Warum sind die Österreicherinnen und Österreicher so resistent gegenüber Expertenmeinungen von Komplexitäts- und Simulationsforschern, Viro- und Epidemiologen, sowie allem anderen, was die Wissenschaft so zu bieten hat? Beschäftigt man sich mit der österreichischen Seele, entsteht ein Bild von einem differenzierten, durchaus unter der Oberfläche emotionalen Volk, das so berühmt für seinen Charme ist. Die Alpenbürger sind auf den ersten Blick von ihrem Wesen her durchaus komplexer und vielschichtiger strukturiert als unsere deutschen Nachbarn. Höchstwahrscheinlich ein Relikt aus der glorreichen Monarchie und dem Vielvölkerstaat. Doch was hat das mit der starken Impfskepsis und Abwehr gegenüber - verzeihen Sie mir den stupiden Begriff - "der Wissenschaft" zu tun.
Spuren der Prägung aus der Vergangenheit
Der Österreicher musste in der Geschichte viel erleben. Angefangen bei der beschriebenen großen Kaiserzeit, die in den "Sissi"-Filmen verarbeitet wurde, bis hin zu den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und der Wiederaufbauzeit. Herr und Frau Österreicher haben ihre Form der Bewältigungsstrategie entwickelt und in gewisser Form an ihre Nachkommen bis zum heutigen Tag weitervererbt. Diese Genese spiegelt sich im Kulturgut des österreichischen Charmes wider, welcher sich so herrlich in dem bemüht höflichen Gebaren so mancher Oberkellner in bekannten Kaffeehäusern manifestiert.
Stets höflich und bemüht und was der Mensch dahinter denkt und fühlt kann durchaus etwas ganz anderes sein. So sind wir, neben manch asiatischen Kulturen, geschickt darin, eine Fassade aufzubauen, ohne den Einblick in unser Innerstes zuzulassen. Dies beginnt in der Schule, in der die richtige, für den Lehrkörper wissenschaftlich-evidenzbasierte Antwort im konditionierten Reflex abgerufen für das spätere Leben wichtiger ist, als ein mit Emotionen verbundener qualitativer, offenassoziativer Lernprozess. Nun wäre es böse und unfair einen Konnex zu bestehenden Wissenschaftserklärern und Experten zu ziehen. Daher lassen wir dies sein.
Irritationen und mentale Dissonanzen
Der brave Bürger wurde nun über einen langen Zeitraum mit dissonanten Informationen und einer Corona-Dauerberichterstattung bombardiert. Von hunderttausend Toten bis hin zur Impfung als dem Gamechanger wurde berichtet. Ersteres ist Gott sei Dank bis dato nicht eingetreten, aber auch die zugelassenen Vakzine haben in breiten Teilen der Bevölkerung ein Imageproblem. Impfdurchbrüche, die statistisch logisch erklärbar (siehe Prävalenzfehler), für den einfachen sowie für viele komplexer denkende Rezipienten nicht so leicht zu verstehen oder gar zu akzeptieren sind. Gäbe es nur eine Handvoll Impfdurchbrüche, wäre die Überzeugungsarbeit wesentlich leichter. Zoomt man jedoch mit dem Mikroskop alleine auf die Anteile Geimpfter auf Intensivstationen und im Krankenhaus insgesamt ist für einige die Argumentation für eine Impfung nicht unbedingt schlüssig. Dazu kommt noch eine für Impfgegner nicht vorhandene Transparenz in Bezug auf die Zahlen der Hospitalisierungen nach Alter und möglicher vorhandener Grunderkrankung. Es ist dann weniger verwunderlich, dass das Misstrauen in die Maßnahmen der Regierung steigt und mehr als 1,5 Millionen Menschen nicht unbedingt impfeuphorisch sind.
Medien in Wechselwirkung mit der österreichischen Seele
Der Overload an Corona-induzierter Berichterstattung ist den Menschen zu viel und zur Kalmierung der Lage kontraproduktiv. Die zwei Lager - jene der Geimpften und jene der Ungeimpften - werden durch das Dauerbombardement nicht mehr in ihrer Meinung irritiert. Dieser mentale Impfstoff ist wirkungslos in Bezug auf die Impfbereitschaft. Im Gegenteil, er löst noch stärkere Immunabwehrreaktionen des Geistes hervor. Dies ist ein wesentliches Element der Resistenz der österreichischen Seele, die ab einem Grad nur mehr mit Verdrängung und Abwehr reagiert, was sich nun auf den Straßen entlädt.
So gesehen handelt es sich bei der Impfbereitschaft mehr um eine psychologische als epidemiologische Problematik, bei der man gut beraten ist, Schlagwörter wie "die Wissenschaft" oder "evidenzbasiert" im therapeutischen Sinne außen vor zu lassen und ohne Druck und missionarischen Überzeugungseifer das vertrauensvolle Gespräch mit den Menschen zu suchen. Die Entscheidung ist, so wie die Intelligenz, frei und auf paradoxe Interventionen zu setzen ist die Regierung noch nicht gekommen. So spielen wir weiter fröhlich Abwehr, Verdrängung und Kompensation. (Daniel Witzeling, 6.12.2021)
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