Die Ermittlungen wegen der Gefährdung durch übertragbare Krankheiten in Ischgl wurden eingestellt.

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Lange Zeit gab es rund um die Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nur wenige, doch teils recht aufsehenerregende Prozesse. Im Jahr 2019 waren es drei Fälle, die eine breitere mediale Berichterstattung erfuhren: Ein Wiener Polizist wurde von einem Mann, der Hepatitis C hatte, in die Hand gebissen, zwei weitere Fälle wurden durch Gerichtsprozesse bekannt: In einem hatte ein HIV-infizierter Mann ungeschützten Sex mit einer Frau, obwohl er wusste, dass er seit Jahren Aids hatte; in einem anderen spuckte ein Kärntner, der mit Hepatitis infiziert war, mehrere Personen an.

Trotz Infektion außerhalb der Wohnung

Dann kam die Pandemie und das Delikt bekam eine völlig neue Bedeutung. Die Fälle, die nach den Paragrafen 178 und 179 des Strafgesetzbuches bei den Staatsanwaltschaften aufschlugen, explodierten regelrecht. Der erste Paragraf beschreibt die vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten, der zweite das Fahrlässigkeitsdelikt. Zusammengerechnet schlugen beide Paragrafen heuer 20 Mal so oft bei Österreichs Staatsanwaltschaften auf, wie im Jahr 2019.

In den allermeisten Fällen, die an die Öffentlichkeit gelangen, geht es um Personen, die trotz einer Corona-Infektion ihre Wohnung verlassen. Die Tatbestände gehen aber deutlich weiter: Um sie zu erfüllen, muss man nicht einmal jemanden angesteckt haben, es reicht schon ein Verhalten, das potenziell dazu geeignet ist, Schaden anzurichten.

Ermittlungen wegen Ischgl eingestellt

Diese Frage stand auch in Ischgl im Raum, nachdem dort im Frühling 2020 nach den ersten Corona-Fällen ein komplettes Abreisechaos entstanden war und Infektionen in alle Welt getragen worden waren. Da ermittelte die Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen des Gefährdungsparagrafen gegen mehrere Personen – darunter befanden sich der Ischgler Bürgermeister Werner Kurz und weitere Personen auf der Landes- oder Bezirksebene. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Ermittlungen fallen gelassen werden und es zu keiner Anklage kommt.

In der Einstellungsbegründung werden zahlreiche Gründe genannt, warum den ehemals Beschuldigten nichts vorzuwerfen sei. So heißt es etwa: "Dafür, dass (...) die Verantwortlichen auf Mitteilungen ausländischer Behörden (...) überhaupt nicht oder viel zu spät reagiert hätten und erste Krankheitsfälle 'vertuscht' worden wären, ergaben sich keine tragfähigen Beweise." Oder, an anderer Stelle: "Der weitere zentrale Vorwurf, wonach nach und trotz Erkennbarkeit eines Clusters in Ischgl vor weiteren Veranlassungen und Maßnahmen rein aus wirtschaftlichen Interessen noch der Urlauberschichtwechsel am Wochenende abgewartet worden sei", sei nicht nachvollziehbar.

"Raum für Fortführung des Ermittlungsverfahrens"

Strafrechtlerin Heidemarie Paulitsch sagt über diese Begründung: "Man sieht, dass ein erheblicher Ermittlungsaufwand betrieben wurde", es habe eine unabhängige Expertenkommission gegeben, es seien viele Personen einvernommen worden, die Staatsanwaltschaft Innsbruck habe sich durch tausende Dokumente gekämpft, die Entscheidung sei an die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck berichtet und dem Ministerium vorgelegt worden.

Was sie aber doch überrascht habe, sei, "dass es keinerlei rechtliche Auseinandersetzung mit den Paragrafen 178 und 179 StGB gibt" – also dass in der Begründung nicht ausgeführt wird, warum genau diese beiden Paragrafen eben nicht auf die Vorkommnisse in Ischgl anzuwenden seien. Die Entscheidung werde "interessanterweise von der Staatsanwaltschaft zusammengefasst damit begründet, dass im Tatzeitraum eine 'präzedenzlose Situation mit großen Unsicherheiten' vorlag, die einer 'Naturkatastrophe in Zeitlupe' gleichkomme". Laut Paulitsch hätte es auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft Innsbruck durchaus "Raum für eine Fortführung des Ermittlungsverfahrens geben können". Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereins, kündigte einen Prüfungsantrag zu den eingestellten Ermittlungen an.

Diskussion um Kickls Tipps

In den vergangenen Tagen wurden die Delikte auch immer wieder im Zusammenhang mit FPÖ-Chef Herbert Kickl diskutiert. Der verbreitet bekanntlich höchst zweifelhafte Tipps für den Umgang mit dem Coronavirus – etwa dass dagegen das gefährliche Wurmmittel Ivermectin oder eine Überdosis Vitamin D helfen würde. Durch beide Mittel gab es in Österreich bereits schwere Vergiftungen.

Unter Juristen ist allerdings umstritten, ob der Paragraf auf Kickl anwendbar wäre. Laut der Staatsanwaltschaft Wien sind wegen derartiger Fragestellungen bereits mehrere Anzeigen gegen einen hochrangigen FPÖ-Politiker eingelangt, Ermittlungsverfahren leitete man allerdings keines ein.

Zurück zum drastischen Anstieg jener Fälle, die bei den Staatsanwaltschaften aufschlugen. Da war der Höhepunkt im April 2021 erreicht, 143-mal ging da das Vorsatzdelikt ein, 36-mal das Fahrlässigkeitsdelikt.

Diese Zahlen sagen allerdings noch nichts darüber aus, wie oft es tatsächlich zu einer Verurteilung kam – eine Anzeige kann schließlich jeder oder jede machen. Im Jahr 2021 wurde bisher 274-mal Anklage wegen eines der Delikte erhoben, dabei kam es zu 48 Freisprüchen und zu 123 Verurteilungen. (Gabriele Scherndl, 28.11.2021)