Eine Taxifahrt, für die er zu wenig Bargeld dabeihatte, endete für einen mehrfach Vorbestraften vor der Strafrichterin.

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Wien – Genauso wie im Filmklassiker von Carol Reed soll der titelgebende unbekannte dritte Mann im Fall von Erdal Y. der Bösewicht sein. So erklärt es der 47-jährige Angeklagte zumindest Richterin Julia Matiasch, vor der er mit einer Anklage wegen Körperverletzung und Diebstahls sitzt. Er soll am 27. August einen Taxichauffeur im Zuge einer Meinungsverschiedenheit bezüglich der Zahlungsmodalitäten für den Fuhrlohn dreimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben und das Handy, das der Flüchtende verlor, eingesteckt haben.

Der achtfach Vorbestrafte bekennt sich daher nicht schuldig. "Ich bin im 12. Bezirk ins Taxi eingestiegen, um zu einem Freund in den 10. zu fahren. Ich dachte, ich habe 25 Euro eingesteckt, dann aber gemerkt, dass es nur fünf gewesen sind", beginnt er seine Erzählung. Seiner Darstellung nach zeigte der Taxameter am Zielort einen Betrag von 8,30 Euro an. Er wollte sich beim Freund das Geld ausborgen, der Taxifahrer ging mit zur Wohnung.

Handy vom Boden aufgehoben

"G. hatte aber nur zwei Euro in Münzen, dann wollte er mit Bankomat zahlen, das ging auch nicht, hat er mir später gesagt. Als Pfand habe ich G. mein Handy mitgegeben", sagt der in Wien geborene türkische Staatsbürger. Er habe in G.s Wohnung auf dessen Rückkehr gewartet, als er von draußen Schreie und "Polizei!" hörte. "Ich ging hinaus, da standen G., ein dritter Mann und der Taxifahrer. Der hat sich die Wange gehalten und erst mich angeschaut und dann den dritten Mann", erinnert der Angeklagte sich. "Ich wusste nicht, was los ist, G. hat gesagt, 'Der wollte mich betrügen!', ich habe dann nur nach meinem Handy gefragt und eines am Boden liegen gesehen, das habe ich eingesteckt und bin gegangen."

Nach 20 bis 30 Minuten habe er erkannt, dass er sich geirrt hatte: Das Mobiltelefon sei zwar vom selben Hersteller, aber nicht seines gewesen. "Ich wollte dann das Handy ins Fundamt bringen, aber dazwischen hat G. angerufen und gesagt, dass bei ihm viel Polizei ist. Da wusste ich nicht, was ich machen sollte. Ich bin in die Berggasse (Sitz des Landeskriminalamts Wien, Anm.) gefahren und habe einem Polizisten, dem ich vertraue, die Geschichte erzählt. Er hat dann gesagt, ich soll das Handy bei einer Polizeiinspektion abgeben."

Mobiltelefon und offenen Betrag bei Polizei hinterlegt

"Sie haben das Mobiltelefon und 4,30 Euro aber erst am 4. September, also über eine Woche später, hinterlegt", zeigt sich Staatsanwalt Filip Trebuch misstrauisch. "Ich habe Angst gekriegt, dass ich als Räuber dastehe", verteidigt sich der Angeklagte. "Ich wurde erst sechs Monate davor aus der Haft entlassen!"

"Haben Sie dem Taxifahrer ins Gesicht geschlagen?", wird Richterin Matiasch noch einmal deutlich. "Nein", beteuert der Arbeitslose. Als er dazukam, habe der Mann sich bereits die Wange gehalten. "Kennen Sie den dritten Mann?" – "Nein, aber vielleicht kennt er mich. Ich habe mein ganzes Leben im 10. Bezirk gewohnt", kann der Angeklagte nur mutmaßen.

Als erster Zeuge betritt der 39 Jahre alte Taxifahrer den Saal. Er schildert, der Preis habe 9,40 Euro betragen, der Angeklagte habe nur einen Fünf-Euro-Schein gehabt und versprochen, das restliche Geld zu holen. "Nach fünf bis sieben Minuten kam ein Freund von ihm, gab mir einen Euro und sagte: 'Morgen gibt es den Rest.'" Dieser Freund sei aber nicht G., sondern der dritte Mann gewesen. "Ich bin dann mit in die Wohnung gegangen, da ich den Ausweis des Fahrgastes fotografieren wollte, was er abgelehnt hat. Ich habe dann gesagt: 'Entweder das Geld, oder ich rufe die Polizei', dann gab mir der Herr ein kaputtes Handy als Sicherheit", deutet der syrische Zeuge auf den Angeklagten.

Fünf Euro extra für Stehzeit

Zurück auf der Straße sei G. erschienen und habe eine Bankomatzahlung angeboten. Mit zwei Karten habe das aber nicht funktioniert. "Welcher Betrag sollte abgebucht werden?", interessiert die Richterin. "Ich habe gesagt, ich möchte jetzt auch für die Wartezeit bezahlt werden und dafür fünf Euro bekommen." Nachdem G.s Zahlungsversuche gescheitert waren, habe er erneut mit der Polizei gedroht, als plötzlich der Angeklagte erschien und ihm drei wuchtige Faustschläge ins Gesicht verpasste.

"Ich bin zum Taxi gelaufen, dabei habe ich mein Handy verloren. Der Herr hat dann umgedreht, es eingesteckt und ist verschwunden", lässt der Zeuge seine Erinnerung übersetzen. Zwei Tage später fotografierte die Polizei eine Rötung und eine kleine Kratzwunde im Gesicht des Fahrers. "Ich bin wegen der Gewalt aus meiner Heimat geflüchtet und konnte wegen des Schocks danach drei Wochen nicht auf die Straße", begründet der Zeuge seinen Schadenersatzanspruch von 1.500 Euro wegen Verdienstentgangs und der Kosten für ein neues Mobiltelefon samt SIM-Karte.

Dritter Mann, dritte Version

Schließlich erscheint Zeuge G., 45 Jahre alt. Der erzählt eine dritte Version des Vorfalls. Y. sei gekommen und habe ihn um Kleingeld für die offene Rechnung gebeten. "Ich hatte nicht genug und wollte mit Bankomat zahlen", beschreibt der in der Türkei geborene Österreicher die Lage. "Der Fahrer hat gesagt, er will für die Stehzeit zehn Euro, obwohl nur noch ein Euro fehlte." Da die Kartenzahlung nicht funktioniert habe, sei er zurück zu Y. in die Wohnung gegangen – und habe dabei dessen "Pfandhandy" auch wieder mitgenommen, aber auf eine Kommode gelegt. Als sie von draußen die Schreie hörten, sei der Angeklagte – ohne sein Mobiltelefon – gegangen, er selbst habe nichts mehr mitbekommen.

"Später habe ich dann gehört, dass ein Nachbar von oben mit dem Taxifahrer gestritten hat", kann dieser Zeuge erstmals ein wenig den Schleier des Geheimnisses um die Identität des dritten Mannes lüften. "Wissen Sie, wer das ist?", hegt Richterin Matiasch Hoffnung. "Nein, bei uns wohnen viele Migranten", entschuldigt der Zeuge sich, er habe den Unbekannten nur kurz im Treppenhaus gesehen.

Opfer soll zweimal zurückgekommen sein

Dafür verrät er einen anderen interessanten Punkt: "Der Taxilenker war zwei Tage danach wieder bei mir und wollte mich mit seinem Handy filmen. Er hat gesagt, er zieht die Anzeige zurück, wenn er sein Handy wiederbekommt. Auf dem soll eine wertvolle App sein. Ein zweites Mal ist er auch noch gekommen, ich habe ihm gesagt, dass das Handy schon bei der Polizei ist."

Am Ende des Beweisverfahrens eröffnet die Richterin dem Angeklagten, dass sich wegen seiner zahlreichen Vorstrafen die bei einer Verurteilung mögliche Höchststrafe von einem auf eineinhalb Jahre steigere. Y. beginnt zu zittern und stammelt fassungslos "Nein!". In seinem Schlusswort bleibt Y. dabei: "Ich habe ihn nicht geschlagen, euer Ehren!" Der Taxifahrer "war aufgeregt, sehr aufgeregt. Er hat auch nicht mehr gewusst, wer der Fahrgast war, und mich und G. verwechselt", versucht er zu verdeutlichen, dass es sich um eine Fehlerinnerung handeln müsse. "Ich bin ja selbst in die Berggasse gefahren! Warum hätte ich das machen sollen? Der Taxifahrer wusste ja nicht, wer ich bin!"

"Eine sehr verwirrende Geschichte"

"Im Zweifel für den Angeklagten, heißt es. Es ist eine sehr verwirrende Geschichte gewesen", fasst Matiasch in ihrer Begründung für den Freispruch konzise zusammen. "Offenbar war ein dritter Mann im Spiel, und ich sehe keine Möglichkeit festzustellen, wer das gewesen ist. " Gleichzeitig ist die Richterin überzeugt, dass der Taxifahrer von jemandem attackiert worden ist. Jedoch: "Ich habe keine Ahnung, was da genau passiert ist. Aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass Sie ihn angegriffen haben", erklärt sie Y., der sich bedankt. Da der Staatsanwalt die Entscheidung nicht akzeptiert, ist der Freispruch nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 25.11.2021)