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Die 71-fache Nationalspielerin Manuela Zinsberger hat es vom USV Leitzersdorf zu Arsenal London geschafft. Zu Beginn ihrer Karriere musste sie im Tor einspringen.

Foto: Action Images via Reuters/COULDRIDGE

Ticker: WM-Qualifikation England vs. Österreich, Sa. 13.30 Uhr

Wenn man sich nur ein Video von Manuela Zinsberger ansehen dürfte, dann wäre es wohl dieses: "Manuela Zinsberger great saves against Tottenham". Es die 77. Minute am 27. März 2021 im Tottenham Hotspur Stadium. England bewegt sich langsam aus dem Lockdown, die Grundschulen sind seit Anfang des Monats wieder geöffnet, der Aufruf der Regierung lautet aber nach wie vor: "Stay at home." Beim North London Derby der Women’s Super League zwischen Tottenham und Arsenal sind keine Zuschauer zugelassen.

Um 17.07 Uhr führt Arsenal bereits komfortabel mit 3:0, Tottenham wirft sich noch einmal in die Offensive, Arsenals Verteidigerinnen sind zu weit weg von den Gegenspielerinnen. Kit Graham probiert es als Erste: Ein schneller Haken, Abschluss, aber die niederösterreichische Arsenal-Torfrau Zinsberger wirft sich in den Schuss. Der Ball bleibt bei Tottenham, wird zurückgelegt auf Williams, Schuss, aber Zinsberger taucht ab, pariert mit der linken Hand. "Jetzt aber", dürfte sich Angela Addison gedacht haben, die als Nächste an der Reihe war. Abschluss, es muss ein Tor sein. Zinsberger taucht noch einmal ab, pariert, hält den Ball nun fest. "Wow, magnificent goalkeeping", sagt der Kommentator. Die Aktion sollte später als "Save of the season" – "die Parade der Saison" – gekürt werden.

Die 26-jährige Niederösterreicherin hütet seit 2019 das Tor des Londoner Großklubs Arsenal, davor war sie bei Bayern München. Das sind klingende Namen im Geschäft, gerade in England hat der Frauenfußball einen hohen Stellenwert. Zugpferd ist das Nationalteam – am Samstag gastiert Zinsberger mit Österreich zum WM-Qualifikationsspiel in Sunderland (13.30 Uhr, ORF 1). Es werden 18.000 Zuschauer erwartet. Dem nicht genug, wird Österreich die Euro 2022 im Juli gegen England eröffnen. Gespielt wird in Old Trafford, erwartet werden 75.000 Zuschauer. Das ist Karrieren-Highlight-Material. Mit Österreichs Erfolg bei der Euro 2017 – man belegte in den Niederlanden den überraschenden dritten Rang – erfuhr der Frauenfußball einen Hype. Das Gesicht des Hypes war vor allem Zinsberger. Die 177 Zentimeter große Torfrau war gefragte Interviewpartnerin, es gab TV-Auftritte, sie wurde zum Werbetestimonial.

Weniger laufen

Wie gar nicht so viele Geschichten begann diese in der niederösterreichischen Pampa. Genauer genommen am Kickplatz des USV Leitzersdorf. Dort hatte ein kleines Mädchen Spaß am Fußball. In einem Interview erinnert Zinsberger sich: "Ich wollte einfach mit meinen Freunden Fußball spielen, war nur mit Burschen unterwegs. Die haben mich von Anfang an unterstützt." Sie begann nicht im Tor. Als aber beim Leitzersdorfer Nachwuchsteam der Goalie ausfiel, also Not am Bub war, sprang das Mädchen ein: "Ich habe mir gedacht: ‚Passt, ich bleib drin, jetzt lauf ich weniger.‘" War der Weg schon vorgezeichnet? Nein: "Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal Profi zu werden. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich es geschafft habe."

Wenn man nur ein Video über Zinsberger drehen müsste, um ihre Außendarstellung und Rolle im Nationalteam darzustellen, hätte man am 27. 10. 2020 nach Wiener Neustadt kommen müssen. Österreich hatte gerade in der Qualifikation zur Euro den Favoriten aus Frankreich ein 0:0 abgerungen, die Französinnen waren drückend überlegen, sind eine Weltmacht im Frauenfußball. Und trotzdem: Zinsberger kam ohne Gegentor über die Runden, das Remis wurde gefeiert. Beim anschließenden Interview war sie "extrem stolz auf das Team". So stolz, dass sie eine Boombox aus der Kabine auf den Platz trug. Don’t Stop Me von Queen dröhnte durch den bitterkalten Abend in Niederösterreich. Hinter Zinsberger bildete sich eine Polonaise. Die Spielerinnen zogen neben dem Platz auf und ab. Über die Jahre hat sich bei Zinsberger eine Schlagfertigkeit, ja eine Leichtigkeit im Umgang mit der Öffentlichkeit manifestiert. Sie wirkt offen und ehrlich, ohne sich in Plattitüden zu verlieren, locker und lustig, ohne dabei zum Clown zu werden.

Wenn Zinsberger über Fußball spricht – und das tut sie oft, sie ist schließlich Fußballerin –, bekommen ihre Worte dann doch eine Ernsthaftigkeit, ja eine Schwere. Der geübte Zuhörer ist geneigt, eine medientrainierte Glattheit zu vermuten: "Das nächste Spiel ist das schwerste." Oder: "Wir wollen auf dem Platz alles geben." Oder: "Das Team ist der Star, wir müssen alle zusammenhalten." Und dennoch wird schnell klar: keine Phrasen, sie meint das genau so. Zwischendurch bleibt immer noch Zeit und Luft für einen Witz und eine Pointe. Der Ehrgeiz, der Wille zur Verbesserung sind nicht gespielt, wenn gekickt wird, dann immer mit 100 Prozent.

Mehr reden

Auf dem Platz ist die Torfrau eine Leaderin, sieht sich selbst als "wichtige Dirigentin" neben "anderen wichtigen Dirigentinnen". Das Team ist der Star. Man hat das schon einmal gehört, Österreichs Fußballerin des Jahres 2020 glaubt man das aber auch. Besonders auf der Linie beweist Zinsberger ihr Können, sie ist reaktionsschnell, bewegt sich flott zwischen den Stangen und den Spielsituationen. Sie weiß: "Das Torwartspiel hat sich in den letzten Jahren extrem weiterentwickelt. Ich bin Ausgangspunkt des Spielaufbaus, habe von hinten alles im Blick." Zinsberger ist eine laute Keeperin, nimmt die Kommunikation an und zeigt Präsenz auf dem Platz.

November 2021: Das Team von Nationaltrainerin Irene Fuhrmann trainiert noch einmal im Trainingslager in Bad Tatzmannsdorf, bevor es nach England geht. Auf der einen Seite des Platzes werden Spielsituationen eingeübt, Standardsituationen verfeinert, der letzte Feinschliff. Auf der anderen Seite sind Zinsberger, Torfrautrainer Martin Klug und zwei Bälle. Die Übung: diagonale, weite Pässe über die erste Pressingreihe. Zinsberger bringt sie an den Coach, beherrscht auch die Annahme, hat sogar Zeit und Können für den einen oder anderen Fersler. "Man muss immer an sich glauben und sich verbessern", würde sie sagen. Und man würde es ihr glauben. (Andreas Hagenauer, 27.11.2021)