Keya Baier ist das grüne Mitglied des Vorsitzteams der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH).

Foto: ÖH

An sich macht der Lockdown einen großen Bogen um Hochschulen, sie dürfen offen bleiben. Dennoch hat sich für die knapp 400.000 in Österreich Studierenden diese Woche viel geändert, denn Unis und Fachhochschulen haben sich zur Umstellung vieler Lehrveranstaltungen auf Onlinebetrieb entschieden. Dabei hatte eine hohe Impfquote von 82 Prozent bereits zu Semesterbeginn die Hoffnung genährt, dass es im vierten Pandemiesemester keinen Teillockdown der Hörsäle geben wird. Auch Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) hatte sich der Devise einer überwiegenden Präsenzlehre verschrieben. Die linke ÖH-Koalition aus sozialistischen Studierenden (VSStÖ), grünen Studierenden (Gras) und Fachschaftslisten (Flö) sieht sich durch die aktuellen Entwicklungen in ihrer generellen Forderung nach mehr Hybridbetrieb bestätigt. Im Interview mit dem STANDARD tritt Keya Baier vom ÖH-Vorsitzteam nun auch erstmals für die österreichweite Einführung der 2G-Regel an den Hochschulen ein. Nur Geimpfte und Genesene sollen also vor Ort teilnehmen können.

STANDARD: Wie sehr sind die Hochschulen im Lockdown?

Baier: Das kommt auf den Standort an, es ist sehr uneinheitlich. Alle nehmen den Lockdown sehr ernst, gehen aber unterschiedlich damit um. Manche setzen fast nur auf Onlinelehre, bei anderen ist es ein Mischmasch. Das führt zu Problemen, weil die Kommunikation oft nicht funktioniert und Studierende von einem Tag auf den anderen nicht wissen, wo ihr Kurs oder ihre Prüfung stattfindet. Es ist ein bisschen absurd, auch im vierten Pandemiesemester so ein Chaos zu haben.

STANDARD: Die Entscheidung über die Corona-Maßnahmen liegt bei den Leitern der Hochschulen selbst, weil die von den allgemeinen Corona-Verordnungen ausgenommen sind. Werden die Studierendenvertreter eingebunden?

Baier: Auch das ist sehr unterschiedlich. An der Uni Salzburg sitzt die ÖH etwa im Corona-Krisenstab und redet mit. An anderen Unis wissen die Vertretungen überhaupt nichts, bevor es verkündet wird. An der Klagenfurter Uni wurde etwa Anfang November ohne Rücksprache mit der ÖH die 2G-Regel eingeführt – so sollte das nicht ablaufen.

STANDARD: Die ÖH hat kritisiert, dass die Studierenden nun wieder hauptsächlich ins Distance-Learning müssen. Aber wäre angesichts der erforderlichen Notbremsung beim Infektionsgeschehen eine Weiterführung mit mehr Präsenz überhaupt sinnvoll?

Baier: Wir fordern schon seit Sommer einen Fokus auf hybride Lehre. Wenn die Lehrenden von Beginn an doppelgleisig gefahren wären, hätte man jetzt nicht das Problem mit der Umstellung. Ich bin für die Möglichkeit, dass man an Seminaren weiterhin in Präsenz teilnehmen kann, wenn man will. Aktuell sehen wir aber auch Fälle, in denen Kurse weiterhin rein in Präsenz abgehalten werden, obwohl es auch digital ginge. Wenn man von Beginn an mit hybriden Konzepten geplant hätte, stünden wir jetzt besser da.

STANDARD: Aber hybride Lehre lässt sich oft kaum umsetzen. Wenn in einem Seminar, das vom Diskurs lebt, ein Teil der Studierenden dabei ist und der andere nicht, ist das schwierig.

Baier: Es gibt eine Reihe von innovativen Konzepten, wo das gut funktioniert. Ich war kürzlich in einem Seminar, bei dem nur ein Teil der Teilnehmer vor Ort war, ein anderer Teil hat sich asynchron mit den Inhalten beschäftigt und sich dann digital in Kleingruppen zum Austausch getroffen. Aber ja, es gibt auch Formate, bei denen ein paralleler Onlinemodus nicht möglich ist, zum Beispiel bei Labor- oder Sportübungen.

STANDARD: Viele Lehrbeauftragte sind ohnehin prekär beschäftigt oder überlastet. Denen würde man mit großflächiger Hybridlehre doch noch mehr Arbeit aufbürden.

Baier: Das stimmt, dieser Ballast muss dann mit Begleitmaßnahmen kompensiert werden, zum Beispiel durch die Anstellung von mehr Studienassistentinnen und Studienassistenten. Gerade für die weiblichen Lehrveranstaltungsleiterinnen, weil die in der Regel mehr Extras und Beratungsstunden für die Studierenden anbieten als ihre männlichen Kollegen. Generell sollte sich die Uni-Finanzierung auf gute Betreuungsverhältnisse fokussieren und nicht auf "Leistung" und schnelles Studieren.

STANDARD: Nochmals näher zur Corona-Situation: Einige Hochschulen haben schon angekündigt, dass sie bis Anfang Jänner im Digitalbetrieb bleiben, also über den Lockdown hinaus. Glauben Sie, es wird in diesem Wintersemester noch eine beträchtliche Rückkehr in die Hörsäle geben?

Baier: Ich möchte da keine Prognose machen, weil es von der pandemischen Lage abhängt. Fest steht aber, dass Studierende und Personal aufgrund der hohen Durchimpfung schneller wieder zurückkehren sollten als andere Branchen. Bei der Impfquote deutlich über 80 Prozent ist die Sicherheit vor Ort größtenteils gegeben.

STANDARD: Auf dem Instagram-Account liest man, dass die ÖH bei Präsenzveranstaltungen für die 2,5G-Regel plädiert, die mittlerweile fast überall gilt. Andererseits steht dort, dass die ÖH in "Risikogebieten" 2G befürwortet. Aber ganz Österreich ist doch eigentlich Risikogebiet, die Corona-Ampel ist überall rot. Heißt das nicht in der Konsequenz, dass die ÖH für österreichweites 2G an Hochschulen eintritt?

Baier: Ja, das stimmt, das kann man so sagen. Wenn wir uns ehrlich sind, führt daran kein Weg vorbei. Die Regierung hat ja auch schon die generelle Impfpflicht angekündigt, daran werden sich auch die Hochschulen mit einer 2G-Regel anpassen. Wichtig ist, dass es klare Ausnahmen für Studierende gibt, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Und es braucht Lösungen für ausländische Studierende, die Impfstoffe bekommen haben, die hierzulande im grünen Pass nicht anerkannt sind.

STANDARD: Was macht man mit dem Studium derjenigen, die sich selbst bei einer Impfpflicht partout nicht impfen lassen?

Baier: Das wird man sich an den Hochschulen ansehen müssen. Das Recht auf Bildung ist natürlich wichtig, aber das Recht auf sichere Bildung und Gesundheit auch. Man wird versuchen müssen, das zusammenzubringen.

STANDARD: Im ersten Lockdown 2020 hat die ÖH einen Härtefonds aus dem eigenen Budget finanziert, um Studierenden zu helfen, die etwa ihre geringfügigen Nebenjobs verloren haben. Im letzten Studienjahr hat sich dann auch das Bildungsministerium mit Geld am Fonds beteiligt. Die ÖH fordert nun eine Neuauflage für das aktuelle Studienjahr. Das Ministerium hat das am Dienstag im STANDARD abgelehnt, unter anderem weil der Lockdown nur 20 Tage dauern werde und es auch sonstige Beihilfen gibt. Was antworten Sie?

Baier: Niemand weiß, wie lange der Lockdown dauern wird. Außerdem sind viele Studierende schon jetzt in einer finanziell prekären Lage, und von einem Lockdown sind ja auch ihre Eltern betroffen, die ihre studierenden Kinder zum Teil finanziell unterstützen. Für die Regierung wären es Peanuts, den Studierenden zumindest die Gebühren zu erlassen, doch auch das lehnt das Ministerium ab. Wenn das Ministerium sich auch weiterhin gegen einen neuen Härtefonds sperrt, wäre das aus meiner Sicht eine echte Frechheit.

STANDARD: Würde die ÖH einen Härtefonds wieder alleine aufsetzen, wenn es kein Geld von der Regierung gibt?

Baier: Das ist intern gerade in Diskussion. Wir müssen notfalls schauen, ob es budgetär möglich ist. Eigentlich ist es aber nicht unsere primäre Aufgabe als Interessenvertretung, und es würde für uns viel bürokratischen Aufwand bedeuten, das abzuwickeln. An sich sollte sich Minister Faßmann dafür verantwortlich fühlen, und ich fordere ihn auf, seine Arbeit zu machen und die Studierenden nicht im Stich zu lassen. (Theo Anders, 25.11.2021)