Dank eines großzügiger ausgestatteten Pensionssystems haben Österreichs Arbeitnehmervertreter weniger Grund für solchen Protest wie die Kollegen in Deutschland. Doch ist das auf Dauer finanzierbar?

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Die ersten Zahlen waren kaum an die Öffentlichkeit gedrungen, da wallte auch schon Empörung auf. "Die Ignoranz der Politik erreicht neue Sphären", stellte Franz Schellhorn von der Agenda Austria fest. Dringend müsse "eine weitere Ausdehnung des Pensionslochs" verhindert werden.

Was den Leiter des wirtschaftsliberalen Thinktanks Alarm schlagen lässt, ist in vier Gutachten verpackt: Die offizielle Alterssicherungskommission hat neue Berechnungen vorgelegt, wie viel Geld die Pensionen die Allgemeinheit in Zukunft kosten dürften.

Demnach wird die jährliche Summe, die der Staat zusätzlich zu den Beiträgen der Versicherten aus Steuergeld ins System zuschießt, bis 2026 um 4,3 Milliarden Euro steigen, dazu kommen noch 1,6 Milliarden mehr für Beamte im Ruhestand. Bis 2070 sollen sich diese Aufwendungen von insgesamt 22,9 auf 47,8 Milliarden verdoppeln.

Zwei Lesearten

Haben die Kritiker also recht? Es gibt noch eine ganz andere Lesart. Weil absolute Zahlen auf lange Sicht schon allein wegen der Inflation begrenzte Aussagekraft haben, setzt die Kommission diese sogenannten Bundesmittel in Relation zur Wirtschaftsleistung. Aus dieser Perspektive wirkt die Prognose weit weniger bedrohlich. Die Kosten sämtlicher Pensionen – Arbeiter, Angestellte, Bauern, Gewerbetreibende, Beamte – sollen innerhalb von zehn Jahren von 6,1 auf 6,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen, um bis 2070 wieder auf 6,5 Prozent zu fallen.

Die relativ stabile Situation ergibt sich vor allem daraus, dass die wegen der Alterung der Gesellschaft stark steigenden Kosten für die allgemeine Pensionsversicherung zu einem Gutteil durch Einsparungen bei den Beamten kompensiert werden. Alte Sonderrechte laufen aus, neu eingestellte Staatsdiener haben ohnehin die gleichen Konditionen wie alle anderen Versicherten.

De facto sei der Anteil der Bundesmittel am BIP noch etwas niedriger, merkt Erik Türk an: Anders als meist dargestellt, müssten die Beiträge der Beamten gegengerechnet werden. So oder so aber zeigten die Zahlen, "dass die Nachhaltigkeit des Pensionssystems in keinster Weise gefährdet ist", urteilt der Pensionsexperte der Arbeiterkammer (AK). Man dürfe nicht vergessen, dass die Bevölkerung im Alter von über 65 Jahren in den nächsten 50 Jahren um 1,1 Millionen Menschen anwachsen wird: "Mir kann niemand einreden, dass wir uns für diese viel größer gewordene Gruppe kein halbes Prozent mehr des BIP leisten können."

Harte Tatsachen

Kontrahent Schellhorn sieht hinter dieser Rechnung hingegen "eine große Spekulation". Die Prognose gehe davon aus, "dass alles locker und smooth bis ans Ende unserer Tage läuft". Doch nicht nur die Pandemie samt ihren Lockdowns und Wirtschaftseinbrüchen zeige, wie gewagt solche Annahmen seien. Es sei nicht absehbar, welchen Platz das Land in der digitalisierten Welt einnehmen werde, sagt er: "Ich bin skeptisch, ob Österreich da wirtschaftlicher Vorreiter ist. Das wird aber geflissentlich ignoriert."

Harte Tatsache sei es hingegen, dass der Staat 2025 bereits jeden vierten Euro des Bundesbudgets für die Pensionen ausgeben wird. Es sei "verantwortungslos", eine solche "Hypothek" aufzubauen, sagt Schellhorn, das Geld lasse sich anderswo viel sinnvoller anlegen – etwa in der Bildung und Pflege: "In Spitälern sperren Abteilungen, weil Personal fehlt. Doch bei den Pensionen blasen wir die Milliarden raus."

Er wolle die Altersversorgung keineswegs demontieren, beteuert der Kritiker. Doch da die Menschen immer älter würden, sei es nicht einzusehen, dass das reale Pensionsantrittsalter – derzeit 60,5 Jahre – maximal "im Schneckentempo" steige. Hoch an der Zeit sei es, das gesetzlich vorgesehene Pensionsalter – 65 Jahre für Männer, 60 Jahre für Frauen – kontinuierlich mit der Lebenserwartung steigen zu lassen.

Fatale Folgen

Auch da kommt Einspruch von links. "Fatale Folgen" erwartet Türk von einer solchen Koppelung. Nicht jeder habe einen Bürojob, wo man länger durchhalten könne, sagt er: "Manche sind mit 60 schlicht und einfach am Ende." Ein höheres Pensionsalter würde die missliche Lage für arbeitslose und gesundheitlich angeschlagene Arbeitnehmer nur verlängern und sie mit höheren Abschlägen belasten, so der Einwand. Betroffen wären gerade schlechter situierte Menschen, deren Lebenserwartung weniger steige als bei wohlhabenden Mitbürgern: "Für manche wäre die Anhebung des Pensionsalters deutlich höher, als sie an Lebensjahren dazu bekommen."

Dass die Kostenvorschau zu hoffnungsfroh sei, kann Türk nicht nachvollziehen. Das Gegenteil sei der Fall: Zum Teil seien die Annahmen in den Kommissionsgutachten – etwa bei Arbeitslosigkeit oder Produktivität – sogar deutlich zu pessimistisch. "Von einer Schönwetterprognose kann keine Rede sein."

Zumindest sachten Widerspruch lässt Türk aber auch zu einer Forderung der mit der AK verbündeten SPÖ anklingen. Die Frage, ob eine Wiedereinführung der als Hacklerregelung bekannten teuren Frühpensionsvariante das System finanziell ins Wanken bringen würde, verneint er zwar – jedoch: "Ob es nicht bessere Vorschläge gibt, ist eine andere Frage." (Gerald John, 26.11.2021)