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Ivermectin-Engpässe in einzelnen Regionen gab es schon vergangene Woche: Der Wirkstoff, der zur Wurmbehandlung bei Tieren und zur Krätzebehandlung bei Menschen im Einsatz ist, war in Oberösterreichs Apotheken zeitweilig ausverkauft. Seit Montag ist allerdings die Nachfrage bundesweit gestiegen, wie der Pharmagroßhandelsverband Phago dem STANDARD mitteilt. Das Absurde daran: Kurz davor wurde bekannt, dass eine Österreicherin wegen einer Ivermectin-Vergiftung auf der Intensivstation lag, auch Gerüchte über einen Todesfall – die sich als falsch erwiesen – verbreiteten sich.

Seit Montagnachmittag, sagt Monika Vögele, Generalsekretärin der Phago, sei die Nachfrage im Vergleich zu den ersten zwei Novemberwochen um 50 Prozent gestiegen, an einzelnen Tagen sei sie sogar doppelt so hoch gewesen wie üblich. Das bedeutet: Die Apotheken beziehen seit dieser Woche verstärkt Präparate mit dem Wirkstoff von Pharmagroßhändlern. Das bedeutet auch, dass das Mittel vermehrt verschrieben wurde, denn es ist rezeptpflichtig.

Schon einmal gab es in Österreichs Apotheken einen massiven Anstieg in der Ivermectin-Nachfrage, das war im heurigen Februar und März. Da, so heißt es von Vögele, hätten aber vor allem Apotheke an der Grenze zu Nachbarstaaten im Osten einen höheren Absatz gehabt – damals wurde das Dreieinhalbfache der üblichen Menge von Ivermectin verkauft. Der aktuelle Anstieg betrifft allerdings Apotheken in ganz Österreich.

Überdosierung ist hochgefährlich

Der Hintergrund: Im Frühling 2020 hat es in Australien eine Laborstudie gegeben, die gezeigt hat, dass Ivermectin die Verbreitung des Coronavirus vermindern könnte. Das Problem dabei: Man müsste dafür Ivermectin in einer laut Ärzten viel zu hohen Dosis verabreichen. Die Folge wäre eine Vergiftung. Eine spätere Studie untersuchte die Wirkung direkt an Patienten und lieferte vielversprechende Ergebnisse – die Studie musste im Sommer dieses Jahres aber zurückgezogen werden, weil sich viele Daten als falsch oder gefälscht herausgestellt hatten. Das Fazit bleibt: Eine hohe Dosis an Ivermectin ist für den Menschen gefährlich.

Das betont mittlerweile sogar der Hersteller selbst. Allerdings hat Ivermectin einen prominenten Fürsprecher: FPÖ-Chef Herbert Kickl, selbst gerade mit Corona infiziert, propagiert es seit Wochen. Just diesen Sonntag wedelte außerdem der FPÖ-Abgeordnete Gerald Hauser im Parlament mit der Packungsbeilage des Humanpräparats.

Fehlt an anderer Stelle

Dabei würde Ivermectin in anderen Bereichen dringend gebraucht: etwa in der Obdachlosenbetreuung. Auch da ist das Mittel zur Behandlung von Krätze im Einsatz, zum Beispiel beim Roten Kreuz in Tirol. Dort bestelle man Scorbial – so heißt das Präparat in der Humanmedizin – nach Angaben eines Sprechers nun über eine Klinikapotheke, weil außerhalb, also in regulären Apotheken, "oft Engpässe bestehen". Auch in Oberösterreich kam es zuletzt zu Engpässen, wie die dortige Apothekerkammer angab.

Was die Obdachlosenbetreuung angeht, dürfte das Problem aber noch kein breites sein: Von der Wiener Caritas, die auch den Louisebus betreibt, mit dem obdachlose Menschen medizinisch versorgt werden, heißt es, da habe man noch keinen Engpass bemerkt. Der dortige ärztliche Leiter gibt an: Es gebe grundsätzlich keinen Engpass, aber "das Medikament wird nicht mehr so leichtfertig ausgegeben – aus bekannten Gründen, weil der Missbrauch in falscher Indikation nicht ungefährlich ist". Für die eigentliche Indikation, also etwa Krätze, gebe es aber auch andere Präparate, Angst vor einem Engpass habe man daher nicht.

Auch aus dem Wiener Neunerhaus, in dem niederschwellige medizinische Versorgung angeboten wird, heißt es, es gebe keinen Engpass. Ein solcher wäre aber "sehr unerfreulich", sagt Stephan Gremmel, der dortige ärztliche Leiter. Scabioral sei "ein wichtiges Medikament" und "eine durch unqualifizierte Aussagen herbeigeführte Verknappung gefährdet neben den Personen, die das Medikament unnötig einnehmen, auch die Gesundheit jener Menschen, die die Therapie dringend benötigen."

Schwankungen auch bei anderen Medikamenten

Starke Schwankungen gab es vor und während der Pandemie aber auch bei anderen Medikamenten. Die Phago hat mehrere Medikamentengruppen ausgewertet und nun dazu Zahlen veröffentlicht. Demnach stieg die Nachfrage nach Schmerzmitteln in der Woche, in der der erste Lockdown verkündet wurde, um 200 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr, bei Antibiotika verzeichnete man ein Plus von fast 100 Prozent. In beiden Kategorien sank allerdings ab April 2020 die Nachfrage massiv auf ein geringeres Niveau als gewohnt.

Noch immer sei die Situation sehr volatil, sagt Generalsekretärin Vögele, die aber betont: Die Reichweite des Großhandels reiche dafür aus, dass man selbst bei einem Ausbleiben von Nachlieferungen genug Medikamente für drei Wochen hätte. Mit diesem Puffer könne man Schwankungen abfedern. (Gabriele Scherndl, Lara Hagen, 23.11.2021)