Der Verlust von Arten schreitet voran – auch in Nationalparks wie hier am Neusiedler See, dem Trockenheit zusetzt.
Foto: Christian Fischer

Rot ist die vorherrschende Farbe, wenn es um die heimische Biodiversitätspolitik geht. Im "Barometer der Biodiversitätspolitik in Österreich", das der unabhängige österreichische Biodiversitätsrat nun zum zweiten Mal erstellt hat, ist nur ein einziger von 19 Punkten grün markiert, also "gut". Sechs Punkte sind gelb, was für "verbesserungswürdig" steht, zwölf sind rot, also "schlecht".

Grün wurde für die Forderung nach Schaffung eines starken eigenständigen Umweltministeriums vergeben. Zwei Wermutstropfen gibt es jedoch: Das Ministerium habe einen starken Fokus auf Klimaschutz und sollte sich besser mit anderen Bereichen abstimmen, vor allem mit dem Landwirtschaftsministerium, sagt die Politikwissenschafterin Alice Vadrot von der Universität Wien. Sie ist eines von 20 Mitgliedern des interdisziplinären Biodiversitätsrats, der sich im April 2019 konstituiert und fünf Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich gestellt hat. Das "Biodiversitätsbarometer" soll nun jedes Jahr anzeigen, ob sich die Politik in die geforderte Richtung bewegt hat oder nicht.

Bisher schaut es schlecht aus: Die biologische Vielfalt ist stark gefährdet – man kann ohne Übertreibung von einer Biodiversitätskrise sprechen – und die Politik in Österreich reagiert kaum darauf. Die politischen Unternehmungen seien viel zu mutlos, so Vadrot: "Eine ökosoziale Steuerreform, in der Biodiversität keinerlei Erwähnung findet, ist für uns unverständlich."

Zu wenig Geld und Planung

Die erste Kernforderung des Biodiversitätsrats ist, die Biodiversitätskrise zu stoppen und dies auch im Regierungsprogramm zu verankern. Es brauche einen nationalen Biodiversitätsfonds mit einem Volumen von einer Milliarde Euro. Die Verantwortung für den Erhalt der biologischen Vielfalt steht tatsächlich nun im aktuellen Regierungsprogramm, die Biodiversitätsstrategie Österreich 2030 ist in Arbeit. Zudem wurde ein Fonds für Biodiversitätsforschung und -schutz eingerichtet. Zuerst waren aber nur fünf Millionen Euro im Topf, im Frühjahr 2021 wurde er auf 50 Millionen aufgestockt. Das sei positiv, aber immer noch viel zu wenig, sagt der Biodiversitätsforscher Franz Essl. Es fehle außerdem eine transparente strategische Planung, welche Inhalte unter welchen Rahmenbedingungen gefördert werden sollen.

Positiv sei der Beitritt Österreichs zur High Ambition Coalition for Nature and People (HAC), einer zwischenstaatlichen Gruppe von 70 Ländern mit dem Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen zu schützen, aber: "Die Beitrittserklärung muss unterfüttert werden mit einer ambitionierten nationalen Umsetzung und einer internationalen Unterstützung dieser Ziele", sagt Essl.

Lehrangebot schwindet

Ein großes Problem für den Biodiversitätsschutz in Österreich sei, dass der Naturschutz in die Kompetenz der Bundesländer fällt. Die Biodiversität kenne aber keine Grenzen, sagt Andreas Tribsch vom Fachbereich Biowissenschaften der Universität Salzburg. Der Bio diversitätsrat und andere Gruppen aus Wissenschaft und Naturschutz fordern deshalb seit Jahren erfolglos die Schaffung eines Bundesrahmennaturschutzgesetzes. Weiterhin fehlt auch ein Transparenzgesetz zur Überprüfung der Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität.

"Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt", soll der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz gesagt haben. Angesichts des dramatischen Verlustes – so sind beispielsweise 20 Prozent der Brutvögel in Europa in den vergangenen 40 Jahren verlorengegangen – wäre es also wichtig, Forschung und Bildung zu Biodiversität zu stärken. Das Gegenteil sei jedoch der Fall, erklärt Irmgard Greilhuber, Botanikerin an der Universität Wien und Mitglied des Biodiversitätsrats: "Das relevante Lehrangebot an den Universitäten schwindet mit wenigen Ausnahmen, weil Stellen nicht nachbesetzt werden. Und es ist sehr schwierig, an Drittmittel für Biodiversitätsforschung zu gelangen."

An Fachhochschulen, Schulen und in der Erwachsenenbildung seien Klima und Biodiversität kaum ein Thema. Das zu ändern stehe zwar im Regierungsprogramm, tatsächlich würden relevante Fächer an den Schulen aber gestrichen. Aktivitäten kämen eher aus Citizen-Science-Projekten, Initiativen und Vereinen, die sich um bestimmte Arten oder Lebensräume bemühen. Der Biodiversitätsrat fordert die Errichtung eines nationalen Zentrums für Biodiversitätsdokumentation und eines Umweltrates für den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Politik.

Zu viel Flächenverbau

Eine wesentliche Ursache für den Biodiversitätsverlust in Österreich ist die Landnutzung. Die Ursachen dafür liegen in der Raumplanung und der Agrar- und Forstpolitik. Der Biodiversitätsrat fordert eine Reduktion des Flächenverbrauchs durch Verbauung auf maximal einen Hektar pro Tag bis 2030. Laut Umweltbundesamt werden derzeit pro Tag durchschnittlich 11,5 Hektar an Flächen neu in Anspruch genommen. Die Forderung, zehn Prozent der Flächen in Kulturland, Wald und Siedlungen für die Förderung der Biodiversität zu nutzen, wurde nicht erfüllt.

Der Artenschutz leide unter dem aktuellen Konflikt um den Wolf, und der Zustand der Schutzgebiete sei nicht ideal, bedauern die Experten. Außerdem fehle eine flächendeckende ökologische Infrastruktur, damit Arten wandern können und ihre genetische Vielfalt gesichert wird. Es gebe dafür Konzepte und Projekte, diese seien aber nicht aufgegriffen worden, merkt der Vegetationsökologe Thomas Wrbka an.

Es gibt viel zu tun – und das dringend, fasst Franz Essl zusammen. Vorbilder könnten Deutschland oder die Schweiz sein, wo es mehr Geld für die Forschung gebe und verbindliche Programme, etwa für den Schutz von Trockenrasen oder Auen.

Dringend sei das Thema auch deshalb, weil Maßnahmen für den Klimaschutz eine zusätzliche Gefahr für die Biodiversität bedeuten können, wie der Ausbau der Wasserkraft für die Flussökosysteme oder der Windkraft für die Vogelwelt. Dabei könnte es Synergien geben, wie Thomas Wrbka erklärt: "Moore oder naturnahe Wälder sind nicht nur wichtig für den Artenschutz, sondern auch für den Klimaschutz und den Hochwasserschutz, denn sie speichern Wasser und binden Kohlenstoff." (Sonja Bettel, 29.11.2021)