Foto: Gloomhaven
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Was sich, wenn man den Kritiken glauben darf, als analoges Spiel bewährt hat, das soll auch in der digitalen – und damit Lockdown-kompatibleren – Variante erfreuen. Das Kartenrollenspiel Gloomhaven hat es nach zwei Jahren im Early Access vor ein paar Wochen als voller Release auf Steam geschafft und erfreut sich dort schon länger "sehr positiver" Bewertungen.

Der Genremix wirkt auch auf einen Nichtkenner des physischen Originals verlockend. Mit einer Truppe von Helden trägt man allein oder im Koop-Modus mit Freunden strategische Rundenkämpfe aus, während man sich durch die Geschichte des Abenteuers und diverse Nebenquests hantelt. Zufallsereignisse, freischaltbare Heldenklassen und in Pension gehende Helden bescheren dem Ganzen auch noch ein bisschen Roguelike-Flair.

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Heldenpension

Erzählt wird die Handlung von Gloomhaven, die sich in und rund um die titelgebende Mittelalter-Fantasy-Metropole dreht, sehr klassisch. Und zwar mit gezeichneten Bildern und Texten, wobei die Einleitung der Hauptquests und einiger Nebenaufgaben von einem Sprecher erzählt wird, dessen schottischer Akzent ein atmosphärischer Bonus für das Spiel ist.

Gewählt werden kann aus einer Reihe von Klassen, die zum Teil üblichen Archetypen entsprechen und teilweise eine Mischform sind. Der "Brute" entspricht etwa dem klassischen Nahkämpfer (häufig als "Barbar" klassifiziert), die Scoundrel hingegen mischt die Banditin mit gelegentlichem Fernkampf. Die Spellweaverin beherrscht mächtige Zauber, hält aber im Nahkampf kaum etwas aus. Sechs Klassen stehen zu Beginn zur Auswahl, weitere elf kommen später dazu. Freigeschaltet werden sie, wenn man die "Personal Quest" eines Helden abschließt, woraufhin dieser dann in Abenteurerpension geht.

Damit wird auch ein Anreiz geschaffen, die neuen Klassen auszuprobieren. Wie gut man sich mit ihnen bewähren kann, hängt allerdings auch stark davon ab, wie groß die Heldentruppe ist – gespielt werden kann mit zwei bis vier Teilnehmern – und welche anderen Klassen sie beinhaltet. Eine objektive Beurteilung ist kaum möglich, die Spielerschaft ist sich weitgehend uneins darüber, welche Klasse unter welchen Bedingungen "overpowered" oder weitgehend nutzlos ist.

Karte für Karte zum Erfolg

Was sich aber auf jeden Fall sagen lässt, ist, dass die Spielmechanik von Gloomhaven ziemlich einzigartig ist. Jede Klasse verfügt über einen Kartensatz, von dem eine bestimmte Zahl an Karten mit in einen Kampf genommen werden kann. Jede dieser Karten bringt einen Initiative-Wert mit und obendrein zwei Fähigkeiten. Meist handelt es sich dabei um einen Angriff und eine Bewegung, die sich auf die obere und untere Hälfte der Karte aufteilen.

Pro Zug sind zwei Karten zu wählen, wobei die zuerst angeklickte den Initiativewert für die Runde bestimmt. Je niedriger dieser liegt, desto früher kommt man an die Reihe. Genutzt werden können beide Karten aber in beliebiger Abfolge, allerdings nur mit jeweils einer der beiden verfügbaren Fähigkeiten. Hinzu kommt, dass nach der Verwendung der oberen Hälfte der ersten Karte nur noch die untere Hälfte der anderen Karte eingesetzt werden kann, man in der Regel mit einem Angriff und einer Bewegung arbeitet.

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Nach dem Zug wandern die verwendeten Karten auf den "Abgelegt"-Stapel, es sei denn, man nutzt eine besonders starke Einmalfähigkeit, die die Karte sofort ganz aus dem Kampf nimmt ("verbrennt"). Gehen die nutzbaren Karten zur Neige (oder es gibt andere taktische Gründe), so lassen sich die abgelegten Karten bei den meisten Klassen wiederherstellen, indem man eine kurze oder lange Rast einlegt. Erstere ermöglicht, direkt weiterzuspielen, aber eine zufällig gewählte Karte komplett für diesen Kampf zu verlieren. Letztere kostet einen ganzen Zug, beschert aber etwas Heilung und ermöglicht es, sich die zu eliminierende Karte selber auszusuchen.

Neben dem Kartendeck gibt es auch für jeden Charakter einen separaten Pool an Modifikatoren. Diese können ausgeteilten Schaden erhöhen, verbessern und verringern und werden zufällig gezogen.

Kooperation ist alles

Das klingt als Beschreibung sehr kompliziert, ist aber mit wenig Einarbeitung ein gut verständliches System. Gut gemachte Tutorials für die Spielmechanik sowie die einzelnen Klassen helfen dabei, trittsicher zu werden.

Das System führt auch dazu, dass man sich die Zusammenstellung des eigenen Decks und den Einsatz der Einmalfähigkeiten gut überlegen sollte. Denn hat ein Charakter keine spielbaren Karten und auch keine "abgelegte" Reserve mehr, so scheidet er "erschöpft" aus dem Kampf aus und muss hoffen, dass seine Teammitglieder diesen erfolgreich zu Ende führen. Aufpassen muss man auch auf die eigenen Lebenspunkte. Würden diese bei einem gegnerischen Angriff auf null fallen, muss man eine zufällige oder zwei ausgesuchte Karten opfern, um den Schaden abzuwenden.

Die Kämpfe entwickeln sich damit auch zu einem kooperativen Knobelspiel, in dem Absprache mit den eigenen Teammitgliedern enorm wichtig ist. Um das vorgegebene Ziel zu erreichen, ohne dass allen die Karten ausgehen, diskutiert man aus, in welcher Reihenfolge man zieht, welche Fähigkeiten man gegen welche Gegner einsetzt oder wer wann rastet. Zu beachten ist dabei natürlich auch, wie die Karte gestaltet ist und mit welchen Widersachern man es zu tun hat, verfügen diese doch auch über unterschiedliche Stärken, Schwächen und Immunitäten.

Für das Lösen von Quests gibt es Erfahrungspunkte, Perkpunkte und Gold. Ein Levelaufstieg bringt Lebenspunkte und schaltet eine Auswahl neuer Karten frei, von denen man eine wählen und bei Bedarf in das Kampfdeck integrieren kann. Nach dem Erhalten von drei Perkpunkten kann man einen Bonus für den Modifikatoren-Pool freischalten und beispielsweise ein paar Negativboni streichen oder neue positive Effekte hinzufügen. Gold lässt sich beim Händler für Helme, Rüstungen, Schilde, Waffen, Stiefel und verschiedene "kleine" Gegenstände wie Heiltränke ausgeben. Die bieten in der Regel passive Boni oder einmalig pro Kampf verwendbare Effekte.

Kritik

Diese Mischung funktioniert erstaunlich gut, und beim strategischen Lösen der Quests vergeht die Zeit meist wie im Flug. Grafisch und akustisch ist das Spiel in Kämpfen "solide", bedauerlich ist allerdings, dass Ausrüstungsgegenstände nicht visuell berücksichtigt werden. Selbst wenn man als Brute einen zweihändigen Kriegshammer mitführt, läuft die Spielfigur dennoch mit Schwert und Schild herum.

Darüber hinaus gibt es aber auch ein paar größere Kritikpunkte. Das Interface von Gloomhaven funktioniert zwar im Großen und Ganzen, könnte aber wesentlich benutzerfreundlicher sein. In der Bedienung ist es inkonsistent. Viele Dinge, etwa auch die Anwendung von positiven Fähigkeitseffekten, die man nur für sich selbst nutzen kann, brauchen eine Extra-Bestätigung und können rückgängig gemacht werden, andere nicht.

Bestätigt werden müssen zum Glück Wege, denn die Wegfindung erinnert teilweise an die chronisch dummen Tiberium-Sammler im ersten Command & Conquer. Ist ein Held von Punkt X ein paar Felder entfernt, aber kann aufgrund eines Hindernisses zwei Pfade dorthin nehmen, wovon einer durch eine Falle führt, so kann es durchaus passieren, dass einen das Spiel automatisch durch selbige laufen lassen würde und man besser den Weg manuell festlegt.

Und zu guter Letzt ist auch der Einsatz der Modifikatoren nicht an jeder Stelle sinnvoll. In Gloomhaven ist es möglich, durch "Würfelpech" drei Runden lang am Einschlagen einer Wand – also an einem unbeweglichen, toten Objekt – zu scheitern und damit die wertvollen Züge zu verlieren, die am Ende auf den Sieg fehlen. Das ist wohl weniger ein Problem des Videospiels denn des Regelwerks, das hier schlicht für Wände einen neutralen Modifikator vorschreiben könnte. Im Einzelfall kann so etwas ausgesprochen frustrierend sein.

Fazit

Die Kritik soll aber nicht davon ablenken, dass Gloomhaven trotz seiner Schwächen eine gelungen Mischung aus Karten- und Rollenspiel ist. Gerade an frostigen Winterabenden, an denen man aufgrund der pandemischen Situation Social Distancing üben sollte, bietet es eine schöne digitale Beschäftigung für bis zu vier abenteuerlustige Spieler. (Georg Pichler, 25.11.2021)