braucht, kann man auch online bestellen. In den Laden kommt man für Produkte, an denen man ‚schnuppern‘ und über die man sich genauer informieren will." Deshalb wolle man Online-Einkauf und Abholung mit dem Einkauf vor Ort kombinieren.

Die Kommissionierung würde durch Automatisierung effizienter gemacht. Die Abholung außerhalb des Geschäftslokals könne rund um die Uhr erfolgen, jene im Gebäude diene dem Spontankauf. Die Kommissionierung sei ergonomisch und ermögliche bis zu 600 Picks pro Stunde, irgendwann werde sie per Roboter erfolgen. Die Datenlandschaften würden über Umdasch abgebildet, erklärte Peter Prisching. In Teilen sei der Omnistore schon umgesetzt, sagten er und Schedlbauer.

"Out of the Box" in Wien

Apropos Lösungen fürs Online-Shopping bzw. das damit verbundene immer größer werdende Paketaufkommen: Allein in Wien hätten sich die Paketsendungen seit 2014 mehr als verdoppelt, hielt Stefan Tichacek von den Wiener Lokalbahnen fest. "Der innerstädtische Transport ist nicht umweltfreundlich organisiert", sagte er. "Paket- und Umschlagboxen können deutlich effizienter und ressourcenschonender eingesetzt werden."

Daher habe man sich mit einigen Partnern an dem Aufbau des "Wienbox"-Netzwerks beteiligt, das ebenfalls beim Linzer Logistiktag vorgestellt wurde. Studien würden zeigen, dass sogenannte White-Label-Boxen, also neutrale, diskriminierungsfrei nutzbare Boxen für alle, einen deutlichen Mehrwert in Nachhaltigkeit und Effizienz böten, sagte er.

Nadine Adensam vom Projektmanagement Wien – Out of the Box wies auf eine deutliche Reduktion der CO2-Emissionen hin, die dadurch erreicht werden könnte. In der Bundeshauptstadt gebe es derzeit acht Anbieter für Boxensysteme. Sie sollen nun zusammengefasst werden. Partner seien in erster Linie Unternehmen der Wiener Stadtwerke, aber auch der Telekommunikationsanbieter A1 sowie die FH des BFI als wissenschaftlicher Begleiter.

Theoretisch stehen mehr als 200 Standorte in Wien auf privaten Flächen und Flächen der Stadtwerke zur Verfügung. Als ‚Nächstes soll eine einheitliche App-Lösung für die Wienbox eingeführt werden.

Ziel sei ein starkes und sichtbares Netzwerk unter einer Dachmarke, sagte Adensam. "Man kann dort Retouren und die Wäsche zum Waschen abgeben, Einkäufe und Pakete entgegennehmen." Die Box diene der Dokumentenlagerung oder als Schließfach. "Geschäfte könnten so ihre Öffnungszeiten ausweiten", sagte sie. "Etwa können Handyreparaturen telefonisch vereinbart und in der Box umgeschlagen werden." Das Ganze solle barriere- und angstfrei erreichbar und rund um die Uhr bedienbar sein. Anfang Juli wurde die erste Box dieser Art in Betrieb genommen. (Stefan Mey, 24.11.2021)