Die unheilvolle Zeit der Dreißigerjahre in Europa ist politisch-soziologisch-kulturell stark ausgeleuchtet in Literatur, Geschichtsanalyse und Dokumentationen. Dass die (berühmten) Menschen in den bösen Jahren zwischen 1929 und 1939 (Weltwirtschaftskrise und Beginn des Zweiten Weltkriegs) auch mit Liebe und Sex beschäftigt waren, war immer klar – aber detailreich herausgeholt hat es der Erfolgsautor Florian Illies.

Florian Illies, "Liebe in Zeiten des Hasses". 24,70 Euro / 432 Seiten. S. Fischer, 2021
Cover: S. Fischer Verlag

Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939 ist ähnlich wie sein Bestseller 1913. Der Sommer des Jahrhunderts als episodenhafte Abfolge scharf konturierter Miniaturen geschrieben. Die Schicksale sind nicht die der kleinen Leute, sondern der Prominenten, der Filmstars, der Großschriftsteller, der Eliten.

Wie düster treffend der Titel Liebe in Zeiten des Hasses ist, zeigt der Beginn einer großen Liebesgeschichte: Die junge deutsche Adelige Libertas Haas-Heye und der junge Adjutant im Reichsluftfahrtministerium, Harro Schultze-Boysen, begegnen einander bei einer Segelpartie auf dem Wannsee bei Berlin, und der Blitz schlägt ein.

Heirat und Spionage

Aber als er sich auszieht, sieht sie mit Entsetzen die Folternarben an seinem Körper. Die Gestapo hat sich ihn vorgenommen. Es folgt eine Liebesgeschichte, Heirat – und ein wichtiges Kapitel im deutschen Widerstand. Beide sind in die Spionagegruppe "Rote Kapelle" verwickelt, die Informationen an die Sowjets liefert.

Libertas geht im Laufe der Zeit eine andere Beziehung ein, aber als beide am 22. Dezember im Gefängnis Plötzensee hingerichtet werden, schreibt sie ihm vor dem Tod: "Wir brauchen uns nie mehr zu trennen, wie ist das groß und schön."

Promiskuität, hetero- und homosexuelle, ist ein fixer Bestandteil der Leben von Marlene Dietrich, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Kurt Weill, Lotte Lenya, Erika, Klaus, Katia, Thomas und Heinrich Mann, Tamara de Lempicka, Kurt Tucholsky, Alma Mahler-Werfel, Henry Miller und Anais Nïn ... Manchmal geht es über Grenzen, wie beim inzestuösen Verhältnis von Nïn zu ihrem Vater.

Illies schlägt einen manchmal passenden, manchmal unpassenden sarkastischen Ton an, etwa wenn er die Beziehung der 54-jährigen Alma Mahler-Werfel zu dem 38-jährigen Priester Johannes Hollnsteiner schildert, aber Hollnsteiner bringt es als Mitglied des Wiener Diözesangerichts zuwege, trotz vier Kindern die Ehe der neuen Braut des Ständestaat-Bundeskanzlers Kurt von Schuschnigg annullieren zu lassen. Vera Gräfin von Czernin-Chudenitz folgte Schuschnigg dann in die "Schutzhaft" im KZ. Hollnsteiner selbst kam auch ins KZ, er überlebte knapp. Das Buch endet 1939. Das Schlimmste sollte erst kommen. (Hans Rauscher, ALBUM, 1.12.2021)