Alexander Wrabetz, bis Jahresende ORF-General, warf die große Medienorgel noch einmal an für eine ORF-Impflotterie, vorgestellt Montagabend in der Sondersendung "Stöckl live" zu Corona-Fragen.

Foto: Sceenshot ORF TVthek

Wien – Warum startet der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Impflotterie? Die einfachste Antwort: weil die österreichische Bundesregierung bisher keine Anstalten machte, die Bevölkerung mit solchen Goodies zum Impfen zu motivieren.

Die Montagabend in der Sondersendung "Bei Stöckl" präsentierte und gestartete Initiative entstand nach STANDARD-Infos im ORF und unabhängig von der Bundesregierung; der amtierende ORF-General Alexander Wrabetz hat Bundeskanzler und Gesundheitsminister vorab darüber informiert. Zur Sendung gab es schon im Juli eine Anregung von außen, die allerdings im Wahlkampf um den ORF-General unterging.

180.000 Anmeldungen bis Dienstagfrüh

Bis Dienstag, 10 Uhr, haben sich 180.000 Menschen bei der Impflotterie angemeldet, rund eine halbe Million hat werimpftgewinnt.orf.at bis dahin besucht. Mehr als eine Million hat "Stöckl live" am Montagabend zumindest kurz gesehen, 950.000 Menschen waren im Schnitt dabei. Der ORF verlost etwa ein Elektroauto, eine Markenküche und ein Einfamilienhaus. Die Preise hat sehr kurzfristig die ORF-Vermarktungstochter Enterprise organisiert.

Wie kam es zur Lotterie und zur Sondersendung am Montagabend, in der Barbara Stöckl mit Expertinnen und Experten aktuelle Fragen aus dem Publikum beantwortete? Laut ORF-Quellen entstand die Sendung vor zwei Wochen in einem Gespräch von ORF-2-Channel-Manager und Unterhaltungschef Alexander Hofer mit ORF-Generaldirektor Wrabetz. Aus dem Eindruck noch immer großer Unklarheit in der Bevölkerung über das Virus, die Impfung und die nötigen Maßnahmen. "Das Lob für die Sendung gebührt Alexander Hofer", erklärt Wrabetz auf Nachfrage.

Die Idee zur Sendung: kein Bürgerforum, ein politikfreies Forum für Fragen aus der Bevölkerung, das Sorgen und Zweifel erwähnt und ernst nimmt, aber nicht konfrontativ die Positionen gegenüberstellt.

Anregung schon im Juli: "Sei mutig und tu's"

Eine Anregung zu einer solchen Sendung kam allerdings schon Monate zuvor von außen: Der Verleger Lojze Wieser schrieb Wrabetz schon am 1. Juli eine Mail, die dem STANDARD vorliegt:

"Lieber Alexander, prüfe, ob Du nicht noch eine Sendung aus dem Boden stampfst, wo Menschen über Corona, die derzeitigen offenen Fragen besprechend, hinterfragend, von einigen Deiner Besten moderiert, über den Sommer – begleitend und auf den Herbst schauend – diskutieren, beraten, kritisieren, sich ergänzend usw., offen legen. Da kannst auch Politik, das, was sie versucht zu bewegen, da kannst du die Sorgen thematisieren und unterschiedliche Ansätze, wie durch die Krise zu kommen, nebeneinanderstellen, keinen vorn draußen lassen und die Menschen mitnehmen und deinem Auftrag glaubwürdig nachkommen. Wo, wenn nicht da! Glaub mir, es wird dir auch mit Blick auf August von Vorteil sein. Ich denke, dass ist ein – für dich und den ORF – guter Ruck! Sei mutig und tu's!"

Die Mail ging offenbar im Wahlkampf um den Job des ORF-Generals unter, jedenfalls hat Wrabetz nie darauf geantwortet, sagt Wieser. Er freut sich dennoch über die Sendung – "leider halt auch zu spät, wie alles in dieser Pandemie".

Puls 4 war schneller

Schneller als der ORF war Puls 4 am Sonntag vor einer Woche mit einem ähnlichen, ebenfalls gelungenen Spezialformat "Der Impfcheck" im Hauptabend.

ORF-Quellen sagen, die Vorbereitungen für "Stöckl live" hätten unabhängig davon vor zwei Wochen mit dem Gespräch von Wrabetz und Hofer begonnen. Vorletzten Sonntagnachmittag, also wenige Stunden vor dem Spezial auf Puls 4, hat Wrabetz ORF-Führungskräfte zu einem Meeting zusammengerufen und sie über das Sendungsprojekt informiert.

Die Lotto-Idee

Die Idee zur Lotterie soll ebenfalls vor zwei Wochen entstanden sein, vorgeschlagen vom langjährigen ORF-Vordenker und -Strategen Franz Manola. Motto: "Wir sollten noch einmal die große Orgel anwerfen", nur der ORF bringe eine solche große Initiative zuwege. Das Bild der großen Medienorgel geht auf ihren langjährigen Organisten, Ex-ORF-General Gerd Bacher, zurück.

Oliver Böhm, Geschäftsführer der ORF-Vermarktungstochter Enterprise, übernahm es, Unternehmen um Sachpreise für die Lotterie zu bitten, offenbar mit einigem Erfolg und mit Aussicht auf einige Präsenz im größten Medienunternehmen des Landes als erwünschte Nebenwirkung. Die rasche Umsetzung der Impflotterie übernahm der gewohnt entschlossene, auch für Humanitarian Broadcasting zuständige ORF-Manager Pius Strobl mit seinem Team.

Gesellschaftliches Interesse

Der ORF unterstreicht seine Rolle als öffentlich-rechtlicher Rundfunk immer wieder mit Aktionen im Hilfs- und Umweltbereich wie "Licht ins Dunkel" oder "Mutter Erde". Grundidee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eine (mediale) Plattform im Sinne gesellschaftlicher Interessen.

Das ORF-Gesetz verlangt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwa "die angemessene Berücksichtigung und Förderung sozialer und humanitärer Aktivitäten, einschließlich der Bewusstseinsbildung zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt". Im Kernauftrag steht etwa auch "die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens".

Wrabetz erklärt die Initiative auf Anfrage so: "Mir war wichtig, dass der ORF seiner gesellschaftlichen Aufgabe gerecht wird und sich mit ganzer Kraft einsetzt, um das Impfanliegen mit Information und Motivation zu unterstützen."

Die – beim Treffen von Kanzler, Gesundheitsminister und Landeshauptleuten am Tiroler Achensee Ende voriger Woche beschlossene – Impfpflicht ab Februar stehe dem nicht entgegen. Der ORF versuche nun mit der Impflotterie, rasch und mit positiven Anreizen zum Impfen zu motivieren.

Kritik der FPÖ

Kritik kam am Dienstag – nicht ganz überraschend – von der FPÖ. Mediensprecher Christian Hafenecker wirft dem ORF "einseitige Propaganda" vor, "Anbiederung an den Chaoskurs der Regierung"; mit der Verlosung eines Fertigteilhauses sei "der Gipfel der Unverfrorenheit erreicht". Die Impflotterie sieht er als "weiteren Beweis dafür, wie wichtig die ersatzlose Abschaffung der GIS-Gebühren ist". (Harald Fidler, 23.11.2021)