Für den Abbau von Barrieren an Hochschulen braucht es weit mehr als Rollstuhlauffahrten. Vorzeigeprojekte für inklusive Bildung gibt es aber bereits

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Laura Schwörer hat viel zu tun. Sie hält Vorträge an Unis, forscht am Institut für Inklusive Bildung in Kiel und ist immer wieder mit Kongressen eingedeckt. Als qualifizierte Bildungsfachkraft spricht sie über Menschen mit Behinderungen, ihre Lebenswelten, Fähigkeiten und spezifischen Bedürfnisse. Sie macht das aus eigener Erfahrung, denn früher hat sie aufgrund ihrer Beeinträchtigung selbst in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet. Heute ist das anders, erzählt sie: "Ich bin nicht mehr von der Grundsicherung abhängig, dadurch habe ich mehr finanzielle Freiheiten. Ich fühle mich selbstständiger und erfüllter, weil ich mehr zur Gesellschaft beitragen kann."

Das Institut für Inklusive Bildung entwickelt seit 2013 Bildungsangebote an Hochschulen für und mit Menschen mit Behinderungen und Lernschwächen. Interessenten durchlaufen eine dreijährige Ausbildung, an deren Ende sie als Bildungsfachkräfte an Fach-, Hoch-, Berufsschulen und anderen Bildungszentren den Umgang mit Menschen mit Behinderung lehren.

Laura Schwörer forscht am Institut für Inklusive Bildung in Kiel
Institut für Inklusive Bildung

"Jede noch so gute Professorin kann theoretisches Wissen über Inklusion vermitteln, das praktische Erfahrungswissen bringen nur Menschen mit Behinderung mit", sagt Jessica Scheller vom Institut für Inklusive Bildung. Studierende melden regelmäßig zurück, wie sehr sie den Unterricht von ihr schätzen, Vorurteile verlieren und einen professionellen Umgang für das eigene Arbeitsumfeld erlernen, ergänzt Schwörer.

Finanzierung klappte nicht

Die Ausbildung existiert mittlerweile an zahlreichen Standorten in Deutschland, in mehreren deutschen Bundesländern geben Bildungsfachkräfte Weiterbildungskurse. 2019 begann ein Pilotprojekt in Österreich. Gemeinsam mit den Kooperationspartnern Jugend am Werk und Atempo sollten an der Wiener Wirtschaftsuniversität und der Universität Graz jeweils sechs Ausbildungsplätze ermöglicht werden. Die Vorbereitung des Projekts war durch die Schweizer Kahane-Stiftung und die österreichische Sinnbildungsstiftung bis 2020 finanziert, erste Interessenten hatten sich bereits gemeldet.Noch im Sommer 2020 standen die Initiatoren in den Startlöchern. Doch die Anschlussfinanzierung kam nie zustande. Das sei kein Scheitern, meint Scheller. Immerhin hätten sie viele wichtige, engagierte Kooperationspartner an einen Tisch gebracht. Doch offensichtlich fehle es in Österreich an politischem Rückenwind und damit an der nachhaltigen Finanzierung. Ein Anzeichen dafür ist der Nationale Aktionsplan Behinderung (NAP), Österreichs Strategie zur Umsetzung der 2008 beschlossenen UN-Behindertenrechtskonvention. Die Finanzierung hochschulpolitischer Maßnahmen nimmt im NAP bisher einen geringen Stellenwert ein – nur auf einer von rund 100 Seiten geht es darin um Hochschulbildung.

Nicht nur Norm-Studierende

Mit der Ausbildung zur Bildungsfachkraft will das Institut für Inklusive Bildung einer offenen Hochschule für alle den Weg ebnen. Hochschulen sind bisher auf den Norm-Studierenden ausgerichtet – jenen, der beispielsweise nicht durch chronische Erkrankungen in seiner Zeiteinteilung eingeschränkt ist, sagt Angela Wroblewski. Sie beschäftigt sich am Institut für Höhere Studien in Wien mit der Frage, wie inklusive Hochschulen gestaltet sein müssen, um allen potenziellen Studierenden den Zugang zu ermöglichen. Das betrifft etwa an der Universität Wien im Jahr 2019 16,1 Prozent der Inskribierten. "Studierende, die mit Barrieren konfrontiert sind, müssen Lösungen oft individuell vereinbaren", sagt Wroblewski.

Mittlerweile gibt es an allen Universitäten Ansprechpersonen für Menschen mit Beeinträchtigungen. Um der Individualisierung entgegenzuwirken, gelte es aber, Strukturen im Vorfeld inkludierend zu gestalten. Manche Hochschulen, wie die Universität für Musik und angewandte Kunst Wien, haben damit bereits begonnen. Hier werden alternative Prüfungsmodi bei Aufnahmeprüfungen eingesetzt. So vermittle eine Institution, dass sie Wert auf die Teilnahme von Menschen mit Behinderung lege und verbessere das Studienklima für jene, die sonst aus Angst vor Stigmatisierung keine Forderungen stellen würden. Auch einzelne Pilotprojekte wie die der Bildungsfachkräfte seien wichtig, sie müssten aber in umfassende strategische Zielsetzungen eingebettet sein.

"Wichtig ist",betont Wroblewski, "Inklusion nicht als Nischenthema, sondern als Kernzielsetzung der Hochschule zu handhaben". Beispielsweise in zentralen Dokumenten, so wie das bereits im Unigesetz der Fall ist. Im Fachhochschulgesetz fehlt dergleichen hingegen.

Bildungsfachkräfte

Zum Jahresende entscheidet der Ministerrat über die Fortsetzung des NAP. "Derzeit sind wir in Österreich von einem diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang zu tertiärer Bildung weit entfernt", sagt Ursula Naue vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. Sie hat am Positionspapier des Behindertenrates und der Petition "Inklusive Bildung jetzt" mitgearbeitet und fordert, die Ziele der UN-Charta über Rechte von Behinderten umzusetzen. Dazu gehören der Abbau aller Barrieren im Hochschulbereich, konkret formulierte Ziele und messbare Maßnahmen. Überdies solle es verpflichtende Fortbildungen für Lehrende in Bezug auf inklusives Lehren und Lernen geben – schließlich benötige es auch Hochschulpersonal, das die Regelungen umsetze.

Laura Schwörer ist allerdings optimistisch, dass es die Ausbildung zur Bildungsfachkraft bald auch in Österreich geben wird, denn: "Was viele wollen, das muss einfach geschehen." Für die Zukunft wünscht sie sich aber noch mehr. Irgendwann soll man bei Bewerbungen nicht mehr so wie sie für ihre Ausbildung angeben müssen, ob man eine Beeinträchtigung hat – die Auswahl soll nur noch nach Fähigkeiten passieren. (Sarah Yolanda Koss, 24.11.2021)