Eigenversorgung im kleinsten Kreis statt Präsenztrinken an der Punschhütte: Es gilt, sich in der Vorweihnachtszeit im Verzicht zu üben.

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Frau Ingrid wähnt sich "im falschen Film". Die 50-Jährige ist Verkaufsleiterin in einer Tierhandlung in Enns und hat alle Hände voll zu tun. Wer Lebensnotwendiges verkauft, darf im Lockdown offen haben, was die Kunden offensichtlich nutzen. "Du glaubst es ja nicht, wie viele da kommen", tönt es zwischen Katzenfutter und Hundespielzeug hervor. "Habe ich etwas verschlafen? Ist der Lockdown schon vorbei?"

Das Gegenteil ist der Fall: Österreich hat erst zwei der geplanten 20 Schließtage hinter sich. Wieder einmal soll verordnete Isolation die Infektionsraten senken. 9513 gemeldete Fälle am Dienstag sind zwar deutlich weniger als in den Tagen davor, doch da spielen Probleme bei der Testauswertung mit. Der Krisenstab meldete 72 Corona-Tote innerhalb des letzten Tages, die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einem dramatischen Winter.

Funktioniert das Gegenmittel denn? Die Wirkung steht und fällt damit, wie bereitwillig die Bürger ihre Kontakte einschränken. Doch im Verlauf der Pandemie schien die Moral von Lockdown zu Lockdown gesunken zu sein.

Spritzen für den Halli-Galli-Urlaub

Ein Blick auf das Areal des Ennser Fachmarktzentrums am ersten Lockdown-Abend lässt keine Trendwende vermuten. Es ist das Bild eines normalen Einkaufswochentages, kaum ein Parkplatz bleibt frei. "Unverständlich" sei das, ärgert sich Frau Ingrid, während sie Katzenstreusäcke von einer Palette in Regale schupft. "Und überhaupt, diese Impfgegner. Die habe ich schon gefressen. Sich für den Halligalli-Urlaub in Afrika alles spritzen, aber jetzt auf der Straße schreien."

"Es ist ein ganz normaler Vormittag", meint auch die freundliche Dame an der Kasse eines großen Drogeriemarkts im Frunpark in Asten bei Linz am Dienstag. Lockdown-Depression macht sich hier nicht bemerkbar. Die Wahl der passenden Christbaumkugel scheint entscheidender als die Frage, ob es überhaupt ein "Weihnachten wie damals" gibt.

Ein Blick auf die Parkflächen der Shoppingmeile erweckt dann aber doch einen schütteren Eindruck, und auch die obligatorischen Staus an den Einfahrten der Landeshauptstadt bleiben weitgehend aus. Der Verkehr in den Ballungszentren habe seit Wochenbeginn schon abgenommen, berichtet der ÖAMTC, aber längst nicht so stark wie einst im Frühjahr 2020. Auf der Südosttangente in Wien kam die Autoschlange auch am ersten Abend des aktuellen Lockdowns ins Stocken.

Dehnbare Öffnungsregeln

"Um 20 bis 30 Prozent wird weniger los sein", sagt eine Marktstandlerin, die über volle Obststeigen hinweg den Platz vor der Millennium-City im Wiener Bezirk Brigittenau taxiert. Andrang gibt es nur drinnen, im Einkaufszentrum, wo sich neben einem blinkenden Plastikungetüm von Christbaum eine lange Schlange gebildet hat. Eineinhalb Stunden warten die Menschen an diesem Dienstagvormittag vor einer Impfstelle auf den Stich gegen das Virus. In zwei Dritteln der Fälle, schätzt der Bursche bei der Anmeldung, handle es sich um den dritten.

Für Frequenz sorgen noch andere hell erleuchtete Flecken inmitten der verdunkelten Schaufensterfassaden. Supermärkte und Bäckereien haben ebenso geöffnet wie Optiker, Handyanbieter oder Coffeeshops, die Take-away offerieren. "Wir sind immer für euch da", lockt eine Drogerie, wobei der Begriff "lebensnotwendig" gerade in dieser Branche dehnbar ist. Eine große Kette führt praktischerweise auch meterweise Spielzeug im Sortiment. Absperren muss sie die Regale nicht.

Kaufrausch schlägt einem hier dennoch nicht entgegen, dafür reichlich Zorn. "Wir können uns bei den vielen Idioten bedanken", schimpft ein junger Mann, der sich via Click & Collect beim Elektronikmarkt ein passendes Lenkrad für das Formel-1-Computerspiel zu Hause zulegt. "Die Impfgegner sollen alle in Oasch gehen" ist das Nobelste, was er noch hinzuzufügen hat.

Ungeimpfte von der Polizei verscheucht

Sehr viele Menschen habe die Polizei bereits in der Vorwoche, als nur noch Geimpfte und Genesene einkaufen durften, mit täglichen Kontrollen verscheucht, erzählt ein Brillenhändler ein paar Meter weiter. "An einem Tag sind sie zu acht dagestanden und haben jeden überprüft." Der Anbruch des Lockdowns habe für das Geschäft dann gar nicht mehr so viel geändert: "Es war schon davor so wenig los, dass sich kaum wer zu uns hineinverirrt."

Zielstrebig wirken die meisten Passanten, auch nahe den Imbisslokalen hängt kaum jemand ab. Zwei junge Burschen sind gekommen, um ihre Handyrechnungen zu bezahlen, ein älteres Ehepaar versorgt sich mit Proviant für die Flucht in den Zweitwohnsitz in Niederösterreich, wo die Kontaktreduktion leichtfalle: "In dem Dorf sind so wenige Leut’, dass du nackt durch die Straße tanzen könntest." (Markus Rohrhofer, Gerald John, 23.11.2021)