Mückstein, Allgemeinmediziner aus gutem Hause und früherer grüner Ärztekammerfunktionär, sollte nach dem schnellen Abgang von Rudolf Anschober im Frühjahr dem Amt des Gesundheitsministers ein neues Gesicht geben.

Foto: Regine Hendrich

Wolfgang Mückstein, 47, die zwei obersten Hemdknöpfe offen, Scheitel rechts, steht unter Strom. Gleich beginnt eine Konferenz mit den anderen deutschsprachigen Gesundheitsministern. Mückstein ist spät dran, wie so oft. Dabei wäre er gern immer gut vorbereitet.

"Was soll ‚primordial‘ heißen?", fragt er Mitarbeiterinnen. Er liest gerade, was er bei dem hochkarätig besetzten Treffen eigentlich von sich geben soll. In dem Briefing steht dieses Wort. Primordial, das könne er doch nicht sagen. Seine Sprecherin googelt: "Ursprünglich" bedeute das. "Jetzt macht auch der Satz mehr Sinn", nickt Mückstein und schiebt die Kappe von einem seiner geliebten Textmarker.

Die Leuchtstiftsystematik

Der Gesundheitsminister hat ein System entwickelt, mit verschiedenen Neon-Leuchtstiften Texten eine für ihn verständlichere Struktur zu geben. Zusätzlich arbeitet er mit einem Kugelschreiber, aus dem man abwechselnd eine rote, grüne, blaue oder schwarze Mine herausdrücken kann. Er macht sich ständig Notizen, selbst während Presseterminen, wenn die anderen sprechen. So ordnet er sein Berufsleben. Das Chaos ist ihm ohnehin ständig auf den Fersen.

Mückstein, Allgemeinmediziner aus gutem Hause und früherer grüner Ärztekammerfunktionär, sollte nach dem schnellen Abgang von Rudolf Anschober im Frühjahr dem Amt des Gesundheitsministers ein neues Gesicht geben: ein Mann aus der Praxis, ein Arzt, alles anders, alles besser, war die Idee der Grünen. Selbst viele aus dem direkten Umfeld Mücksteins sagen heute: So richtig aufgegangen ist das nicht.

Zuerst kam der Sommer wie damals, in dem Mückstein nicht so präsent war. Es folgte ein Herbst wie im Vorjahr – rasant steigende Inzidenzen, überlastete Spitäler, viele Tote, Lockdown und entgegen allen Beteuerungen dann doch die Ankündigung einer Impfpflicht.

Nach sieben Monaten mit dem neuen Krisenminister und inmitten der vierten Welle fragt man sich: Wer ist der Mann eigentlich? Und reicht das, was er mitbringt, für den vielleicht heikelsten Job des Landes?

"Jeder Chef hat seinen Stil"

Selbst sagt er über sich, er sei ein Teamplayer; ein direkter Mensch, nicht hinterrücks. "In der Ordination hatten wir eine sehr geringe Fluktuation an Personal", erzählt Mückstein. Als Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler ihn anrief, um zu fragen, ob er Minister werden möchte, stand Mückstein gerade in seiner Gruppenpraxis in der Wiener Mariahilfer Straße neben einem Patienten.

Nach sieben Monaten mit dem neuen Krisenminister und inmitten der vierten Welle fragt man sich: Wer ist der Mann eigentlich?
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Zwei Wochen später bezog er sein neues Büro im ersten Stock am Stubenring und baute das Team Anschobers radikal um. "Jeder Chef hat seinen eigenen Stil", sagt Mückstein. Zu den Personalentscheidungen steht er. Sein Arbeitszimmer sieht hingegen noch immer so aus wie direkt nach seinem Einzug. Er hat kein einziges Bild aufgehängt.

Strenger Lockdown

Mückstein ist etwas hölzern – in seinem Auftreten, auch sprachlich. Aufsehen erregte er kürzlich mit seiner öffentlichen Entschuldigung: "Leider sind auch wir als Bundesregierung hinter unseren Ansprüchen zurückgeblieben", erklärte er bei der Pressekonferenz zur Verkündung des Lockdowns. Wenn man heute nachfragt, fällt auf: Ganz so einsichtig ist der Gesundheitsminister aber gar nicht. Insbesondere jetzt, seit die vierte Welle ganz Europa überschwemmt.

Ja, die Durchimpfungsrate sei hierzulande zu niedrig. Ja, auch die Kommunikation von Regierung und Landeshauptleuten sei nicht gut gelaufen, gesteht Mückstein. Doch fragt man ihn, ob nicht einfach viel zu spät Maßnahmen ergriffen wurden, klingt das schon anders: "Ich habe einen konkreten Stufenplan Anfang September vorgelegt", behauptet er fast trotzig.

Mit 3G am Arbeitsplatz sei Österreich als eines der ersten Länder "früh dran gewesen", mit dem Lockdown nun so streng wie niemand sonst. Andere Länder würden derzeit auf Österreich schauen und könnten bald mit ähnlichen Maßnahmen nachziehen. Reumütig wirkt das nicht.

Meinung geändert

Eine Impfpflicht hatte Mückstein lange Zeit ausgeschlossen. Jetzt verteidigt er sie als quasi alternativlos. Nur mit einer hohen Impfquote könne eine fünfte und sechste Welle verhindert werden. Ob mit der Impfpflicht nun die Krise bald vorbei ist? Auf solche Fragen lasse er sich nicht ein. Versprechungen wolle er keine machen. Das haben ihn wohl die vergangenen Wochen gelehrt.

Mückstein gilt als direkt und bodenständig. Seine Presseleute wollten das über seine Liebe für Turnschuhe vermitteln. Inzwischen macht sein Ressort nur noch Krisenkommunikation.
Foto: Regine Hendrich

Mückstein sei selbstbewusst, sagen jene über ihn, die ihn schätzen. Er sei ein klassischer Arzt; glaube, er wisse alles besser, behaupten andere, die es nicht so gut mit ihm meinen. Aus dem Regierungsumfeld hört man auch diese Erzählung: Der politisch unbedarfte Quereinsteiger Mückstein sei von den Grünen geholt worden, damit nach dem eigensinnigen Anschober jemand kommt, der Kogler und dessen Umfeld hörig ist.

Entscheidungsstark

Mückstein selbst bezeichnet sich als entscheidungsstark. Auch wenn er zögerlich wirkt, als er das sagt. Beim Koalitionspartner kam er mit seinen Ideen in den vergangenen Wochen oft nicht sehr weit. Aber Mückstein ist keiner, der nachtritt.

Der Minister sei ein netter Kerl und durchaus resolut, hört man aus seinem beruflichen Umfeld. Doch er und sein Kabinett hätten wenig Erfahrung, das merke man. In den Sozialversicherungen wird etwa gemurrt, dass die Briefe mit Impfterminvorschlägen für Ungeimpfte viel früher hätten verschickt werden können – doch im Ministerium bleibe alles viel zu lange liegen. Auch manche Beamte aus seinem Haus klagen, dass im Kabinett Rückmeldungen oft auf sich warten ließen.

Keine Gedanken an ein Aus

Mückstein sagt, dass er nach sieben Monaten im Amt nun angekommen und sein Team zusammengewachsen sei. Er könne sich inzwischen auf seine Kernaufgaben konzentrieren: Stakeholdermanagement, öffentliche Auftritte, Letztentscheidungen. Ans Aufhören denke er nie: "Ich habe sehr viel Durchhaltevermögen", beteuert er. Natürlich sei das Ministerdasein anstrengend, aber er mache Sport, achte auf ausreichend Schlaf.

Auch wenn es in der Pandemie oft genug nicht gelinge: "Nach 23 Uhr macht Arbeiten dann auch irgendwann keinen Sinn mehr." Derzeit steht er aufgrund von Morddrohungen unter Personenschutz. "So ist das halt", sagt er lapidar. Mückstein habe sich in seinen Monaten in der Spitzenpolitik auch eine dickere Haut zugelegt, erzählt jemand, der ihn gut kennt.

Jedes Wort zählt

Aber ist er nun der Richtige für den Job? Eine Kennerin des Gesundheitsministeriums formuliert es so: "Dieser Krise ist vermutlich niemand richtig gewachsen, aber dass dann auf einen politischen Neuling gesetzt wurde, war schon etwas übermütig."

Einig sind sich die meisten, dass er an seiner Rhetorik feilen müsse. In der Krisenkommunikation zähle schließlich jedes Wort. Inhaltliche Expertise spricht Mückstein niemand ab, wobei Kritiker dazusagen: Politik sei mehr als bloß Fachkenntnis.

Turnschuhe trägt der Gesundheitsminister übrigens immer noch. Auch wenn die Vermarktung dieser Leidenschaft natürlich ein PR-Gag war. Die Sneaker, die Mückstein zu seiner Angelobung anhatte, stehen heute als Devotionalien im Büro eines Mitarbeiters. Vielleicht könne man sie ja irgendwann für einen guten Zweck versteigern. (Katharina Mittelstaedt, 28.11.2021)