Viel Zeit am Handy zu verbringen ist in Zeiten eines Lockdowns nicht automatisch besorgniserregend.

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Piepiepiep: Schon bei jungen Menschen gilt der erste Blick nach dem Aufwachen ihrem Handy. Nach dem Ausschalten des Weckers werden noch im Halbschlaf Newsfeeds und Tiktok sowie Instagram gecheckt. Beim Zähneputzen spielt das Handy Musik ab, in der U-Bahn wird mittels Whatsapp noch die Mathe-Hausübung ausgetauscht.

Das Smartphone ist auch bei den Beratungsgesprächen der Wiener Psychologin Andrea Prettenhofer stets ein ganz großes Thema – nicht nur im Gespräch mit den Jugendlichen, sondern auch mit den Eltern. "Das Handy als Gerät ist großartig", sagt Prettenhofer trotzdem. Nachsatz: "Aber es kommt auf die Verwendung an." Problematische Mediennutzung beziehe sich nämlich nicht auf das Handy selbst, sondern auf die Inhalte, die damit konsumiert werden.

Immer erreichbar

Speziell bei älteren Jugendlichen gebe es hier durchaus schon ein Problembewusstsein. Die "fear of missing out", kurz: FOMO, wegen der nicht nur die Jungen quasi immer erreichbar sind, werde mittlerweile als ungesunder Stressor erkannt. Darauf wird mit dem Löschen bestimmter Apps reagiert.

Allerdings erlebt die Psychologin auch ungesunde Mediennutzung: Junge Frauen zum Beispiel, die zu viel Zeit auf Instagram verbringen, sich und ihren Körper ständig mit Influencerinnen vergleichen und dadurch ein ungesundes Körperbild entwickeln. Das Problem: Durch das schnelle Scrollen hätten sie wenig Zeit, das Gesehene gründlich zu verarbeiten – und sich zu überlegen, wie lange das Fotoshooting der Influencerin gedauert hat und wie stark das Bild bearbeitet wurde.

Mehr Handy im Lockdown

Die starke Handynnutzung junger Menschen belegen auch Studien: Rund die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler verbringen täglich fünf oder mehr Stunden an ihrem Smartphone. Das hat eine Studie der Donau-Uni Krems und Med-Uni Wien zur psychischen Gesundheit Jugendlicher vor einigen Monaten ergeben. Damit hat sich die Handynutzungszeit seit 2018 verdoppelt.

Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Med-Uni Wien, betont aber, dass es in Zeiten von Lockdowns nachvollziehbar ist, dass die Handynutzung nach oben schnellt. Immerhin sind dann viele andere Freizeitmöglichkeiten – Sporteln im Verein etwa – nicht möglich: "Und die weiße Wand kann man auch nicht den ganzen Tag anschauen", sagt der Psychiater.

Auch Psychologin Prettenhofer betont, dass es gerade in stressigen Corona-Zeiten okay ist, die Kinder auch mal länger Youtube-Videos schauen zu lassen. Eines ist ihr aber wichtig: Die Eltern müssen wissen, was die Kinder schauen, und sich mit den Inhalten auseinandersetzen.

Ist mein Kind handysüchtig?

Wenn das Kind nur am Bildschirm klebt, kommt aber oft ganz schnell die Frage, ob das Kind denn handysüchtig sei. Paul Plener betont dann, dass eine Sucht sich nicht über eine bestimmten Handynutzungszeit definiert. Kommt das Kind in der Schule klar, pflegt es in seiner Freizeit soziale Kontakte und hat mit familiären Verpflichtungen und Beziehungen kein Problem, dann seien auch fünf Stunden Handynutzung am Tag kein Indikator für eine Sucht.

Ein Hinweis auf eine Sucht wäre aber, wenn andere Bereiche des Alltags vernachlässigt werden, die Kontrolle über den Konsum verloren wird und man immer mehr Zeit am Handy braucht, um zufrieden zu sein.

Problematisch ist für Prettenhofer allerdings das ständige Multitasking: Der Fernseher läuft, nebenbei schreibt man auf Whatsapp und checkt seine E-Mails – "das stresst immens", sagt die Psychologin.

Studien fehlen

Aber hat die Nutzung des Handys Auswirkungen auf die psychische Gesundheit? Zwar wurden durch Studien beispielsweise Korrelationen von der Smartphone-Nutzung zu Depressionen aufgestellt, die Studienlage sei aber noch viel zu dünn, sagt Plener.

Was können Eltern also tun? "Ich empfehle immer eine strikte Kontrolle des eigenen Smartphone-Konsums", sagt Plener. "Eltern sollten selbstkritisch schauen, wo es in der Familie Smartphone-freie Zonen gibt." Eine solche Zone sollte beispielsweise das Bett, aber auch der Esstisch sein. Das gilt übrigens auch, wenn es sich nur um ein ganz kurzes Checken einer Nachricht handelt.

Denn auch der noch so kurze Blick auf den Bildschirm wird bemerkt: Laut Prettenhofer wünschen sich die meisten Kinder und Jugendlichen, dass ihre Freundinnen und Freunde und vor allem auch ihre Eltern weniger Zeit am Handy verbringen und ihnen gegenüber aufmerksamer sind.

Detox-Challenge

Kindern, die nur am Handy kleben, ihr Gerät einfach wegzunehmen, ohne eine Alternative anzubieten, ist laut Prettenhofer nicht ratsam. Wichtig sei vielmehr, die Stärken der Kinder in ihrer Online-Welt zu erkennen – und diese in die Offline-Welt zu holen. Etwa indem die Bauwerke aus dem Computerspiel "Minecraft" aus Lego nachgebaut werden. Ein spannendes Experiment kann auch eine Digital-Detox-Challenge für die Familie sein, in der man einen Tag oder – für den Anfang – auch nur einen Abend lang ohne Handy auskommt.

Einen Rat gibt die Psychologin den Eltern, die bei ihr Rat suchen, immer mit: "Lassen Sie sich bitte ein auf die unterschiedlichen virtuellen Realitäten Ihrer Kinder, Sie entdecken dadurch vollkommen neue, großartige Seiten bei ihnen, die Sie so noch nicht kannten." (Franziska Zoidl, 29.12.2021)