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Dienste ohne Ende, seit fast zwei Jahren. Anstrengung und Übermüdung standen dem Gesundheitspersonal ins Gesicht geschrieben, als es sich am 10. November vor dem Wiener AKH zur Demonstration der Offensive Gesundheit "5 nach 12" zusammengefunden hatte. Vor allem dem Pflegepersonal reicht es. Die Mitarbeiterinnen fordern immer heftiger die Umsetzung einer lange versprochenen Pflegereform, um Personalnot und prekäre Arbeitsbedingungen zu lindern.

Obwohl nicht nur vor dem AKH protestiert wurde, sondern landesweit Aktionen stattfanden, war der Widerhall der Aktion begrenzt. Die Demo von Impfgegnern und Rechtsextremen vergangene Woche in Wien zog medial ein Vielfaches an Aufmerksamkeit auf sich.

Dabei besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass große Teile des Gesundheitspersonals durch Corona extremer Mehrbelastung ausgesetzt sind. Arbeitsminister Martin Kocher argumentierte sogar damit, dass der aktuelle Lockdown in Österreich aus "Solidarität" mit den Pflegerinnen und Pflegern, Ärzten und Sanitätern notwendig sei. Solidarität mag der Psyche guttun, satt wird davon allerdings niemand. Wenn in einer Marktwirtschaft Arbeitnehmer für ihren Einsatz und ihre Risikobereitschaft belohnt werden sollen, dann geschieht das im Regelfall übers Geld. Doch da hat sich bisher wenig getan.

Im März 2020 wurden die Leistungen des Gesundheitspersonals beklatscht. Aber erst im Frühsommer 2021 rang sich die türkis-grüne Koalition durch, einen 500-Euro-Bonus für Ärzte, Spitals- und Pflegekräfte auf den Weg zu bringen, die direkt Corona-Erkrankte betreut haben.

Warten auf den Bonus

Noch heute wartet ein Großteil der Leute auf die Zahlung. Die Ausarbeitung der Regelungen hat gedauert, die Länder, die den Bonus auszahlen sollen, beklagen, zu spät informiert worden zu sein. Dazu kommen Abwägungsfragen: Nur wer Kontakt zu Corona-Erkrankten hatte, soll Geld bekommen. Es soll keine Überförderung geben.

Interessant, dass die Regierung solche Bedenken bei Wirtschaftshilfen nie hatte. Auch Unternehmen, die in der Pandemie besser verdient haben als davor, wurde mit Millionenhilfen gestützt. Schnelligkeit vor Genauigkeit lautete die Devise. Nicht so beim Gesundheitspersonal.

Dabei gibt es Kritik nicht nur an der Dauer der Auszahlung, sondern auch am Bonus selbst. "500 Euro ist eine lächerlich geringe Summe", sagt Personalberaterin Gundi Wentner von Deloitte. Sie berät Unternehmen, wie sie Topkräfte anwerben und halten können. "Seit mehr als eineinhalb Jahren arbeitet ein großer Teil der Menschen in Gesundheitsberufen unter extremer Belastung", sagt Wentner. Es gehe nicht nur um Strapazen: Das Personal gefährdet durch den Kontakt mit Corona-Infizierten schließlich seine eigene Gesundheit. "Angesichts dessen stehen die Einkommen in dieser Branche in keiner vernünftigen Relation, etwa wenn man sie mit Managergehältern vergleicht", so die Beraterin. Das trifft nicht auf alle Gruppen zu: Ärzte verdienen sehr gut. "Aber die Arbeit in der Pflege gehört jedenfalls neu bewertet."

Wie Soldaten am Golan

Was wäre ein guter Maßstab? Ein Vorschlag: Österreichische Rekruten, die auf dem Golan den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien überwacht haben, erhielten laut Verteidigungsministerium monatlich 1920 Euro brutto extra zu ihrem regulären Gehalt. Das sollte die Mehrarbeit und das Risiko im Krisengebiet ausgleichen.

Wer könnte anspruchsberechtigt sein? Eine Möglichkeit wäre der Einfachheit halber, das Geld an alle 100.000 nichtärztlichen Bediensteten in den Krankenanstalten auszuzahlen. Die Mehrbelastung hat aber auch die rund 26.000 Ärzte getroffen. Für beide Gruppen würde das Mehrkosten von 250 Millionen Euro pro Monat ergeben. Das wäre teuer, aber nicht unleistbar, und sei es finanziert über neue Steuern wie eine Erbschaftssteuer. Natürlich müssten tendenziell mehr Menschen einbezogen werden: Auch in Pensionistenwohnhäusern und Pflegeheimen brachte Corona enorme Herausforderungen.

Brennglas für Probleme

Fragen der Bezahlung stellen sich aber nicht nur seit Corona. Wie in anderen Bereichen wirkt die Pandemie wie ein Brennglas für Probleme, die es schon vorher gegeben hat. Besonders prekär ist die Lage seit Jahrzehnten im Pflegebereich. Worum es geht, ist simpel: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, die Zahl der Pflegekräfte (zuletzt waren es insgesamt 158.000) kann da nicht mithalten. Rund eine halbe Million Menschen in Österreich sind in Pflegeeinrichtungen, und sie werden immer mehr.

Gemäß jüngsten Berechnungen werden im Jahr 2030 rund 90.900 Pflegekräfte fehlen – im besten Fall.Denn nicht nur werden zu wenige Leute ausgebildet, sondern es steigt auch die Zahl jener, die den Job verlassen. Vorsichtig geschätzt – gesicherte Zahlen gibt es dazu nicht – geben im Jahr rund 1250 Leute in der Pflegebranche auf.

Explosiver Mix

Insgesamt ist es ein explosiver Mix, der die Leute an ihre Grenzen bringt, wie Betroffene schildern – und das sei schon vor Corona so gewesen. Schichtdienst, mit durchschnittlich fünf bis sieben Nachtdiensten (je 12,5 Stunden bei Schlafverbot) im Monat. Dienstpläne, die lange im Voraus erstellt werden und so gut wie nie halten: Besonders diese Planungsunsicherheit raube den Leuten den letzten Nerv, wie es heißt. "Da gibt es keinen Urlaub, in dem nicht angerufen und um Einspringen gebeten wird. Junge arbeiten oft 60 Stunden am Stück, und wenn sie dann an eigentlich freien Tagen für andere einspringen müssen, stehen sie das auf Dauer nicht durch", schildert Younion-Gewerkschafter Edgar Martin.

Zu dieser Planungsunsicherheit kommt, dass es für Pflegeberufe keine genaue Job-Description gibt, wie Kurt Schalek, Experte aus der Arbeiterkammer, sagt. Diskussionen über die Arbeitsverteilung in den Spitälern – was macht die Ärztin, was macht die Krankenschwester? – hätten dazu geführt, dass mehr Tätigkeiten zu den Pflegekräften gewandert seien. Allerdings seien andere Tätigkeiten wie Bettenmachen nicht weggefallen. All das bewirke, "dass die Kernaufgabe der Pflege, Menschen bei der Selbstpflege zu unterstützen, verlorengeht". Ein Wiener Intensivmediziner zu seinen Beobachtungen: "Die Leute werden überlastet mit Aufgaben, haben immer weniger Zeit, beim Patienten zu sein", die Pflege sei schlicht "verwässert" worden.

Eine Stellschraube reicht nicht

Würden also kräftig aufgebesserte Gehälter das Problem lösen? Da gibt es unterschiedliche Ansichten in der Branche. An einer Stellschraube zu drehen wird nicht reichen, meinen die meisten. Laut Younion-Gewerkschafter Martin bekommt ein Pflegeassistent im Gesundheitsverbund Wien 31.780 Euro brutto im Jahr, ein diplomierter Pfleger auf einer allgemeinen Station 40.600 Euro. Zulagen für Nacht- und Feiertagsdienste addiert, kommen noch rund zehn Prozent dazu, noch mehr verdienen Pfleger mit Zusatzausbildung auf Intensivstationen.

Höbe man die Einkommen an, würden die Beschäftigten das wohl als "Schmerzensgeld ansehen und etwas länger durchhalten. Aber nach ein paar Monaten wäre die Unzufriedenheit wegen der schlechten Arbeitsbedingungen wieder vorrangig", meint er.

AK-Experte Schalek sieht es ähnlich. Er glaubt aber sehr wohl, dass ein kräftiges Einkommensplus als Zeichen der Anerkennung einen "Boost" bringen würde, fürchtet aber auch, dass der Effekt auf mittlere Sicht "überschaubar" wäre.

Booster für die Branche

Auch die Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, Elisabeth Anselm, könnte sich nur für eine Kombination aus besserer Bezahlung und Personaloffensive, Ausbildungsreform und Rückholaktionen für abhandengekommenes Personal erwärmen. Denn: "Eine Booster-Zahlung von plus 1500 Euro im Monat mehr allein würde sicher nicht reichen, um den Beruf attraktiv zu halten und zu machen. Entscheidend sind die Rahmenbedingungen."

Anders ihr Kollege Erich Fenninger von der Volkshilfe: Er meint, dass schon ein Plus von 200 bis 300 Euro im Monat ein "riesiges Signal" wäre. Ein Mehr von 1000 Euro würde bewirken, "dass die Krise gelöst wäre". Hohe Einkommen wären ein Anreiz für Beschäftigte, im Job zu bleiben, und für Junge oder Umsteiger, in die Pflegebranche zu gehen. Ein höheres Gehalt wäre also nicht nur Schmerzensgeld. Damit könnte die Personalknappheit bekämpft werden – die ja eben dazu führt, dass zum Beispiel Dienstpläne ständig geändert werden.

Die Kosten für ein Gehaltsplus könnten sich sogar für den Staat rechnen. Die öffentliche Hand gibt im Jahr 5,6 Milliarden Euro nur für Langzeitpflege aus. Dabei ist der wirtschaftliche Nutzen der Pflege hoch, weil der Großteil der Ausgaben auf Personalkosten entfällt. Jobs werden geschaffen, der Konsum angekurbelt. Von jedem Euro, den die öffentliche Hand hier ausgibt, kommen 70 Cent in Form von Steuern und Sozialversicherungsabgaben wieder zurück, hat eine Studie des Forschungsinstituts Wifo gezeigt. (Renate Graber, András Szigetvari, 28.11.2021)