Eine Hotline ist für viele Gewaltbetroffene eine niederschwellige Möglichkeit, sich Hilfe zu holen.

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Nur wenige haben wohl so oft mit vielen Gewaltbetroffenen zu tun wie Mitarbeiter:innen von Hilfshotlines. Der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien (01/71719) richtet sich an Mädchen und Frauen ab 14 Jahren, die sexualisierte, körperliche oder psychische Gewalt erlitten haben. Sie erhalten kostenlose, vertrauliche und auf Wunsch anonyme Beratung. Mitarbeiterinnen des Notrufs haben dem STANDARD erzählt, wie sie Gewaltbetroffene unterstützen, an welche Fälle sie heute noch zurückdenken und wie Angehörige helfen können.

STANDARD: Aus welchen Gründen melden sich Frauen bei Ihnen?

Psychologin: Sie melden sich oft in Akutsituationen, also während oder direkt nach einem Gewaltvorfall, um Unterstützung zu bekommen bei den nächsten Schritten. Sie melden sich aber oft auch erst später – wenn nach einer Anzeige eine Prozessbegleitung für das Verfahren gewünscht ist oder sie bemerken, dass sie psychisch weiterhin unter den Folgen der Gewalt leiden. Gewaltbetroffene haben einerseits ganz konkrete Anliegen: Begleitung in einem Strafprozess oder Unterstützung in der Zeit der Trennung vom gewalttätigen Partner. Sie suchen aber auch Unterstützung im Sinne eines wertfreien Raumes, in dem über Belastungen, Schuldgefühle, ambivalente Gefühle hinsichtlich des Erlebten oder bezogen auf den Täter gesprochen werden kann.

STANDARD: Mit welchen Problemen melden sich Gewaltbetroffene?

Sozialarbeiterin: Es geht dabei zu jeweils ungefähr einem Drittel um sexualisierte, körperliche oder psychische Gewalt. Das größte Drittel macht die sexualisierte Gewalt, also (versuchte) Vergewaltigungen und sexuelle Belästigungen aus, gefolgt von der körperlichen und psychischen Gewalt. Ich erlebe Vergewaltigungen als besonders belastend für Betroffene, weil sie alle drei Gewaltformen vereinen – es ist sexualisierte Gewalt, aber durch das Festhalten auch körperliche Gewalt. Und in jedem Fall auch psychische Gewalt, wenn der Täter etwas gegen den Willen einer Frau macht.

STANDARD: Wie helfen Sie Gewaltbetroffenen?

Psychologin: Wir beraten individuell je nach Problemlage und arbeiten mit der betroffenen Frau mögliche nächste Schritte heraus. Dabei ist es uns wichtig, dass die Entscheidung, was getan wird und ob die Frau sich in der Lage fühlt, diesen Schritt zu setzen, ausschließlich bei der Frau liegt. Wenn eine Klientin einen Vorfall etwa nicht anzeigen möchte, begleiten und unterstützen wir sie unabhängig davon auf ihrem Weg in ein selbstverantwortliches Leben. Die Frau entscheidet auch, ob und wie lange sie unser Beratungsangebot in Anspruch nehmen möchte. In Krisensituationen oder bei Selbst- oder Fremdgefährdung müssen wir direktiver vorgehen, das bedeutet, dass wir dann direkt Hilfe organisieren. In Einzelfällen können wir auch Frauen länger durch tiefgreifendere Veränderungsprozesse begleiten. Dies hilft den Frauen, sich nicht wieder in potenziell schädigende Umfelder zu begeben.

STANDARD: Wie kann man als Angehöriger helfen?

Juristin: Es gilt zu unterstützen und nicht zu überrollen und die Betroffene dort abzuholen, wo sie steht. Oft erleben die Angehörigen viel mehr Handlungsdruck und würden gern sofort handeln, weil die Hilflosigkeit für sie schwer auszuhalten ist. Es ist ein großer Vertrauensbeweis, wenn sich eine Person mit Gewalterfahrungen öffnet. Man sollte versuchen, hellhörig zu sein, wie man unterstützen kann, ohne nach dem eigenen inneren Druck zu handeln und dabei die Betroffene zu übersehen. Wir empfehlen, sich zur Unterstützung als Angehöriger oder auch mit der Betroffenen gemeinsam – wenn diese das will – an eine Beratungsstelle wie etwa den 24-Stunden-Frauennotruf zu wenden.

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STANDARD: Gibt es Fälle, an die Sie heute noch denken?

Juristin: Es gab eine Klientin vor einigen Jahren, die sehr massive Gewalt erlebt hat und relativ bald nach dem Vorfall zu mir kam und die ich längere Zeit begleitet habe. Zu sehen, wie schwer sie es allgemein im Leben hatte – und dann dieser massive Gewaltvorfall. Es hat mich tatsächlich auch nach langer Tätigkeit im 24-Stunden-Frauennotruf erschüttert, wie schwer es manche Frauen im Leben haben und dennoch nicht aufgeben.

STANDARD: Was sind Herausforderungen in Ihrer Arbeit?

Sozialarbeiterin: Dass wir Gewaltbetroffene oft desillusionieren müssen, was ihre Vorstellungen und Wünsche an das Justizsystem betrifft. Und dass uns als Beraterinnen hier Grenzen bei der Unterstützung unserer Klientinnen gesetzt werden. (Ana Grujić, 25.11.2021)