"Arcane" gilt für viele als beste Videospielverfilmung der letzten Jahre.

Foto: Riot Games

Ich habe in meinem Leben 3.455 Stunden League of Legends gespielt. Das sind kumuliert rund fünf Monate meines Lebens, die ich damit verbracht habe, die wohl toxischste Videospielgemeinde der Welt auszuhalten und mich regelmäßig zu fragen: "Wieso tue ich mir das an?"

Meine Psyche ist bis heute dankbar, dass ich mich dazu entschieden habe, meine MOBA-Karriere an den Nagel zu hängen. Töricht, wie ich war, dachte ich tatsächlich, ich hätte mit League of Legends abgeschlossen.

Und dann kam Arcane.

Storymode? Brauchen wir nicht!

League of Legends ist ein reines Multiplayerspiel und verzichtet somit komplett auf eine Einzelspielerkampagne, in der eine Story erzählt werden könnte. Trotzdem gibt es eine umfassende Geschichte. Diese wird jedoch lediglich in kurzen Sequenzen, Trailern und unzähligen Textboxen erklärt. Ich behaupte, dass sich 80 Prozent der Spielerinnen und Spieler nie tiefer mit dem Ursprung ihres Lieblingscharakters, der Welt von Runeterra oder der weitreichenden Hintergrundgeschichte dieses Universums befasst haben. Wieso sollten sie auch? League of Legends will als Videospiel keine Geschichte erzählen – leider existiert sie dennoch.

Die Geschichte der Protagonistin Vi ist im Videospiel lediglich durch Fließtext zu erfahren.
Foto: Riot Games

Hintergrundgeschichte ohne Geschichte

Ich bin ein Fan von fiktiven Universen. Es bereitet mir Freude, die Geschichte jedes einzelnen Charakters durchzulesen, ich stöbere gerne in Wikis, um das "Expanded Universe" eines Franchises zu erkunden.

Ein eigenartiges Hobby, ich weiß.

Aber dieses eigenartige Hobby hat mich Arcane ab Sekunde 1 lieben lassen. Ich wusste immer, wie reich an Geschichten die Welt von League of Legends ist. Wie gerne habe ich mir neue Trailer angesehen, um ein kleines Stück dieser Geschichten in animierter Form sehen zu können. Wie enttäuscht war ich jedes Mal, als ich auf den Boden der Tatsachen geholt wurde. Denn: Wieso sollte man die Geschichte eines MOBAs, das eines der erfolgreichsten Videospiele der Welt ist, erzählen? Selbst der Großteil der Spielergemeinde pfeift auf das Universum.

Videospielverfilmungen braucht kein Mensch

Fragt man mich nach gelungenen Videospielverfilmungen, fielen mir wahrscheinlich nur die Pokémon-Filme ein. Resident Evil, Hitman, Tomb Raider, Assassins Creed, Warcraft – viele Studios haben sich an Games samt ihrer Universen versucht – und scheiterten.

Als Arcane angekündigt wurde, war es mir also herzlich wurscht. Ich habe es als simple Promo-Aktion abgestempelt. "Vielleicht schaue ich an einem regnerischen Samstag mal rein, aber wie gut kann die schon sein?", dachte ich mir.

Tja, falsch gedacht. In den vergangenen Tagen erreichten mich Nachrichten von Personen (die nicht einmal wissen, was "Lol" eigentlich ist), die mir nahelegten, ich müsse diese Serie sehen. Nun gut.

"Arcane" setzt auf einen Mix aus 2D- und 3D-Animation und kreiert einen einzigartigen Comicstil.
Netflix

Ja, ja und nochmals JA!

Es dauerte um die zehn Minuten, bis mich Arcane fesselte. Endlich bekam ich als jahrelange "Textboxen-Leseratte" das, worauf ich eigentlich nicht mehr warten wollte. Eine gute Serie im reichen Universum des Spiels. Ich hätte mit meinen Vorurteilen nicht falscher liegen können. Der Artstyle allein wäre eine eigene Kolumne wert. Stoppt man Arcane an einer willkürlichen Stelle, blickt man jedes Mal auf ein hochqualitatives Artwork. Frei nach dem Motto: "Every frame a painting." So muss Comicstil!

Dann dreht sich die Geschichte auch noch um das ungleiche Schwesternpaar Jinx und Vi. Die eine war der Lieblingscharakter meines besten Freundes und die andere meine erste Wahl als Anfänger. Selten habe ich einen derart liebe- und respektvollen Umgang mit Videospielcharakteren erlebt wie in Arcane. Die Figuren, die man aus dem Spiel nur durch eine Handvoll wiederholende Oneliner kennt, erwachen hier zum Leben. Und zwar genauso, wie ich sie mir immer vorgestellt habe.

Jede Sekunde, in der Vi unendlich cool durch die Straßen der Unterstadt flaniert, ließ den Fanboy (und Jungler) in mir vor Freude zittern. Ohne es zu wissen, war diese Geschichte diejenige, die ich am liebsten erzählt bekommen hätte.

Fanservice at it's best

Das Schöne an Arcane ist aber, dass jeder mit dieser Serie Spaß haben kann. Die Games-Asketin genauso wie der eigenartige "Lore-Fetischist". Der einzige Vorteil, den ich als Freak habe, ist das Vorwissen darüber, was mit Powder eventuell geschieht, wie der eigenartige Wissenschafter heißen könnte und die Gänsehaut, wenn sich Viktor vorstellt.

Die Art und Weise, wie Arcane Fanservice betreibt, hat mir mehrmals ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Ohne große Worte schickt die Serie immer wieder kleine Liebesbriefe in meine Richtung. Nach all den Stunden unnötigen Hintergrundgeschichtsstudiums bedankt sich dieses Franchise bei mir. Ganz ohne toxische Community, die mir sagt, wie schlecht ich spiele.

Die zweite Staffel befindet sich bereits in Produktion.
League of Legends

Was kommt jetzt?

Lange hat mir keine Serie so viel Freude bereitet wie Arcane. Der Stil, die Geschichte, die Charaktere, die Musik und die Herangehensweise an diese grandiose Welt erfüllen mir alle Wünsche, die ich eigentlich nicht mehr hatte.

Nach neun grandiosen Episoden bin ich mir selbst gar nicht so sicher, was ich als Nächstes aus dieser Welt sehen möchte. Will ich die Story von Jinx und Vi weitererzählt bekommen oder können sich die da oben bitte noch anderen Charakteren widmen? Ich weiß nur, dass League of Legends genug Stoff für dutzende sensationelle Geschichten bereithält – und ich freue mich auf jede einzelne davon. (Maximilian Leschanz, 28.11.2021)