Während der Pandemie waren Gericht teils dazu gezwungen, Prozesse online abzuhalten.

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Das Justizministerium will aus der Not eine Tugend machen. Die mit Ausbruch der Pandemie geschaffene Möglichkeit, Zivilverfahren auch online durchzuführen, soll künftig erhalten bleiben. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt bereits vor.

Wie bei einer Online-Veranstaltung der Österreichischen Rechtsanwaltskammer deutlich wurde, ist das Vorhaben unter Juristinnen und Juristen allerdings äußerst umstritten. Aus Sicht von Elisabeth Lovrek, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, sollten digitale Prozesse jedenfalls die Ausnahme bleiben. Gerichtsverhandlungen seien schließlich "keine Online-Yogastunde".

Keine Streams

Schon bisher war es möglich, einzelne Befragungen ausnahmsweise digital durchzuführen. Der Gesetzesentwurf sieht nun vor, dass Richterinnen und Richter künftig Prozesse per Videochat abhalten können, wenn dies "tunlich" ist und die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Die Verfahrensparteien müssen zwar zustimmen, deren Einverständnis gilt aber schon dann als erteilt, wenn sie innerhalb einer Frist nicht widersprechen.

"Video hilft", sagt Lovrek, das habe man während der Pandemie gesehen. Auch verfassungsrechtlich spricht laut der OGH-Präsidentin nichts gegen digitale Verhandlungen. Der Grundsatz der Volksöffentlichkeit könnte eingehalten werden, indem die Prozesse im Gerichtsgebäude übertragen werden. Livestreams im Internet lehnt Lovrek aber ab. "Das würde die Persönlichkeitsrechte der aufgenommenen Personen verletzen."

Insgesamt steht die OGH-Präsidentin digitalen Prozessen jedenfalls skeptisch gegenüber. Technische Probleme könnten die Verhandlungen erschweren – vor allem dann, wenn es viele Beteiligte gibt. Auch die Beweiswürdigung sei online schwieriger. "Physische Präsenz vermittelt Sicherheit", sagt Lovrek. "Ein Gerichtsverfahren ist etwas Hoheitliches." Der Eindruck des Gerichts auf Zeugen und Parteien spiele eine zentrale Rolle.

Offene Fragen

Auch Rechtsanwältin Alma Steger, IT-Beauftragte der Rechtsanwaltskammer, übt Kritik an der Novelle. Man solle Möglichkeiten, die Verfahren einfacher zu machen, grundsätzlich nutzen. Es brauche aber dringend ein Pilotprojekt. Andernfalls sei das Unterfangen "eine Operation am offenen Herzen", sagt Steger. "In Gerichtsverfahren geht es um die Atmosphäre, um Nuancen." Den emotionalen Zustand einer Person könne man per Video nur sehr schwer beurteilen.

Laut den Anwälten lässt der Entwurf einige wichtige Fragen offen. Unklar sei etwa, was passiere, wenn während der Verhandlung die Internetverbindung abbricht. Offen sei zudem, ob auch Zeugeneinvernahmen per Video möglich sein sollen. Aus Sicht der Rechtsanwaltskammer ist das im Entwurf nicht ausgeschlossen, laut OGH-Präsidentin Lovrek schon. Kammerpräsident Rupert Wolff fordert eine explizite Klarstellung im Gesetz. Man müsse am Entwurf allgemein "noch einiges verbessern". (Jakob Pflügl, 24.11.2021)