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Das Für und Wider von Gemeinschaftstischen in Hotelrestaurants.

Foto: Getty Images

Es ist keine zehn Jahre her, dass er auf einmal überall in fancy Boutiquehotels, skandinavischen Konzeptbuden und pseudotrendigen Ü40-Jugendherbergen auftauchte: der Gemeinschaftstisch. Er war dort meist in der Mitte von bahnhofshallengroßen Speisesälen und wohl auch in der irrigen Meinung aufgestellt worden, dass Wildfremde einander schon früh am Morgen etwas zu sagen hätten, wenn man sie nur zum gemeinsamen Frühstück verdonnert.

All jene, die leider keinen Platz mehr auf dem oft gut einsehbaren Plaudertisch ergattern konnten, sollten sich ruhig grämen, schweigend auf den billigen Plätzen rundherum ihr Müsli mampfen und die Tafelrunde mit offenem, aber vollem Mund bei ihrem kosmopolitischen Smalltalk bestaunen.

Es bildeten sich sofort zwei Lager: Die einen fanden das Konzept ganz wunderbar und wollten unbedingt dazugehören zur beredten Tafelrunde mit pochiertem Ei oder hygge Heringschmaus.

Das andere Lager, zu dem sich auch der Autor zählt, verstand die Welt nicht mehr: Warum mit der Partnerin in ein schickes Hotel oder ein flottes Wirtshaus flüchten, wenn dann erst recht alles abläuft wie am Kantinentisch? Höchstens aus Höflichkeit sagt man dort etwas, mit vollem Mund, aber inhaltsleer. Ohne das Gericht, die Gesellschaft oder das Gespräch zu genießen.

Drastisches Beispiel

Ein besonders drastisches Beispiel ist aus einem Strandhotel in Sri Lanka überliefert. Es belegt: Ein Wirt soll am Frühstückstisch niemals zusammenbringen, was nicht zusammengehört. Wie etwa ein sogar im Paradies streitendes Paar mit einem frisch verliebten, schmusenden Paar. Denn ist es nicht schlicht ungerecht, dass ein romantisiertes Pärchen durch eine vermeintlich soziale Sitzordnung schon beim ersten Caffè Latte bei Asozialen landet?

Die beiden Querulanten brachten es fertig, an einem der schönsten Orte der Erde über eines der belanglosesten Details der Welt zu streiten. Der einzig logische Schluss kann nur lauten: Am Gemeinschaftstisch mit Rosenkriegern schlagen selbst von Glückshormonen zugedröhnte Turteltäubchen wie Fallschirmjäger mitten im Krisenherd auf.

Die unangenehme Situation ist dem Autor bis heute präsent – weil er dem Schmusepärchen als Streithansl das friedliche Frühstück versaute. Seine Beziehung war am Ende, daran konnte auch ein Caffè Latte unter Palmen nichts mehr ändern. Doch selbst aus der komfortablen Sicht eines hoffentlich nur ehemaligen Unsympathlers am Gemeinschaftstisch ändert das nichts an weiteren Fehlern im System.

Im Team Happiness

Morgenmuffel, wie der Autor auch ein begnadeter ist, haben am geselligen Frühstückstisch ebenfalls nichts zu suchen. Wäre damals in Sri Lanka nicht hitzig gestritten worden, das frisch verliebte Paar hätte von seinem Gegenüber auch nur ein Gähnen mit zerkautem Omelett und Schweigen mit Milchschaum auf den Lippen zu sehen bekommen.

Wie glaubwürdig ist es nun, wenn in Teil zwei dieser Geschichte von einem Überläufer die Rede ist, der erst kürzlich aus dem Lager der Grantler und Gähner ins Tisch-Team Happiness wechselte? Und das mit Anlauf, obwohl es sehr früh am Morgen war und lauter fröhlich plaudernde Menschen neben ihm saßen.

Ins Waldviertel fährt man, weil die Landschaft rau und die Gespräche karg sind. Doch schon beim ersten Blick in die helle, freundliche Küche der Frühstückspension Zweitwohnsitz fällt der einladende Gemeinschaftstisch auf. Steckt da das Kalkül dahinter, lauter ratschende Städter in die wohltuende Waldviertler Einsilbigkeit zu locken und damit alles kaputtzumachen?

Kalkül im positiven Sinne

Nur kurz zur Herberge: Hier steckt hinter jedem Detail Kalkül – im positiven Sinn. Die Pension bietet Städtern, die seit der Pandemie aufs Land flüchten und dafür überteuerte Wochenendhäuser kaufen, eine Alternative: als – wie der Name sagt – temporärer Zweitwohnsitz. Mancher bleibt ein Wochenende, ein anderer ein Monat (etwa um ein Buch fertigzustellen), ein Dritter kommt immer wieder, um sich – anders als beim eigenen Wochenendhaus, das geputzt und geflegt werden will – verwöhnen zu lassen.

Am Gemeinschaftstisch dieses Hauses, das sich in den 1930er-Jahren ein reicher Müller vom Wiener "Gemeindebau-Architekten" Erich Franz Leischner hinstellen ließ, passierte an einem Samstagmorgen Folgendes: Die drei Paare, die dort saßen und ihren Kaffee schlürften, wechselten zunächst kein Wort miteinander. Man tat so, als wäre man selbstverständlich alleine und die anderen? Wisse man nicht, die können nur zufällig hier sein.

Keine pointierte Bilanz

Als dann einer eine flapsige Bemerkung über das Schweigen im Waldviertel machte, sprudelte wie nach einem Dammbruch ein fröhliches Geplappere los. Man war aus demselben Grund gekommen (Ruhe), man hatte aus demselben Grund das Schweigen gebrochen (Sympathie). Als die Letzten vom Frühstückstisch aufstanden, machten sich die Ersten Gedanken übers Abendessen, so lange hatte man sich unterhalten.

Was sagt uns das über Gemeinschaftstische in der professionellen Beherbergung? Nicht viel. Der Autor wäre glücklich, hier eine pointierte Bilanz in der Form zu ziehen, dass Community-Tische immer der krampfhafte Versuch sind, Smalltalk zum Event zu machen und die Mahlzeit mit Fremden zum verordneten Animationsprogramm.

Doch es schmerzt, sich einzugestehen, dass alles noch viel banaler ist: Wenn Sie asozial sein wollen, seien Sie es – aber bitte nicht am Gemeinschaftstisch! Ist dieser allerdings der einzige vom Wirt autorisierte Ort für die Nahrungsaufnahme, wählen Sie die Null für die Rezeption und fragen Sie so höflich wie irgendwie möglich: "Sagen Sie, gibt es bei Ihnen auch Frühstück auf dem Zimmer?" (Sascha Aumüller, RONDO exklusiv, 9.1.2021)