Impfgegnerinnen und Impfgegner versammelten sich am 21. November in Wien.

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Nicht jeder Freiheitliche dürfte zeitgeschichtlich so wohlgebildet sein, dass er den Nürnberger Kodex nicht mit den Nürnberger Gesetzen verwechselt. Schon gar nicht sollte man so viel historisches Wissen bei jenen Impfgegnern voraussetzen, denen es nichts ausmacht, von Freiheitlichen befeuert, parasitären Neonazis bei Demonstrationen gegen die Regierung einen willkommenen Wirtskörper abzugeben. Haben sie doch eines gemeinsam: wenn schon nicht immer die Ideologie, so doch das wärmende Gefühl, Opfer dunkler Mächte zu sein, mögen diese auch nur in der Gestalt von Wolfgang Mückstein ihr Unwesen treiben.

Als einer der besser gebildeten Freiheitlichen entlarvte sich am Dienstag im Bundesrat dessen Mitglied Andreas Arthur Spanring aus Niederösterreich, als er dem Gesundheitsminister im Schwung freiheitlicher Dialektik die Anwendung nationalsozialistischer Versuche an Menschen vorwarf: "Für Menschen wie Sie", schleuderte er ihm entgegen, "wurde der Nürnberger Kodex geschrieben."

Der Nürnberger Kodex entstand in der Folge der Prozesse gegen Naziärzte, die im August 1947 mit sieben Todesurteilen, fünfmal lebenslänglicher Haft, vier langjährigen Freiheitsstrafen und sieben Freisprüchen endeten. Er legt fest, dass es keine Versuche an Menschen geben darf, wenn von vornherein klar angenommen werden kann, dass diese zum Tod oder zu dauernden Schäden führen.

Wie alle Zahlen beweisen, wie jede Statistik zeigt, trifft das auf die Corona-Politik in keiner Weise zu, wie unzulänglich sie auch bisher gewesen sein mag. Viel eher trifft es auf die gewissenlose, von keinerlei wissenschaftlicher Erkenntnis getrübte Entwurmungstherapie von Spanrings Führer zu. So weit muss die Einsicht eines Justizwachebeamten aber nicht reichen. Hingegen reichte es zu einer Rede, in der er sich nach der von Neonazis immer gern bemühten Methode der Schuldumkehr als Opfer einer in Nazimanier agierenden Regierung darstellte. Seine Fantasien gipfelten in einem "Impf Heil" der Bundesregierung und der Frage, was denn nun aus dem Ruf "Wehret den Anfängen" geworden sei. Diese Frage war berechtigt, und sie ist in Österreich, wie das Beispiel Spanring zeigt, von schier unvergänglicher Aktualität. Auch wenn man längst nicht mehr von Anfängen, sondern besser von einem unterschwelligen Dauerzustand reden muss, dessen übelriechende Blasen nur zu oft an die Oberfläche eines offiziell gepredigten Antifaschismus dringen.

Nicht zum ersten Mal, aber in bisher kaum gekannter Aufdringlichkeit wurde unter der Führung von Herbert Kickl diese Blasenbildung zur Politik der Freiheitlichen Partei. Sie zeichnet sich aus durch völlige Verantwortungslosigkeit, wo es um die Gesundheit der Bevölkerung geht. Entgegen jeder wissenschaftlichen Erkenntnis wird die Hausapotheke "Zum kerngesunden Kickl" gepriesen, wobei es längst keine Rolle mehr spielt, dass ihm sein eigenes Rezept nicht geholfen hat – in der Wahnwelt des gläubigen Impfgegners haben Wissenschaft und Tatsachen nichts verloren. Davon frei zu sein ist die Freiheit, die er sucht und die ihm die Freiheitliche Partei auf Wählerfang gern vermittelt.

Diesen Anfängen einer unheilvollen Verbindung zu wehren, ist es zu spät. Aber den Nürnberger Kodex auf die FPÖ anzuwenden, wäre einen Versuch wert. (Günter Traxler, 26.11.2021)