Auch vor dem Gleisdorfer Rathaus wurden letzte Woche Grabkerzen für die, wie es hieß, "zu Grabe getragenen Demokratie" aufgestellt.

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"Ich hatte es schon lustiger", sagt der Gleisdorfer Bürgermeister Christoph Stark. "Es ist eigentlich ein irrationales Gefühl, wenn ich weiß, ich sollte jetzt lieber nicht nach Hause gehen." Die Polizei hat mittlerweile die Observierung seines Wohnhauses übernommen. Der Bürgermeister der oststeirischen Kleinstadt braucht Schutz.

Seit einigen Wochen zeigt sein Heimatort ein anderes Gesicht. Speziell an Freitagen und Sonntagen. 1.500 bis 2.000 Corona-Demonstranten ziehen an diesen Tagen durch Gleisdorf, viele mit Fackeln in der Hand. Sie werden von Mal zu Mal mehr. "Da sind Mütter mit Kinderwägen dabei, Alte und Junge, und einige von den extremen Rechten, die brüllen. Die Einpeitscher kommen von auswärts, das sind keine Gleisdorfer", meint Stark. Das sei an den Autokennzeichen nachzuvollziehen. Ein Großteil der Demonstrierenden komme aus dem Bezirk, aus Graz und dem Südburgenland. Manche kämen aus Wien.

"Holts ihn raus"

Stark ist kein Ruhiger, er kann rhetorisch ordentlich aufdrehen, wenn er in seiner Funktion als ÖVP-Abgeordneter im Parlament hinter dem Rednerpult steht. Das, was jetzt in seiner Stadt abgeht, macht ihn aber sprachlos. Dass Demonstranten auf sein Grundstück, direkt bis zur Haustür vordrangen, dort Grabkerzen anzündeten und "Holts ihn raus" skandierten, habe ihn "schon sehr irritiert". Auch weil nun seine Frau, die ein Geschäft in der Stadt führt, Adressatin von Hassbotschaften geworden sei.

Warum er im Fokus der Demos steht, liegt für ihn auf der Hand. Er trage als ÖVP-Abgeordneter zum Nationalrat die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung mit, gegen die seit Wochen in der Bezirksstadt demonstriert werde.

Begonnen hat es mit "Spaziergängen", die sich zu "Fackelzügen" auswuchsen. Für Starks Kollegin in der Gleisdorfer Stadtregierung, die grüne Vizebürgermeisterin Katharina Schellnegger, sind diese wöchentlichen Fackeldemos jedenfalls "ziemlich spooky". "Viele wissen wahrscheinlich gar nicht, was solche Fackelzüge historisch bedeuten", glaubt sie.

Organisatoren bleiben im Dunkeln

Wer in der Stadt die Demos organisiert, wisse er nicht, auch nicht, wie das alles noch einzufangen sei, sagt Stark. Auch die Vizebürgermeisterin ist am Ende ihres Lateins. "Ich bin in der Kommunikationsbranche tätig und kann nur optimistisch bleiben, dass wir die Menschen noch überzeugen können, dass es in dieser Pandemie nur eine Lösung gibt, nämlich die der Impfung. Ich hoffe, wir können sie noch erreichen", sagt Schellnegger.

Was sie irritiere: "Es sind ganz normale Menschen, die da demonstrieren. Ein Querschnitt aus der Bevölkerung, Menschen, die mit der Pandemie nicht zurechtkommen, Angst haben und die Demos offenbar als Ventil begreifen." Sie sei verwundert, wer alles in diese Szene geraten sei. Auch in ihrem Bekanntenkreis lebe eine Person, "die eigentlich der Wissenschaft sehr zugetan ist und jetzt Pferdewurmmittel nimmt".

Warum Gleisdorf?

"Wir fragen uns natürlich, warum ausgerechnet in Gleisdorf demonstriert wird. Die Organisatoren treten ja nicht in Erscheinung", sagt Schellnegger.

"Keine Ahnung, wer das organisiert. Ich gehe nur mit meiner Laterne mit", sagt Gottfried Lagler. Dass jetzt gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung demonstriert werde, sei für ihn aber keine Überraschung. "Die Leute werden wach. Ich kenne Familien, Eltern, die weinen, weil sie nicht mehr wissen, sie wissen ja nicht mehr, was sie mit den Kindern tun sollen. Es ist ja nicht mehr nachvollziehbar, was die Regierung aufführt. Es kennt sich ja niemand mehr aus. Ich staune nur, wer da jetzt alles auf die Straße geht. Das hätte ich von vielen nie erwartet, dass die so was machen", sagt Lagler, der in Gleisdorf das Biolokal Solar-Café Pizzeria Figaro betreibt.

An diesem fraglichen Tag sei auch er dabei gewesen. "Es war für mich alles friedlich. Dass jemand 'Holts ihn raus!' geschrien haben soll, habe ich nicht gehört. Das war sicher nicht so. Das mit den Kerzen, das ja, aber das soll er nicht persönlich nehmen", sagt Lagler.

"Verdächtig, was da läuft"

Er verstehe, dass die Leute jetzt aufstehen und vieles hinterfragen. So wie er. Er habe seine Pizzeria, die mit der Grünen Haube ausgezeichnet wurde, vor einem Jahr geschlossen, mache nur noch Take-away. "Die Maßnahmen waren für mich nicht ertragbar, aus menschlicher Sicht. Wie komme ich dazu, jemanden zu kontrollieren? Was geht mich der Gesundheitszustand von anderen an?" Er habe ein Biorestaurant und kenne ohnehin alle Leute, das sei ja eine ganz spezielle Klientel. "Die sind sehr aufgeschlossen. Früher haben wir immer eine Gaude gehabt und eine Hetz, aber jetzt? Jetzt kann ich nicht einmal mehr ihr Gesicht sehen wegen der Maske. Ich weiß nicht, ob Masken wirklich so viel helfen. Da gibt es ja auch andere Untersuchungen ... Außerdem: Bitte, wenn ich jetzt nur noch mit einem grünen Pass irgendwo hineindarf, erinnert mich das schon an eine Zeit, in der man einen Arierpass gebraucht hat. Alles eine Zermürbungstaktik."

Und dann noch das mit der Impfpflicht. "Das Mittel hat meines Wissens nur eine Notfallzulassung. Das ist doch alles verdächtig", sagt Lagler. Irgendwas stecke dahinter, große Profitinteressen und so, wähnt Lagler dunkle Mächte im Hintergrund. Viel mehr wolle er sich darüber nicht auslassen. Ob er denn geimpft sei? "Das sind Dinge, die ich nicht beantworte, das geht niemanden etwas an."

Gleisdorf hat sich verändert

Ja, es habe sich einiges verändert in Gleisdorf, sagt Lagler. Es sei "schade, dass die Leute so auseinanderdividiert werden. Ich meine, wir werden ja, auch von den Politikern, vom Landeshauptmann, wie Tiere betitelt. Da spricht man von Herdenimmunität und dass die Zügel angezogen werden. Manche Leute sind jetzt schon sehr distanziert. Richtig respektlos, vor allem die, die geimpft sind. Wenn jemand seine Maske nicht trägt – da kenne ich einen, der wegen des Asthmas befreit ist –, dann wird er angeplärrt. Da schimpfen Leute, von denen ich mir das nie gedacht hätte und wo ich mir jetzt denke, was ist denn mit euch passiert?"

Angst um die Kinder

Das fragt sich auch die grüne Vizebürgermeisterin. Nur andersherum. Sie befürchtet, dass auch sie bald in den Fokus der Demonstrationen geraten könnte. "Ich habe meine Kinder, sie sind zwölf und 14, schon vorbereitet, dass es passieren kann, dass auch zu uns jemand kommen wird." Es sei wichtig, mit den Kindern offen darüber zu sprechen. "Aber es ist wirklich irritierend, das es so weit gekommen ist", sagt Schellnegger. (Walter Müller, 26.11.2021)