Die Berichte sind entmutigend: Die Rollbalken waren kaum gefallen, da schien bereits die Zwecklosigkeit der Übung belegt. Von allen Seiten ertönten Anekdoten über volle U-Bahnen, verstopfte Straßen und bevölkerte Innenstädte, wo Take-away-Punsch rudelweise hinuntergekippt werde. "Stell dir vor, es ist Lockdown, und keiner geht hin", fasste das Ö1-Morgenjournal zusammen.

Ist das kollektive Zusperren, um die vierte Corona-Welle zu brechen, also vergebliche Liebesmüh? Ganz so schlimm ist es nicht. Daten des Complexity Science Hub (CSH) zeigen: Schon der Lockdown für Ungeimpfte ab 15. November hatte den Trubel ein Stück weit eingebremst. Am stärksten nahm die Mobilität in den Problemländern Salzburg (17 Prozent) und Oberösterreich (15) ab, am geringsten war der Effekt in Kärnten und Vorarlberg (acht Prozent).

Was Spaß macht, ist verboten, die Menschen folgten dem Lockdown nur zögerlich.
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Zur Auswirkung des nun gültigen Lockdowns für alle sind Erkenntnisse noch rar. Die ÖBB sprechen von einem Drittel weniger Fahrgäste. Doch weder der Mobilfunkanbieter A1 noch der Straßenbetreiber Asfinag veröffentlichten bislang Daten dazu.

Dem Vernehmen nach soll die generelle Mobilität aber um etwa 18 bis 20 Prozent abgenommen haben. Übermäßig viel ist das nicht. In den beiden vorangegangenen Lockdowns betrug das Minus etwa 25 Prozent, bei der Premiere im März 2020 sogar 40 Prozent.

Peter Klimek vom Covid-Prognose-Konsortium wundert das nicht. Lockdowns funktionierten dann gut, wenn die Bürger diese als sinnvoll erachteten und dem Verhalten der Mitmenschen vertrauten. Bei den Debatten über Regierungsfehler und der Polarisierung zwischen Geimpften und Ungeimpften sei "viel Prozellan zerschlagen worden".

Ein sanfter Knick

Ein sanfter Knick zeigt sich nach Wochen des steilen Anstiegs bei den Neuinfektionen – allerdings auf einem sehr hohen Niveau. Am Montag, dem Beginn des generellen Lockdowns, wurde mit 1112 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner der bisherige Höchstwert der Sieben-Tage-Inzidenz verzeichnet, am Donnerstag waren es 1050 Fälle.

Mit dem Lockdown sei dies aber nicht zu erklären, sagt Klimek. Wegen der Inkubationszeit werde sich dieser erst kommende Woche in der Infektionsrate abbilden. Also nur ein statistischer Effekt, weil es nun weniger Gründe zum Testen gibt?

Klimek hält nicht nur die nach wie vor hohen Testzahlen entgegen. Auch die Abwasseranalyse zeigt, dass die Virenkonzentration zwar nicht in den Hochinzidenzländern, jedoch im Österreich-Schnitt abgenommen hat. Neben den vor dem Lockdown verhängten Restriktionen habe wohl vorauseilende Vorsicht mancher Bürger Wirkung gezeigt, so der Experte vom CSH: "Der Höhepunkt dieser Welle sollte erreicht sein."

Heikle Lage

Eine aufgelegte Nachfrage nimmt Klimek vorweg. Die sich schüchtern abzeichnende Trendwende sei kein Beleg dafür, dass der Lockdown eigentlich überflüssig sei. Komme Österreich von dem hohen Infektionsniveau nicht weit herunter, sei das schlimm genug, sagt er: "Auch das würde unser Gesundheitssystem nicht aushalten."

Denn in den Spitälern – jenem Bereich, den es laut Bundesregierung besonders zu schützen gilt – bleibt die Lage äußerst heikel. Expertinnen und Experten gehen einhellig davon aus, dass diese in den nächsten Tagen in einzelnen Bundesländern noch prekärer wird, ehe dann der Lockdown erste Effekte zeigen könnte. Das ist darauf zurückzuführen, dass eine notwendige Spitalsbehandlung nach einer Infektion erst zeitverzögert auftritt.

Auf den Covid-Intensivstationen mussten am Freitag 608 Patientinnen und Patienten behandelt werden. Das waren zwar elf belegte Intensivbetten weniger als am Donnerstag, im Wochenvergleich betrug der Anstieg aber gleich 88 Intensivbetten. Vor einem Jahr wurde mit 709 Covid-Patientinnen und -Patienten die bisherige Rekordbelegung verzeichnet.

Bestätigte Triagierung

Um die Versorgung der Covid-Kranken sowie die nötigen Intensivbetten sicherzustellen, mussten und müssen Krankenhäuser zahlreiche Operationen von Nicht-Covid-Fällen drastisch reduzieren. Mit Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg, Niederösterreich und Kärnten haben fünf Bundesländer die systemkritische Auslastungsgrenze der Gesamtkapazitäten übersprungen. Hier ist mehr als jedes dritte Intensivbett von einem Covid-Schwererkrankten belegt. Der Großteil davon, aktuell 73 Prozent österreichweit, ist ungeimpft oder nur teilgeimpft.

Die Rollbalken rasselten herunter, die Aktivitäten der Bürger nur begrenzt: Dieser Lockdown dürfte der schwächste werden.
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Die Lage sei "überall angespannt", sagte Intensivmediziner-Präsident Walter Hasibeder laut einem dem STANDARD vorliegenden Ergebnisprotokoll der nicht öffentlichen Sitzung der Corona-Kommission am Donnerstag. Es folgte ein bemerkenswerter Satz: "Es finden Triagierungen statt." Demnach finden offenbar nicht mehr alle Patienten Platz auf einer Intensivstation, die diese Behandlung brauchen.

Dabei könnte die Situation noch schlimmer sein: Der Stufenplan der türkis-grünen Bundesregierung sah ursprünglich erst ab einer Belegung von 600 Intensivbetten einen Lockdown für Ungeimpfte vor – und nichts von einem generellen Lockdown. Nach massiven Expertenwarnungen wurde der Lockdown für Ungeimpfte aber von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) vorgezogen und am 15. November aktiviert. Seit damals hat sich die Covid-Intensivbettenbelegung trotz der Maßnahmen um mehr als 150 erhöht.

Strengere Regeln in Schulen

Schwach spürbar ist der Lockdown an den Schulen. Das Delegieren der Homeschooling-Entscheidung an die Eltern führte dazu, dass im Schnitt rund 70 Prozent der Kinder weiter in den Klassen sitzen. Erste positive Zeichen gibt es aber auch hier: In dieser Woche wurden bundesweit 4022 positive Tests abgegeben. In der Vorwoche waren es noch 5437.

An weniger Tests allein kann das nicht liegen, denn die Rate der positiven Tests sank seit der Vorwoche von 0,53 auf 0,39 Prozent. In acht von neun Bundesländern sind die Zahlen laut Bildungsministerium sinkend oder stabil – nur in Tirol weist der Trend nach oben.

Österreichweit steigt aber die Zahl der wegen positiver Fälle gesperrten Klassen: 751 sind es aktuell, 492 waren es vor einer Woche. 22 Schulen mussten gänzlich schließen – sechs mehr als vor sieben Tagen. Laut Ministerium haben viele Schulen die strengeren Regeln, die ab Montag gelten, umgesetzt: Ab zwei Fällen muss die ganze Klasse ins Distance-Learning wechseln.

Wunsch ans Christkind

So manche Stimme ruft nach geschlossenen Schulen, doch Experte Klimek rückt die Bedeutung ein wenig zurecht. Ob Covid-Erkrankung oder Kollateralschäden der Schließungen für Kinder gefährlicher seien, müssten Ärzte beurteilen, schickt er voraus. Aus Sicht der Pandemiebekämpfung lasse sich aber folgende Rechnung aufstellen: Grob überschlagen entfalle ein Drittel der Kontakte auf Schulen und Erwerbsleben, ein Achtel der Bevölkerung gehe in die Schule. Unterm Strich seien auf diesen Bereich folglich vier Prozent der Kontakte zurückzuführen. Da die Schulen insgesamt ein riskanteres Setting für Infektionsübertragung seien, hätten Schulschließungen in der zweiten Welle die Dynamik um etwa sieben Prozent gesenkt.

Auch beim Blick aufs ganze Land driften die Meinungen auseinander. Daran, dass der Lockdown für Ungeimpfte mit 12. Dezember endet, glaube er "ebenso wenig wie an das Christkind", urteilte der Wiener Virologe Christoph Steininger. Seine Innsbrucker Kollegin Dorothee von Laer macht zumindest dem Osten Hoffnung.

Am meisten Optimismus versprüht Klimek: "Ich möchte nicht ausschließen, dass der Handel in ganz Österreich vor Weihnachten noch eine Chance bekommt." (Gerald John, David Krutzler, 27.11.2021)