Darf es ein bisserl mehr sein? Die Löhne und Gehälter steigen für zwei Drittel der Mitarbeiter um 2,55 Prozent. Die Metaller bekommen um 3,55 Prozent mehr.

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Wien – Homeoffice spielt es nicht. Seit bald zwei Jahren halten Handelsmitarbeiter in der Pandemie die Stellung, ein großer Teil von ihnen auch während sämtlicher Lockdowns. Sie ertrugen Aggressionen der Kunden ebenso wie stundenlanges Tragen der Schutzmaske. Sie füllten im Akkord die Regale auf, als Hamsterkäufe Waren knapp werden ließen, und glichen die immer häufiger auftretenden Personalengpässe durch hohe persönliche Flexibilität aus – zumeist auf Kosten der eigenen Familie.

Die Corona-Krise warf ein Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen im Handel mit seinen 415.000 Angestellten und 134.000 Lehrlingen. Fast jeder Dritte von ihnen ist im Lebensmittelhandel beschäftigt, der die herausforderndsten Jahre seiner jüngeren Geschichte erlebt. Es sind vor allem Frauen in Teilzeit, die die Versorgung am Laufen hielten und dabei vielfach Arbeitszeiten weit über ihre eigentlichen Verträge hinaus akzeptierten.

Vier Anläufe

Nun ist Zahltag im Handel. Dreimal trafen Österreichs Sozialpartner aufeinander, um sich auf einen neuen Kollektivvertrag für die Branche zu einigen. Dreimal ging man ohne handfestes Ergebnis auseinander. Rundum änderten sich derweil schlagartig die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Regierung verschärfte aufgrund der ungebremst wachsenden Infektionsraten einmal mehr Zug um Zug die Ausgangsbestimmungen.

Am Dienstag unternahmen Arbeitgeber und Gewerkschaft den vierten Anlauf. Diesmal machten sie Nägel mit Köpfen.

2,55 bis 3,45 Prozent mehr

Die Eckpunkte des Abschlusses: Die Gehälter der Handelsangestellten steigen im kommenden Jahr im Schnitt um 2,8 Prozent Prozent. Durch Anhebung des Einstiegsgehalts für Verkäufer und Berufseinsteiger von 1.740 auf 1.800 Euro brutto erhöhen sich die Gehälter für ein Drittel der Angestellten um 3,45 Prozent. Für alle anderen macht das Plus 2,55 Prozent aus.

Zum Vergleich: Im Vorjahr betrug das Plus bei den Löhnen und Gehältern 1,5 Prozent. Die Inflationsrate erhöhte sich heuer jedoch auf 2,1 Prozent. Im Oktober kletterte sie auf 3,7 Prozent, es ist der höchste Wert seit 13 Jahren. Die Metaller, die in der Regel die Messlatte für weitere Abschlüsse legen, hatten sich nach langem Ringen auf plus 3,55 Prozent geeinigt. Die Handelsgewerkschaft hatte für ihre Leute den gleichen Zuwachs gefordert.

Nachtzuschlag

Für Arbeiten in der Nacht bis fünf Uhr wurde ein Nachtzuschlag von 50 Prozent vereinbart, der fast ausschließlich den Lebensmittelhandel betrifft. Das Recht der Beschäftigten, ihre Teilzeit aufzustocken, dürfen künftig die betrieblichen Sozialpartner per Betriebsvereinbarung regeln. Die Lehrlingseinkommen steigen um durchschnittlich 2,8 Prozent. Darüber hinaus gibt es einen Digitalisierungsbonus von 100 Euro für technisches Equipment.

Bei den Rahmenbedingungen hatte die Gewerkschaft ursprünglich auch auf eine leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche gepocht. Und sie verlangte Zuschläge ab der ersten Stunde an zusätzlichen Diensten. Auch ein Digitalisierungsbonus von 250 Euro für Lehrlinge stand im Raum. Alle drei Forderungen ließen sich derzeit aufgrund der widrigen wirtschaftlichen Umstände nicht umsetzen.

Der Lockdown schwächte die Position der Arbeitnehmer massiv. In ihren Reihen machte sich am Dienstag herbe Enttäuschung breit, zumal sich die Kluft zur männderdominierten Industrie weiter vertieft.

Unerfüllte Erwartungen

Die Erwartung der Beschäftigten sei sehr hoch gewesen, wie auch ihre Kampfbereitschaft, sagt Anita Palkovich, Chefverhandlerin der Arbeitnehmer, im Gespräch mit dem STANDARD. Angesichts der starken Kaufzurückhaltung und der Abwanderung von Umsatz in den Onlinehandel durch den neuerlichen Stillstand der stationären Geschäfte habe der Lohnabschluss aber einen Kompromiss erfordert. "Der Lockdown schmerzt, und er ist eine Kraftprobe für den Handel."

Palkovich wertet den Abschluss dennoch als positives Signal für Frauen vor allem in jenen Bereichen des Handels, die in der Pandemie einem besonderen Arbeitsdruck ausgesetzt seien.

Gesamtpaket als Schlüssel

Der Schlüssel zur Einigung sei ein Gesamtpaket gewesen, auch wenn man damit nicht allen Erwartungen der Angestellten gerecht werden könne, zumal der Handel so unterschiedliche Branchen unter einem Dach vereine, sagt Palkovich.

Der Handel selbst sieht sich im Tal der Tränen. Der vierte Lockdown innerhalb von zwei Jahren lähmt den zögerlichen Aufschwung. Vor allem Modehändler stecken trotz staatlicher Hilfen tief in der Verlustzone. 140 Millionen Euro Umsatz gehen dem Handel in Summe derzeit wöchentlich verloren, rechneten Experten der Kepler-Uni Linz vor. Vieles davon lässt sich nicht mehr aufholen. Zu viel Geschäft fließt in den internationalen Onlinehandel ab.

Corona sei keine Ausrede, sondern ein Faktum, sagt Rainer Trefelik, Chefverhandler der Arbeitgeber. Der neue Kollektivvertrag federe Differenzen zwischen Branchen ab, etwa indem Arbeitszeit vor fünf Uhr Früh für den Lebensmittelhandel künftig eine andere finanzielle Wertigkeit habe. Als großen Schritt bezeichnet er mit Blick auf den wachsenden Personalmangel die höheren Einstiegsgehälter. "Wir haben uns hier einen Ruck gegeben." (Verena Kainrath, 23.11.2021)

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