Stau ist auf der Wiener Südosttangente programmiert – nicht nur weil die werktäglich von bis zu 180.000 Kraftfahrzeugen frequentierte Stadtautobahn gerade saniert wird.

Foto: Toppress / Karl Schöndorfer

Wien – Die von der Wiener Stadtverwaltung versprochene Verkehrsentlastung durch den Bau der Stadtstraße in Aspern quer durch den 22. Bezirk Wien-Donaustadt scheint reichlich überschätzt. 77.000 Fahrzeuge weniger verspricht das Rathaus den in den Bezirksteilen Hirschstetten und Aspern domizilierten Anrainern durch die teils unterirdisch verlaufende 3,3 Kilometer lange sogenannte Stadtstraße.

Einer Überprüfung hält diese in Aussicht gestellte verkehrliche Entlastung allerdings nicht stand, wie ein Blick in die bei der Einreichung im Jahr 2014 vorgelegten Unterlagen nahelegt. Denn es sind einige, durchaus fragwürdige Annahmen, die diesen optimistischen Schätzungen der Entlastungswirkung zugrunde liegen.

77.000 Kfz weniger

Die 77.000 Fahrzeuge weniger auf der Südosttangente sind nämlich an Voraussetzungen geknüpft: Die Nordostumfahrung S1 vom Knoten Raasdorf in Niederösterreich mit seinem Kernstück, dem umstrittenen Lobautunnel müsste jedenfalls gebaut werden. Auch die Marchfeld-Schnellstraße S8, die zusätzlichen Verkehr aus Gänserndorf auf die S1 und damit auf die dazugehörige geplante Spange Aspern (geht nahtlos in die Stadtstraße über) und die A23-Südosttangente bringen würde, ist eingepreist. Dies obwohl die S8 auf naturschutzrechtlich wackeligen Beinen steht und in ihrer derzeitigen Form nicht genehmigungsfähig scheint.

Auf der roten Liste

Im Lichte des Klimawandels und der fortschreitenden Bodenversiegelung stehen allerdings sowohl S1-Lobautunnel als auch S8 auf der roten Liste des Klimaschutzministeriums, das eine Evaluierung durchführt. Ob sie realisiert werden, sollte in wenigen Wochen klar sein.

Die dritte Voraussetzung für die versprochene Entlastungswirkung der Stadtstraße: die von den Verkehrsplanern der Stadt versprochenen sogenannten "begleitenden Maßnahmen", also Ausbau von Bus und Bahn – weit über den U-Bahnbau hinaus, dessen sich die Stadtregierung rühmt. Dazu gehören Taktverdichtungen im Öffi-Verkehr, Verkehrsberuhigung, Ausbau der Radwege und vor allem: die Parkraumbewirtschaftung, die Parken für hunderttausende Einpendler aus Niederösterreich ab März 2022 drastisch verteuert und damit unattraktiv macht.

Diese begleitenden Maßnahmen bringen laut Verkehrsplanern der TU Wien die größten Effekte bei der gepriesenen Entlastung durch Stadtstraße und S1. Gegenüber dem Istzustand (bei Erstellung der Prognose im Jahr 2014) hingegen sind es im täglichen Werksverkehr nur 48.000 Fahrzeuge weniger gegenüber dem angeführten Planfall 2030, rechnet Wolfgang Rehm von der Umweltorganisation Virus vor, die dieses Projekt seit Beginn verfolgt und die Zahlen bis ins Detail ausgewertet hat. "Die Effekte des begleitenden Maßnahmenpakets werden zu Unrecht der positiven Wirkung der Autobahn zugeschlagen, das ist eine verzerrte Darstellung."

Temporäre Dämpfung

Genau genommen stellt der von der Stadtverwaltung in den höchsten Tönen gelobte Rückgang des Verkehrsaufkommens um 77.000 Fahrzeuge auf der Südosttangente also lediglich eine Dämpfung des bis 2030 angenommenen Zuwachses des Gesamtverkehrsaufkommens dar. Eine Entlastung gegenüber dem Bestand bleibt eine Fiktion. für die betroffenen Anrainer in Stadlau, Hirschstetten und Aspern hingegen ist nur in geringem Ausmaß und vermutlich nur vorübergehend zu erwarten.

Dies auch deshalb, weil die Stadtstraße nicht nur für den aus dem Nordosten kommenden Durchzugsverkehr, eine willkommene Abkürzung zur Südosttangente werden dürfte. Zwar müssen die Nutzer mit Tempolimits rechnen, aber im Vergleich zur Strecke S1 und A23 stellt sie eine deutliche Abkürzung dar. Diese wird sich auch der überwiegend aus Ziel- und Quellverkehr bestehende Schwerverkehr wohl nicht entgehen lassen.

Verkehrsumleitung

Bei der für Straßenbau zuständigen MA 28 wird man nicht müde zu betonen, dass die Stadtstraße eine enorme und überfällige Entlastung bringen werde, "weil der Verkehr aus den Wohngebieten auf die Stadtstraße umgeleitet wird". Das entlaste Erzherzog-Karl-Straße und Hirschstettner Straße ebenso wie diverse Nebenstraßen. Schleichwege würden außerdem geschlossen. "Allein in Hirschstetten fahren dann pro Tag rund 6000 Autos weniger", schreibt eine Sprecherin. Die bei der Einreichung vorgelegte Verkehrsprognose spricht allerdings eine andere Sprache (siehe Grafik).

Bauarbeiten jeden Tag

Bevor es losgehen kann mit dem umstrittenen Bau, geht die Causa allerdings zu Gericht. Denn Anrainer und die Umweltorganisation Virus laufen gegen einen Änderungsbescheid Sturm, den der Bauwerber bei der Umweltbehörde MA22 erwirkt hat: Erlaubt sind demnach plötzlich Bauarbeiten rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche, zusätzliche Baumfällungen (die nicht zur Gänze kompensiert werden müssen) – und die aufschiebende Wirkung von Beschwerden wurde aberkannt.

Bauarbeiten rund um die Uhr auch am Wochenende wurden gemäß Umweltverträglichkeitsprüfung verboten, sagt Anwalt Wolfram Schachinger. "Das war eine Auflage, die nun ausgehebelt werden soll." Er kündigt Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht an. (Luise Ungerboeck, 27.11.2021)