Der tiefe Glaube an Selbstheilungskräfte, unterstützt von Naturheilmethoden wie dem Räuchern, prägt die Esoterikszene.

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Es gehört zu jenen Phänomenen der Corona-Krise, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte: Links und Rechts gehen gemeinsam auf die Straße, um sich gegen die Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Pandemie zu stemmen. Wer die Gegnerinnen und Gegner ausschließlich bei der Anhängerschaft des FPÖ-Chefs und vehementen Impfgegners Herbert Kickl sucht, irrt.

Im Protest-Camp im Wiener Stadtpark, das am Freitag aufgelöst wurde, hatte bis zuletzt eine bunte Mischung zusammengefunden: Für 19 Tage hatte dort unter anderem Jennifer Klauninger ihr Zelt aufgeschlagen. Das ist jene Frau, die Protestveranstaltungen von Corona-Leugnerinnen und -Leugnern nach dem Vorbild der deutschen "Querdenker" organisiert und vor Jahren die rechts extreme "Partei des Volkes" mitgegründet hat.

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In das von Klauninger "Camp der Freiheit" getaufte Zeltlager hatten auch zahlreiche Menschen gefunden, die schon rein äußerlich nicht zu der Verschwörungstheoretikerin passten. Patrick etwa, ein junger Mann mit gefilzten Dreadlocks, der bei einem STANDARD-Lokalaugenschein von "leichter Harmonie" und "Wohlwollen des Daseins" sprach und dafür plädierte, "auf die eigene Gesundheitsintuition" zu hören.

Wissenschaftsskepsis

Und auch "die Jenny", wie die Aktivistin genannt wird, schwärmte für "die vielen guten Medikamente auf natürlicher Basis". Sie hat sich laut Polizei bis zuletzt geweigert, das Camp zu verlassen. Aufgelöst wurde die Versammlung, da Polizei angaben zufolge maskentragende Kinder angepöbelt wurden, außerdem sei der Park beschädigt worden.

DER STANDARD

Vereint sind die unterschiedlichen Kritikerinnen und Kritiker oft nicht nur in ihrer Ablehnung des Regierungskurses. Sie teilen auch Skepsis der Wissenschaft gegenüber. Dieses Phänomen ist über das gesamte politische Spektrum hinweg zu beobachten.

Untersuchungen des Corona-Panels der Universität Wien zeigen, dass es unter den Unterstützerinnen und Unterstützern jeder Partei einen Grundstock an Menschen gibt, die die Corona-Impfung ablehnen. Die FPÖ schart aber besonders viele Impfverweigererinnen und -verweigerer um sich: 48 Prozent jener, die bei der nächsten Wahl freiheitlich wählen wollen, haben dezidiert nicht vor, sich "ehestmöglich impfen zu lassen".

Grüne Unterstützung

Zuletzt sorgte allerdings eine ehemalige grüne Parteigröße für Aufsehen. Madeleine Petrovic hatte der Kundgebung der Impfgegnerpartei Menschen Freiheit Grundrechte (MFG) am Samstag vergangener Woche eine "Grußbotschaft" in Textform mitgegeben. Darin stellt sie sich klar gegen die Linie der Regierungspartei in puncto Impfpflicht.

Sie greift auf, wofür sie bereits als aktive Politikerin bekannt war: Petrovic äußerte sich stets kritisch gegenüber großen Pharmakonzernen, dabei driftete sie mitunter in esoterische Gefilde ab. Die grüne Parteispitze verwies darauf, dass es sich um eine Privatmeinung handle, und versicherte, dass der grüne Koalitionspartner auf dem bisherigen Corona-Kurs bleibe.

Dass innerhalb der grünen Basis einige Menschen durchaus Petrovics Ansichten teilen, zeigen etliche Kommentare auf ihrer Facebook-Seite: Darin teilten viele ihre Naturverbundenheit, ihre Ablehnung von allem "Chemischen" und eben auch von Impfungen im Allgemeinen, von jener gegen Covid im Speziellen.

Österreich gehört zu jenen Ländern der westlichen Welt, in denen die Impfskepsis besonders ausgeprägt ist. Die Durchimpfungsrate gegen Covid-19 ist im EU-Vergleich nur in Osteuropa und Griechenland niedriger. Darüber hinaus schneidet Österreich bei allen Umfragen zur Ein- und Wertschätzung von Wissenschaft und Technologie im internationalen Vergleich traditionell schlecht ab.

Diese Impfskepsis zeigt sich auch bei anderen Immunisierungen, jener gegen Masern, Mumps oder Röteln etwa – bei dieser befindet sich Österreich wie auch bei der Influenza-Impfung stets im unteren EU-Drittel. Dieses Misstrauen ist auch historisch gewachsen. Und es ist eng verbunden mit der hiesigen Esoterikaffinität.

Krankheit fürs Karma

Das habe wohl auch mit der geografischen Nähe zur Homöopathie zu tun, wie Ulrich Berger erklärt. Der Volkswirtschaftsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien ist Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften und beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Esoterik-, Verschwörungs- und Pseudowissenschaftsszene. Die Anthroposophie, eine spirituell orientierte Weltanschauung, die sich aus Strömungen wie Idealismus, Gnosis und christlicher Mystik speist, ist überhaupt ein einheimisches Produkt, führt Berger weiter aus.

Die Ablehnung der Impfung vereint Linke und Rechte.
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Ihr Begründer war der Österreicher Rudolf Steiner, auf seiner Lehre basiert auch das Konzept der Waldorfschulen. Steiner vertrat die Ansicht, das Durchleiden von Kinderkrankheiten sei gut für das Karma, weshalb man es nicht verhindern solle. In der Homöopathie ist diese Vorstellung nicht explizit Bestandteil der Lehre, aber es wird heute von vielen so aufgefasst.

In beiden Ansätzen steht der "natürliche Körper" mit seinen Selbstheilungskräften im Zentrum. Dieses Konzept geht zurück auf die Romantik, die als Gegenbewegung zur Aufklärung entstand. Weitere Lebensreformbewegungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten alternative Ernährungs-, Medizin- und Pädagogikkonzepte wie jenes von Steiner. Sie gingen besonders von den deutschsprachigen Ländern aus, wo sie bis heute einflussreich blieben.

Intellektuelle Leere

Auch die Nationalsozialisten schmiedeten Pläne, Homöopathie der "verjudeten Schulmedizin" entgegenzusetzen und als "neue deutsche Heilkunde" zu etablieren. Sie ließen von diesem Vorhaben jedoch ab, weil die Homöopathie selbst einer wissenschaftlichen Überprüfung durch "arische" Ärzte nicht standhielt.

Dass in Österreich die Skepsis gegenüber Wissenschaft, Schulmedizin und technischen Innovationen so groß ist, habe sicher auch damit zu tun, so Berger, dass im Dritten Reich die wissenschaftliche Elite beinahe komplett verschwand. Nach dem Krieg konnte diese Leere nicht gefüllt werden, davon habe sich Österreich zum Teil bis heute nicht erholt.

Auch der Soziologe Christoph Reinprecht bezeichnet Österreich ob seines Umgangs mit der Wissenschaft als ein "nach wie vor im Sinne des klassischen Aufklärungsbegriffs nur bedingt aufgeklärtes Land". Das "relativ schwache Fundament für Wissenschaftsorientierung und faktenbasiertes Handeln" sei eine Folge der verspäteten Modernisierung und des historisch schwach ausgeprägten liberalen Bürgertums, das spätestens 1938 vertrieben wurde. Und so würden Begriffe wie "Freiheit", also "eigentlich demokratische Begriffe der Aufklärung", nun "gegen jene gewendet, die man verdächtigt, gemeinsame Sache zu machen mit dem Kapital".

Vereinfachte Diskussion

Der Nährboden für die gegenwärtige Tendenz zur Impfverweigerung ist Berger zufolge zudem auch aufbereitet worden durch "eine seit Jahrzehnten von Umweltorganisationen, Boulevard und Politik genüsslich gemeinsam betriebene Hetze gegen Gentechnik" sowie "jahrelange Duldung und sogar Förderung von Alternativmedizin und Pseudowissenschaft, selbst auf akademischem Boden".

Daraus folge, dass komplexe Sachthemen emotional vereinfacht diskutiert werden. Allen voran die Grünen führten das bei Themen wie Gentechnik oder Atomenergie vor. Sie vertreten eine Justamentposition, die nicht immer dem Stand der Wissenschaft folge.

Die Bevölkerung sieht das freilich ähnlich wie die Grünen: Auf die Frage, welche Auswirkung die Biotechnologie und die Gentechnik in den nächsten 20 Jahren haben werden, fielen die Einschätzungen der Befragten in der jüngsten Eurobarometer-Umfrage am negativsten von allen Bürgerinnen und Bürgern der 27 EU-Ländern aus. Österreich weist generell bei dieser erst vor wenigen Monaten durchgeführten Umfrage katastrophale Werte im EU-Schnitt auf – vor allem, was Interesse an, Wissen über und Wertschätzung für Wissenschaft und Technologie betrifft. Dazu geselle sich noch Technologieskepsis, die viel mit Angst zu tun habe, sagt der Physiker und Wissenschaftsautor Florian Aigner.

Er will Umweltbewegungen nicht ins Eso-Eck rücken und Grüne nicht als generell wissenschaftsfeindlich bezeichnen. Zudem haben Kernenergie oder Glyphosat "natürlich schädliche Auswirkungen", sagt Aigner. Dennoch: "Alles, was mit neuen Technologien zu tun hat, wird zunächst nicht als Chance gesehen, sondern als mögliche Gefahr." Zumindest den Vorwurf, "dass bestimmte Themen nicht ehrlich diskutiert werden", müssten sich beide Gruppen gefallen lassen. "Dabei sind die meisten Dinge Abwägungssache."

Die Skepsis sei nicht bei allem so groß, sagt Ulrike Felt, Leiterin des Wissenschafts- und Technikforschungsinstituts der Uni Wien. Bestimmte Technologien, etwa die Mobiltechnologie, habe Österreich enorm positiv aufgenommen. Das Misstrauen lasse sich nicht "klassisch aufteilen in links und rechts".

Weiblicher Protest

Warum aber scheinen Esoteriker, die oft ein eher linkes, friedliches Weltbild zelebrieren, keine Probleme damit zu haben, gemeinsam mit rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu marschieren? Berger meint dazu: "Der klassische Esoteriker ist sehr selbstbezogen, den interessiert Politik eher nicht. Durch diese unpolitische Grundeinstellung gibt es auch weniger Berührungsängste mit den Rechten."

Zumindest zwei gemeinsame Nenner bei linken und rechten Gruppen macht auch Katharina Theresa Paul, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, aus. Das eine ist die Ablehnung des staatlichen Rechts, zu intervenieren. Das andere ist das Pochen auf das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Die Schulmedizin werde in diesem Kontext als doppelt fragwürdig angesehen. Denn sie werde als Autorität empfunden, ähnlich dem Staat. Und sie greife in den natürlichen Körper ein.

Das paare sich mit schlechten Erfahrungen vor allem von Frauen, erklärt Paul: "Frauen werden oft von der Medizin nicht ernst genommen mit ihren Beschwerden. Ein typisches Beispiel sind Zyklusstörungen, die die Impfung bei vielen hervorgerufen hat. Zigtausende haben davon berichtet. Das wurde sehr schnell abgetan als hysterisch. Das stärkt natürlich den Nährboden für Ablehnung und Kritik."

Paul zufolge bestehe aber Hoffnung, wenn man auf die Menschen zugehe: "Auch in der Alternativbewegung sind viele offen für die Impfung. Sie verzögern den Stich vielleicht, haben andere Konzepte von Gesundheit, aber man kann sie grundsätzlich abholen." Dafür müsse man zielgruppengerechter aufklären und dürfe vor allem auch Gender-Spezifika nicht ignorieren. Diese Möglichkeit sieht die Politikwissenschafterin vor allem im niedergelassenen Bereich, wo man mit Vertrauensärzten spricht. (Anna Giulia Fink, Pia Kruckenhauser, 27.11.2021)