Wien – Stephan Klein hat für Einkaufen an sieben Tagen in der Woche nichts übrig. "Ich bin nicht nur Einzelhändler, ich bin auch Familienvater und daher militanter Gegner einer Sonntagsöffnung." Er sei nicht religiös, sagt er. Aber jede Ausnahme, und sei sie noch so winzig, sei wie ein Loch in einer Staumauer. Früher oder später führe sie dazu, dass der Damm breche und mit ihm der freie Sonntag.

Die Liberalisierung der Ladenöffnung bleibt ein Reizthema, auch wenn sie auf die Corona-Krise begrenzt sein soll.
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Klein führt in Wien-Neubau gemeinsam mit seiner Frau ein Geschäft rund um Kindermode und Babyartikel. Der Unternehmer hält einen einheitlichen Tag in der Woche ohne Konsum für unverzichtbar. Dennoch will er heuer erstmals von seiner Überzeugung abrücken und am 19. Dezember, dem letzten Sonntag vor Weihnachten, aufsperren. Sofern es die Regierung und seine finanziellen Mittel zulassen.

Der Handel erlebe aufgrund des Lockdowns gerade die kürzeste Vorweihnachtszeit seiner Geschichte, sagt Klein. Er würde sich selbst ins Geschäft stellen. Ob es etwas bringe, wisse keiner. "Aber es birgt zumindest die Chance, Teile des verlorenen Umsatzes aufzuholen."

Sorge, dass die Freigabe des Sonntags heuer Türöffner für die generelle Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten wird, hat er nicht. Noch nie habe sich die Situation in Österreich so klar abgrenzen lassen. Nach Corona sei einzig die Pest ein möglicher Anlass, um offene Sonntage aufleben zu lassen, meint er trocken. "Eine Fußball-WM ist es sicher nicht."

Ausnahmezeiten

Mario Sieber, Spielwarenspezialist in Feldkirch und Werbeobmann seiner Stadt, sieht es ähnlich. Der Sonntag als Ruhetag sei heilig – noch mehr in Monaten, in denen seine Mitarbeiter Stress genug hätten. "Doch Ausnahmezeiten erfordern Ausnahmeregelungen."

Der Vorarlberger lässt im Ländle gerade abfragen, wie viele Händler an einem Strang ziehen und am 19. Dezember aufsperren würden. "Es sieht gut aus." Den jüngsten Lockdown des stationären Handels erlebt er härter als vorangegangene. Die Angst vor Lieferengpässen habe Betriebe Lager randvoll füllen lassen. Nun säßen sie auf Ware fest und dürften dabei zusehen, wie Supermärkte und Drogerieketten Spielzeug zu Rabattpreisen verschleuderten.

"Erstmalig, einmalig, letztmalig"

"Erstmalig, einmalig, letztmalig." Das ist die rote Linie, die auch Ernst Mayer, Chef und Eigentümer des Modehändlers Fussl, beim Thema Sonntagseinkauf zieht. Keiner ersetze ihm seine Riesenverluste, sagt er; wer von Überförderung rede, solle gefälligst nachrechnen. Die Textilbranche stehe vor einer mittleren Katastrophe. Sich zumindest einen Verkaufstag zurückzuholen sei absolute Notwendigkeit.

Mayr hält seine Filialen in Deutschland an vier Sonntagen im Jahr offen. "Alles trifft sich hier, es ist ein bisserl wie auf einem Volksfest." Probleme, dafür Personal zu finden, habe er aufgrund der höheren Gehälter keine.

Wochenlang rangen Österreichs Sozialpartner um einen neuen Kollektivvertrag im Handel. Nun zwingt sie die Corona-Krise zurück an den Verhandlungstisch. Ziel ist es, Spielregeln für eine einmalige Sonntagsöffnung nach dem Lockdown zu erarbeiten, sofern die Regierung dies aus gesundheitspolitischer Sicht zulässt.

Offene Rechtsfragen

Etliche Rechtsfragen sind offen. Es geht darum, ausreichend Ruhezeiten sicherzustellen, Schlechterstellung für Beschäftigte in Kurzarbeit zu verhindern und Fragen der Kinderbetreuung wie der An- und Abreise abzuklären.

Letztlich liegt es an den Landeshauptleuten, Ausnahmen im Öffnungszeitengesetz zuzulassen, oder an ÖVP und Grünen, bundesweit zusätzliche Gesetzesparagrafen zu schaffen. An Reizthemen fehlt es dabei allerdings nicht. Eines davon ist die Bedingung der Gewerkschaft, nur jenen Betrieben das Aufsperren zu ermöglichen, die derzeit geschlossen halten müssen.

Der Wiener Einkaufscenter-Betreiber Peter Schaider könnte mit diesem Kompromiss leben. Um Lebensmittel zu kaufen, brauche es den Sonntag nicht, sagt er. Viel wichtiger wäre es ihm, den Stillstand des Handels im Dienste der Entzerrung von Kundenströmen bereits mit 2. Dezember beendet zu wissen. Der Handel spiele schließlich eine völlig untergeordnete Rolle bei der Ansteckungsgefahr.

Sieber fordert die Regelung, den Sonntag jenen Betrieben zu überlassen, die derzeit zum Stillstand verdammt sind, geradezu ein. Denn kaum ein Konzern, für den der Lockdown nicht gilt, halte die Vorgaben ein, an diesen 20 Tagen nur Lebensnotwendiges zu verkaufen. "Bis gegen ein Verbot, am 19. Dezember nicht öffnen zu dürfen, geklagt wird, ist dieser Tag auch schon wieder vorbei."

Gier und Neid

Klein hingegen würde die Supermärkte vom Sonntag nicht ausklammern, wenn auch zähneknirschend, wie er einräumt. "Wir brauchen Frequenz." Darauf pocht auch der Handelsverbandschef Rainer Will: Einer hänge vom anderen ab, keiner habe was von weiterer Spaltung. Diese würde lediglich tausende kleine Händler mit ins Grab reißen. Für GPA-Gewerkschafterin Anita Palkovich geht es in dieser Krise jedoch längst nicht mehr um Gerechtigkeit für alle. Sie warnt vor Gier und Neid als explosive Mischung. Dass Supermärkten Sonntagsöffnung verwehrt wird, ist für sie ein Muss. "Ihre Mitarbeiter gehen am Zahnfleisch."

Hürde fürs Aufsperren vieler kleiner Betriebe sind die doppelten Gehälter, die Arbeitnehmervertreter verlangen. Damit sich das rechne, brauche es mehr Umsatz als realistisch sei, befürchtet Klein. Seine Schmerzgrenze liege bei Zuschlägen von maximal 70 Prozent.

Franz Wunderl, Schuhhändler in Sollenau, will sonntags vor Weihnachten nur öffnen, wenn der Handel in den Wochen danach erneut lahmgelegt werde. Das Risiko dafür schätzt er als hoch ein. "Macht der jetzige softe Lockdown wirklich Sinn?", fragt er mit Blick auf die Straßen, die alles andere als ausgestorben seien. "Den meisten Menschen sind die Ausgangsbeschränkungen wurscht."

Teuer abkaufen

Sonja Völker, Gründerin der Marke Herzilein, wird dennoch keine Sekunde zögern, sollte sie am letzten Adventsonntag ihre fünf Filialen öffnen dürfen, sagt sie. "Ich bin dafür Feuer und Flamme. Jeder Tag zählt. Unser Jahr steht und fällt mit dem Weihnachtsgeschäft." In der Wiener Wollzeile, die von Familienbetrieben lebt, seien jedoch Zugpferde wie größere Buchhandlungen und Reformgeschäfte wichtig.

Dass Wien sich bisher zu keiner Tourismuszone in der Innenstadt mitsamt Sonntagsöffnung durchringen konnte, ist für sie unverständlich.

Auch der Möbelkonzern Lutz würde öffnen. Allerdings gegen seine Prinzipien und nur unter dem Druck des übrigen Handels, wie Unternehmenssprecher Thomas Saliger betont. "Sonntagsöffnung ist ein No-Go, die Gewerkschaft wird sie sich zu Recht teuer abkaufen lassen. Und ist diese Dose erst einmal geöffnet, kann sie keiner mehr schließen. Befürworter der Sonntagsöffnung werden tausende Argumente finden, warum es diese auch künftig braucht." (Verena Kainrath, 27.11.2021)