Was hat sich die Autorin wohl dabei gedacht? "Pah, Psyche", lautet eine der rätselhaften, knappen Mitteilungen, die eine junge Frau einem Kellner zukommen lässt, der ihr gefällt. Er heißt Sigmund, fährt, plötzlich farbenblind, durch eine imaginäre Stadt und wird dabei von Ängsten und Erinnerungen an seine eigene Kindheit eingeholt.

Adelheid Duvanel, "Fern von hier". Sämtliche Erzählungen. 40,90 Euro / 792 Seiten. Limmat, Zürich 2021
Cover: Limmat

Die Anspielung auf die Deutungskunst des Vaters der Psychoanalyse kann kein Zufall sein. "Pah, Psyche" – so heißt auch diese gerade einmal zwei Seiten füllende Erzählung – enthält viele der verblüffenden Qualitäten von Adelheid Duvanel.

Psychologische Erklärungen gehören nicht dazu. Ohne Umschweife wird man in ihren Texten in Lebenssituationen von Außenseitern hineingezogen, die nach wenigen Sätzen schon ihre Balance verlieren können, kippen und taumeln, bis der Vorhang zu noch halsbrecherischeren Abgründen aufgerissen wird.

Schwindelerregende Miniaturen

Dem Limmat-Verlag ist es zu verdanken, dass die Schweizer Schriftstellerin, die zu Lebzeiten ein Geheimtipp blieb, nun von Leserinnen und Lesern endlich wiederentdeckt werden kann – in einer wunderschön edierten Ausgabe mit dem Titel Fern von hier. Duvanels 251 Erzählungen sind stilistisch schwindelerregende Miniaturen, in denen ein transzendentes Leid des Menschen, meist von Frauen, in oft stupende Sprachbilder gefasst wird.

Und damit hat man noch gar nichts über das surreale Vergnügen gesagt, das einem die Lektüre von Duvanel bereitet, die auch eine dunkle komische Seite hat. Denn man weiß in diesen Geschichten nie, wo man am Ende aufschlägt: Einmal bleibt man, wie in Katja bei der Sehnsucht einer jungen Frau, die bei der Melodie "damm dimm dumm" an Verdammnis denken muss – die antiklerikale Tendenz Duvanels ist nicht gerade gering; in Ohne x und u wird einer Frau ihr Mann von dessen Mutter so lange madig gemacht, bis sie ihn nicht mehr lieben kann.

Jede Figur mag, wie eine Erzählung dann explizit heißt, etwas von einem "armen Tropf" an sich haben. Kaum eine hört jedoch auf, sich zu verweigern und das Wünschen aufzugeben. Duvanel, die in Basel lebte und dort 1996 in einem Wald an Unterkühlung starb, hat im Leben wenig Trost gefunden, sich in ihren Texten dafür alle Freiheiten genommen. (Dominik Kamalzadeh, ALBUM, 17.12.2021)