So wird das gemacht, liebe Regierung. Die 95 Minuten lange ORF-Sendung Stöckl live war ein Musterbeispiel an Aufklärung und informativem Eingehen auf die Fragen von Impfzögerlichen, Impfskeptiker(innen), Impfängstlichen. Ärzte, Wissenschafter und Wissenschafterinnen, Betroffene beantworteten, erstklassig moderiert von Barbara Stöckl, die allermeisten plausiblen Fragen, ließen aber auch den Mythen und Fake-News der Impftrolle und Corona-Leugner die Luft heraus. Fast eine Million Menschen sahen zu. Es war keine Minute langweilig.

Warum hat das keine Regierung seit März 2020 bisher zusammengebracht? Vorbilder hätte es gegeben. Ältere erinnern sich, wie 1992 bis 1994 von der rot-schwarzen Bundesregierung die Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur EU vorbereitet wurde: Spitzenpolitiker wie Außenminister Alois Mock und Bundeskanzler Franz Vranitzky traten unermüdlich bei allen möglichen Veranstaltungen auf; die Sozialpartner waren eingebunden; erstklassige Agenturen (Demner, Merlicek & Bergmann, Publico) entwarfen eingängige Kampagnen.

Österreich befindet sich seit Montag wieder im Lockdown.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Höhepunkt war ein "Bürgerforum" im ORF mit Auftritten von Politikern, Interessenvertretern, aber auch zweifelnden Bürgern. Auch einem prominenten Anti-EU-Schwurbler, dem FPÖ-Chef Jörg Haider, wurde Gelegenheit gegeben, sich mit seinen Warnungen, dass der Volkskörper mit "Schildlausjoghurt" und "Blutschokolade" vergiftet würde, unsterblich zu blamieren. Allerdings waren damals auch die Grünen Gegner des Beitritts.

Kontraproduktive Rhetorik

In der Tonalität wurde darauf geachtet, nicht von oben herab zu kommunizieren. In einer vom "Demokratiezentrum" erarbeiteten Dokumentation heißt es: "Um nicht die Bevölkerung im letzten Moment mit einer ‚übermächtigen Entscheidung‘ zu konfrontieren, entstand die Idee, diese komplexe Angelegenheit in kleinere Einheiten aufzuteilen, indem einfache, aber wichtige Fragen gestellt wurden."

Bei der Volksabstimmung über den Beitritt am 12. Juni 1994 nahmen 82,3 Prozent der Stimmberechtigten Teil, zwei Drittel (66,6 Prozent) stimmten mit Ja.

Der Beitritt zur EU war eine der wichtigsten Entscheidungen der Zweiten Republik; die Bekämpfung einer Pandemie, die das Gesundheitssystem und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit schwer erschüttert, liegt da in der Wertigkeit nicht sehr viel weit dahinter.

Der Vorwurf, der der Regierung Kurz/Kogler/Mückstein zu machen ist: Sie hat niemals eine konzertierte, intelligente Kampagne fürs Impfen auf die Beine gestellt und ab Frühjahr dieses Jahres überhaupt alles schleifenlassen. Die neue Regierung rudert unkoordiniert und hilflos herum, muss auf Zwangsmaßnahmen wie einen Lockdown und eine Impfpflicht zurückgreifen. Sie bedient sich einer kontraproduktiven Rhetorik: Jetzt müssten sich die Ungeimpften "zusammenreißen", sagte Kanzler Schallenberg.

Das ist Politik nach Gutsherrenart und gibt den potenziell Erreichbaren, den Ängstlichen und zum Teil immer noch erschreckend Uninformierten, keinen Raum zu einem inneren Prozess (die absoluten, ideologisch motivierten Impfgegner, geschätzte fünf bis acht Prozent, sind unerreichbar). So wird das heute nichts. (Hans Rauscher, 24.11.2021)